Written by 11:31 HABERLER

Unbefristete Verlängerung der Militäroperationen?

Der Bombenanschlag am 13. November auf der Istanbuler Istiklal-Promenade mit 6 Toten und 81 Verletzten wird dafür instrumentalisiert, die politische Stimmung mit Fakenews und Kriegstreiberei zu überfluten. So soll eine Grauzone geschaffen werden, in der die Wahrheit nach Belieben manipuliert werden kann, genauso, wie es sich die AKP-Administration wünscht!

Allerdings wird es diesmal nicht ohne weiteres möglich sein, dieses Vorhaben umzusetzen. Die Bemühungen, die grenzüberschreitenden Militäroperationen damit zu begründen, für den Bombenanschlag sei angeblich die PKK/YPG verantwortlich, sind haltlos. Diese Inszenierung des Innenministers Soylu wurde bereits in den ersten Stunden nach dem Anschlag deutlich. Berichte – selbst in den regierungsnahen Medien wie der Tageszeitung Sabah- setzten die Glaubwürdigkeit der offiziellen Erklärungen herab.

SABAH FÜHRT SOYLUS SPEKULATIONEN AD ABSURDUM

Demzufolge soll Alham Albashir, die vermeintliche Attentäterin, in ihrer ersten Vernehmung ausgesagt haben, ihr Bruder habe eine hochrangige Position in der Freien Syrischen Armee (FSA), dem islamistischen Verbündeten der Türkei und ihre ganze Familie sympathisiere mit der FSA. Sie selbst sei von der YPG wegen Spionage für die FSA für einen Monat inhaftiert worden. Die Polizeibehörden in Istanbul und der Innenminister Soylu zogen sie es trotzdem vor, die Lüge zu verbreiten, Albashir sei von der YPG als Agentin ausgebildet und nach Istanbul gesendet worden. Denn so sah die Wahrheit aus, die sie sich wünschten.

Dass Sabah als Hauptsprachrohr der Regierung mit der Veröffentlichung des Vernehmungsprotokolls ihre Wahrheitspflicht erfüllen wollte, ist kaum anzunehmen. Mit ihrer Berichterstattung trug sie zwar der Wahrheitsfindung bei. Dass sie Soylus Lügengebäude zum Sturz brachte und damit die Grundlage für Soylus Erklärungen zerstörte, ist jedoch wohl auf den AKP-internen Konflikt zwischen Soylu und dem Exminister Berat Albayrak zurückzuführen.

IST EINE MILITÄROPERATION OHNE GENEHMIGUNG VON RUSSLAND UND USA MÖGLICH?

Wenn es um eine türkische Militäroperation im syrischen Territorium geht, wird zwangsläufig die Frage nach der Legitimation durch die USA und Russland aufgeworfen. Denn der syrische Luftraum ist unter russischer Kontrolle und ohne Genehmigung ist es nicht möglich, dass die türkische Luftwaffe in den syrischen Luftraum fliegt.

Auf der anderen Seite wiederum hatte das US-Generalkonsulat in Erbil zwei Tage vor dem Beginn von bevorstehenden türkischen Luftangriffen im Norden Syriens und im Irak gewarnt und US-Bürger zum Verlassen der Regionen aufgerufen. Man hat sich also mindestens ausgetauscht.

Allerdings erklärte Erdoğan, er habe weder mit Biden noch Putin über dieses Thema gesprochen und bestritt, ihre „Erlaubnis“ eingeholt zu haben. Auf die Frage eines Journalisten, ob die Türkei auch eine Bodenoffensive erwäge, antwortete Erdoğan, es könne „nicht die Rede davon sein, dass es nur bei einer Luftoperation bleibt.

Die heikle Frage nach „Erlaubnis“ kann Erdoğan bei Luftangriffen gegen die Kurden sicherlich irgendwie überspielen. Allerdings wird es unumgänglich sein, dass die Türkei bei einer „Bodenoffensive“ auf grünes Licht von den USA und/oder Russland warten muss, also Verhandlungen und eine Einigkeit stattfinden werden.

BRAUCHT ERDOĞAN EINE UNBEFRISTETE MILITÄROPERATION?

Russland forderte die Türkei auf, Besonnenheit zu bewahren und Schritte zu meiden, die die Lage eskalieren würden. Auch aus den USA kamen ähnliche Reaktionen. Die Chefin der Ankara-Redaktion der Tageszeitung Hürriyet, Hande Fırat, schrieb in ihrer Kolumne, “Die Codes der nicht endenden Operation Klaue-Schwert (Pençe Kılıç)” seien eine Fortsetzung der vorangegangenen Militäroperationen, neue würden folgen. Ihre Prognosen stützt Fırat auf die Aussagen von Erdoğan. Denn das Motto, die nächsten Monate politisch zu überleben, bildet die Grundlage der Strategie Erdoğans für die bevorstehenden Wahlen, die er unter normalen Umständen nicht gewinnen könnte. Auch wenn er seinen Einfluss eingebüßt hat, würden grenzüberschreitende Militäroperationen ihm in die Karten spielen. Damit könnte er auch die Kapitalbesitzer wieder an sich binden, die er zuletzt vergrault hatte.

MAN MUSS SICH AUCH IN DER PRAXIS DIESER POLITIK WIDERSETZEN

Ja, mit grenzüberschreitenden Operationen verfolgt die Regierung eher das Ziel, die Innenpolitik zu beeinflussen, als die Außenpolitik zu gestalten. Allerdings stellen sich weder das aus sechs Parteien bestehende bürgerliche Oppositionsbündnis, noch Politiker und Journalisten, die der AKP-Außenpolitik kritisch gegenüberstehen, gegen die Militäroperationen im Ausland. Vielmehr möchten sie in der Außenpolitik Differenzen beilegen und wünschen der türkischen Armee „gutes Gelingen“. Wegen ihrer „politischen Erbsubstanz“ sind sie nicht davor gefeit, sich der Politik Erdoğans und seines Regierungsbündnisses zu unterwerfen.

Dabei müssten sie aktuell nicht nur gegen die Wirtschafts-, Innen- und Außenpolitik ins Felde ziehen und ihre eigenen Alternativen verkünden. Vielmehr wäre es angebracht, gegen die konkreten Folgen dieser Politik auch praktisch zu kämpfen: Den Weg für den Protest breiter Massen gegen die Politik der Umverteilung von unten nach oben zu ebnen; sich gegen die Repression, die unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung verstärkt wird und selbst das Verbot der HDP umfasst, und für den Erhalt demokratischer Errungenschaften und Freiheiten einzusetzen und sich in der Außenpolitik gegen Militäroperationen auszusprechen und für eine friedliche Lösung der regionalen Probleme einzusetzen, die imperialistische Interventionen ablehnt und die Brüderlichkeit der Völker auf die Fahnen schreibt. Das sind die Aufgaben der Opposition heute.

Eine „Normalisierung im Wahlkampf“ zu erreichen und die Sicherheit der Wahlen zu gewährleisten, wird auch nur dann möglich sein, wenn die Kräfte, die sich gegen Erdogan-Administration stellen, sich für einen gemeinsamen Kampf für diese Ziele zusammenschließen.

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