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“Solange sie auf der Seite des Kapitals bleiben, haben sie keine Chance”

Yücel Özdemir

Oskar Lafontaine ist ein deutscher Politiker und Publizist. Von 1985 bis zum 9. November 1998 war 13 Jahre lang der Ministerpräsident des Saarlandes. Er war Kanzlerkandidat der SPD für die Bundestagswahl am 2. Dezember 1990 und von 1995 bis 1999 SPD-Vorsitzender. Als Gerhard Schröder nach 16 Jahren Kohlregierung mit einer rot-grünen Regierung an die Macht kam, wurde Lafontaine 1998 zunächst Finanzminister unter Schröder und im Frühling 1999 legte er dieses Amt, alle seine Mandate sowie den SPD-Vorsitz nieder. In seinem Buch “Das Herz schlägt links” begründete er das damit, dass er nicht wie Schröder und seine Truppe vor den Interessen des Kapitals einknicken wollte. Seine öffentliche Kritik gegen Schröders Agenda 2010 und sein weiterhin vorhandener Einfluss auf einen Teil der SPD-Linken führten zu einer Spaltung der Partei. Die “Wahlalternative Arbeit & Soziale Gerechtigkeit” wurde gegründet und fusionierte später mit der PDS zu der heutigen Partei “Die Linke”, deren Co-Vorsitz er eine Weile übernahm.Wir haben mit Lafontaine über die eurupäische Linke und den erstarkenden Rassismus in Europa gesprochen.

Wir beobachten eine starke Zunahme rechter, rassistischer und rechtspopulistischer Parteien und ihrer Ideen überall in Europa. Was denken Sie, sind die Gründe für diese Rechtsentwicklung?

Der Abbau des Sozialstaates, sowie Lohn- und Rentenkürzungen in ganz Europa. Die traditionellen sozialdemokratischen und sozialistischen Parteien haben dabei mitgemacht und das Vertrauen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verloren. Aus Enttäuschung wenden sie sich jetzt rechten Parteien zu.

Wie wird sich diese Tendenz Ihrer Meinung nach weiterentwickeln?

Solange der Neoliberalismus herrscht, der Sozialstaat abgebaut wird und immer mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Rentnerinnen und Rentner schlechtere Lebensbedingungen haben, wird dieser Trend anhalten.

Hat die Stärkung der Rechten einen kausalen Zusammenhang zur Schwäche der Linken (gemeint ist nicht die Partei)?

Der IG-Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann stellt zu Recht fest, „die Prekarisierung, die gerade einen Teil der Arbeiterschaft betrifft“, sei mit ursächlich für das Erstarken der AfD. „Das sind die Folgen der Agenda 2010.“ Mit anderen Worten heißt das: Die SPD hat ein gehörig‘ Maß an Mitverantwortung für das Erstarken der AfD. In anderen europäischen Ländern ist das ähnlich. Ohne das Versagen der Parti Socialiste gäbe es den Front National in dieser Stärke nicht.

Warum ist vor allem die antikapitalistische Linke trotz dem sozialen und ökonomischen Verfall der Gesellschaft weiterhin so schwach?

Die Konzerne beherrschen auch die Medien und bestimmen und manipulieren damit auch die öffentliche Meinung. Mit dem Verweis auf den Misserfolg des Staatssozialismus wird die Notwendigkeit des Kapitalismus immer noch begründet. Und viele Menschen glauben das. Der Papst, der sagt, „diese Wirtschaft tötet“ ist eine einsame Stimme.

Neben Flüchtlingen ist das zweite Standbein der Rechten ihre Anti-EU-Politik. Wird es nicht Zeit, dass auch die deutsche Linke endlich ihren Standpunkt zur EU überdenken sollte?

Die EU-Politik ist neoliberal. Sie führt zum Abbau von Demokratie und Sozialstaat. Das bekannteste Beispiel ist Griechenland. In dieser Analyse sind sich die wirklich linken Parteien in Europa einig. Diskutiert wird über den Weg, um aus diesem Schlamassel herauszukommen. Ich plädiere für ein neues europäisches Währungssystem, das Auf- und Abwertungen wieder zulässt. Der Wechselkurs wurde lange Jahre zum Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und ihrer Arbeitsplätze eingesetzt. Es war ein Fehler, diesen Schutzschirm abzuschaffen.

Als ehemaliger Vorsitzender der SPD: Wie bewerten Sie den Verfall der europäischen und vor allem deutschen Sozialdemokratie? Hat sie noch eine Chance, auf die Beine zu kommen?

Früher hieß es: „Wir gegen sie“. „Wir“, das waren die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Gewerkschaften und ihre Partei, die sozialdemokratische Partei Deutschlands. „Sie“ das waren die großen Unternehmen und Konzerne und ihre Gewinninteressen und die konservativen Parteien. Die sozialistischen und sozialdemokratischen Parteien Europas haben die Seiten gewechselt und sich auf die Seite des Kapitals geschlagen. Solange sie dort bleiben, haben sie keine Chance mehr.

Zu welchen Themen muss die deutsche Linke eine Antwort geben und in den Vordergrund rücken, um an Kraft zu gewinnen und wie muss sie diese in der Praxis anpacken?

Sie muss glaubwürdig die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Rentnerinnen und Rentner vertreten. Die mit uns konkurrierenden Parteien haben den Sozialstaat abgebaut, Löhne gedrückt und die gesetzliche Renten zerstört. Diese Politik vertritt auch die neue Rechte in Deutschland, die AfD, die von vielen Wählerinnen und Wählern trotz ihres Programms aus Wut und Enttäuschung gewählt wird. Die Linke darf nicht denselben Fehler machen, wie die traditionellen sozialdemokratischen und sozialistischen Parteien und den Eindruck erwecken, als stünde die Vertretung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, Rentnerinnen und Rentnern nicht nach wie vor im Mittelpunkt ihrer Politik. Da die Medien auf der Seite des Kapitals stehen, muss die Linke noch stärker als bisher die sozialen Medien nutzen. Immer mehr Menschen haben das Spiel durchschaut: Die öffentliche Diskussion ist von „Fake-News“ im Interesse der Wohlhabenden bestimmt.

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