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Schlüsselakteure in der „neuen globalen Weltordnung“ – Handlungsempfehlungen für Deutschland und die EU im Kampf um die Neuverteilung der Welt (Teil 1 – Indien)

In einem gemeinsamen Projekt der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) und der Konrad-Adenauer-Stiftung wurden die Herausforderungen Deutschlands und der EU in der „sich verändernden Weltordnung“ dargestellt. Nach einer Analyse der 1. „Rolle in der neuen globalen Ordnung“, 2. „außenpolitische Positionierung“ und 3. ihrem „Blick auf Deutschland/EU“ wurden Handlungsempfehlungen in Bezug auf die als „Schlüsselakteure“ bezeichneten Länder Indien, Kolumbien, Türkei und Kenia gegeben.

Yekta Dogan

Schlüsselakteuer seien diese Länder, da sie gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP), Bevölkerungsgröße und diplomatischem Engagement wichtige Akteure in ihren jeweiligen Regionen seien, auch wenn ihr Gewicht erheblich variiere. Entscheidend für die „engere Auswahl“ waren drei Kriterien: 1. „Eine angenommene like-mindedness“ (Gleichgesinntheit) mit Deutschland/EU, 2. „die jeweilige Rolle in der Region bzw. für die globale Ordnung“ und 3. „das jeweilige Verhältnis zu Russland und China“. Also praktisch Länder, um die man mit China und Russland in Bezug auf geopolitische Machtinteressen, Handelsbeziehungen und die Erschließung neuer Märkte und Fachkräfte im Kampf um die Neuverteilung der Welt konkurriert und für sich „gewinnen“ will. Eine zentrale Prämisse des Projekts ist, dass die „Perspektive der (potenziellen) Partnerländer, deren eigene Interessen, spezifische Abhängigkeiten, Eingebundensein in regionale Ordnungen“ usw. zu selten einbezogen werde. Deutschland müsse mehr „Ambiguitätstoleranz“ zeigen. Die „übergeordnete Bedeutung einer Partnerschaft“ soll trotz „mancher Differenzen“ in den Vordergrund gestellt werden, „vorgefertigte“ Positionen, die den „Anspruch einer moralischen Richtigkeit erheben“ (z.B. Menschenrechte, demokratische Freiheiten), seien abzulehnen und Deutschland solle eine „pragmatische Politik im Umgang mit Werten und Interessen“ verfolgen.

Wir werden uns im ersten Teil dieser Reihe mit Indien, das vor allem wegen dem amerikanisch-europäischen Projekt Indien-Nahost-Europa (IMEC) große Relevanz hat, und den vorgeschlagenen Handlungsstrategien beschäftigen.

Indien in der der „neuen globalen Ordnung“

Indien sei der „Hauptprofiteur“ der neuen globalen Ordnung. Es verzeichne einen bemerkenswerten internationalen Aufstieg, habe durch seine hohen Wachstumszahlen des BIP an Attraktivität gewonnen und profitiere von der „Rivalität“ zwischen China und den USA. Indien verstehe sich als „nicht-westliches, aber nicht als anti-westliches Land“, weshalb keine einseitige Positionierung, sondern das Verfolgen der eigenen Interessen in dem Konflikt zwischen China und den USA zu erwarten sei. Internationale Bedeutung habe Indien eher durch demografische Größe als wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, politische Initiativen oder militärische Machtprojekte. Mit 1,4 Milliarden Menschen (ca. 1/6 der Weltbevölkerung) ist diese demographische Größe natürlich beträchtlich. Die kaufkräftige Mittelschicht, deren Größe je nach Definition von „Mittelschicht“ zwischen 100 Millionen und 450 Millionen Menschen schwanke, sei ein attraktiver Markt für Unternehmen und großes Potential an Fachkräften für Deutschland/EU. Trotzdem lebt aufgrund von „strukturellen Problemen“ eine große Zahl von Menschen in Armut. Ein geringes „Pro-Kopf-BIP“ und die niedrige Steuerquote im Vergleich zu den G20 Staaten würden es Indien nicht erlauben, die Ressourcen in Kapazitäten umzuwandeln. 2022 stand das Land auf dem Index der menschlichen Entwicklung nur auf Platz 132 von 191 Staaten. Mit einer Alphabetisierungsrate von 77 % liegt es unter dem globalen Durchschnitt. 90 % der Beschäftigten sind im informellen Sektor tätig, also in Beschäftigungsverhältnissen, die nicht staatlich registriert und kontrolliert sind und keinen gesetzlichen Schutz und/oder gewerkschaftliche Unterstützung genießen. Die Erwerbstätigkeit von Frauen liegt bei nur 23 %. Indien profitiere nur gering von „De-Risking“ Strategien vieler Unternehmen, die durch die Verlagerung ihrer Produktion in andere Länder ihre Abhängigkeit von China verringern wollen. Eine schlechte Infrastruktur, zu viel Bürokratie und ein schwaches Bildungsniveau seien die Gründe. Jedoch hatten Apple und Foxconn Produktionsketten kürzlich nach Indien verlagert und ausgeweitet.

Indien erhebe internationale Ansprüche mit dem Verweis auf Zivilisation, Geschichte und Tradition. In den vergangenen Jahren habe sich der Hindu-Nationalismus etabliert und die Autokratie deutlich verstärkt. Minderheiten, wie Muslime, seien nur noch Bürger zweiter Klasse und die Ausschreitungen gegen sie haben zugenommen. Im Index der Pressefreiheit steht Indien auf Platz 161 von 180 Staaten. Es lehnt eine Teilnahme an Chinas „Neuer Seidenstraße“ ab, ist jedoch in vielen wichtigen Sektoren (z.B. Pharmabereich) immer noch von Importen aus China abhängig. Indien versuche die wirtschaftlichen Beziehungen zu China zu verringern, jedoch steigt seit 2020 das Handelsvolumen und das Handelsdefizit vergrößert sich. Zu Russland pflege man enge politische, wirtschaftliche und militärische Beziehungen. Indien ist einer der größten Waffenimporteure der Welt und zu 50 bis 70 % von russischem Militärmaterial abhängig. Der Anteil an Rüstungsimporten aus Russland habe allerdings abgenommen, die USA, Israel und Frankreich seien wichtige Partner, um die Abhängigkeit zu Russland verringern. Deutschland ist mit Abstand der wichtigste Wirtschaftspartner Indiens in der EU. Das deutsch-indische Migrationsabkommen ist nur eines von vielen Beispielen. Man stehe jedoch im Schatten Frankreichs, wenn es um geopolitische Fragen gehe.

Handlungsempfehlungen für Deutschland/EU

Indien werde die „Rivalität“ zwischen China und den USA nutzen, um eigene Interessen voranzutreiben und deshalb gerne westliche „Kooperationsangebote zur Rüstungszusammenarbeit oder für den Technologietransfer“ annehmen. Für Deutschland sei das eine Frage der Abwägung zwischen Interessen und Werten. Es wird ein schneller „Abschluss der Verhandlungen zum europäisch-indischen Freihandelsabkommen“ empfohlen. Außerdem soll Deutschland attraktive Angebote für die geplante Anwerbung indischer Fachkräfte anbieten und die „militärische Zusammenarbeit“ ausbauen, um Indiens Abhängigkeit von russischen Rüstungsgütern zu verringern, was gleichermaßen bedeutet: Die Abhängigkeit Indiens von deutschen Rüstungsgütern zu vergrößern. Das Freihandelsabkommen scheiterte unter anderem auch daran, dass Indiens Umgang mit Menschenrechten und die schlechten Arbeitsrechte und -Bedingungen Seitens einiger EU-Staaten bemängelt wurden.

Es handelt sich also um einen Strategiewechsel mit Blick auf Chinas Außenpolitik, das sich als „Freund der Völker“ darstellt und seine politischen Ziele und Interessen verfolgt, ohne Demokratie- und Menschenrechtsverletzungen im jeweiligen Land symbolisch anzuprangern und moralische Werte als Klotz am Bein der eigenen Außen- und Wirtschaftspolitik zu haben. Nicht, dass die Bundesregierung bis jetzt Probleme hatte mit Ländern und Regimen, die offen Menschenrechtsverletzungen begehen oder demokratische Freiheiten unterdrücken, Handelsbeziehungen zu führen oder Allianzen zu schmieden (Saudi-Arabien, Katar, Israel usw.), wenn es um die eigenen Interessen geht. Die Empfehlungen der Stiftungen – beides Think-Tanks und Schreiberlinge im Interesse des Deutschen Imperialismus – gehen allerdings weiter als das. Deutschland soll auf die sich zuspitzenden Widersprüche reagieren, in Bezug auf diese „Schlüsselakteure“ eine weniger wertebasierte und mehr interessensorientierte Politik betreiben und dadurch seinen Einfluss erweitern bzw. den russischen und chinesischen Einfluss dämpfen und mehr Möglichkeiten für das deutsche Kapital zu schaffen.

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