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Unbefristeter Streik der Textilarbeiter in Gaziantep – Gouverneur verhängt Aktionsverbot

Mahir Şahin – Oktay Demirel

Die wachsende Unzufriedenheit in der türkischen Bevölkerung über die geringen Erhöhungen von Mindestlohn und Rentenzahlungen sorgt weiterhin für Proteste. Präsident Erdoğan hatte zum Jahresbeginn deutliche Steigerungen versprochen. Tatsächlich wurde der Mindestlohn jedoch nur um 30 Prozent, die Renten der Angestellten im öffentlichen Dienst und der Beamtenpensionäre um 11,54 Prozent sowie die Renten der Arbeiter um 15,75 Prozent erhöht. Gleichzeitig wurden zum 1. Januar 2025 die Steuern um 44 Prozent angehoben. Experten zufolge steigt die Mehrwertsteuer (MwSt.) im Vergleich zum Vorjahr um 81 Prozent, die Sonderverbrauchssteuer (ÖTV) um 51 Prozent. Für Rentner und Arbeiter im Niedriglohnsektor bedeutet dies, dass sie kaum über die Runden kommen werden.

Unmut gegen Regierung wächst

Wochenlang gingen daher landesweit zahlreiche Arbeiter auf die Straßen, darunter auch in Gaziantep, der Textilmetropole im Südosten der Türkei nahe der syrischen Grenze. Dort befinden sich die Beschäftigten aus inzwischen 20 Fabriken im Arbeitskampf. Sie fordern menschenwürdige Lohnerhöhungen und Gewerkschaftsrechte und lehnen die angebotenen Hungerlöhne ab. Einige Arbeitgeber hatten zuvor Lohnerhöhungen weit unterhalb der Inflationsrate angeboten. Tarifverträge sind in Gaziantep bislang eine Seltenheit, denn das Industriegebiet Başpınar gilt als gewerkschaftsfreie Zone. Die türkische Gesetzgebung verlangt, dass Gewerkschaften mindestens 50 Prozent der Belegschaft in einem Betrieb und 10 Prozent der gesamten Branche organisieren müssen, um Tarifverträge abschließen zu dürfen – ein Relikt des Militärputsches von 1980, als alle Gewerkschaften zerschlagen wurden. Derzeit arbeiten in der Türkei weniger als 5 Prozent der Beschäftigten in tarifgebundenen Betrieben.

„Frieden der Stadt wahren“

In Gaziantep sind Armutslöhne weit verbreitet, und Tausende Beschäftigte widersetzen sich diesen Bedingungen. So liegt der durchschnittliche Monatslohn vieler Textilarbeiter bei lediglich 12.000 Lira – deutlich unterhalb der Armutsgrenze. Die Gewerkschaft BIRTEK-SEN unterstützt den Arbeitskampf und organisiert die Streiks. Trotz eisiger Temperaturen harren die Arbeiter vor den Fabriktoren aus und blockieren die Zufahrten. Eine für den 14. Februar geplante zentrale Kundgebung mit allen Streikenden wurde jedoch vom Gouverneur einen Tag zuvor verboten. Zudem verhängte die Behörde ein 15-tägiges Versammlungsverbot, um den „Stadtfrieden zu wahren“. Mit Polizeigewalt wurden die Streikzelte geräumt und der Vorsitzende der Gewerkschaft BIRTEK-SEN, Mehmet Türkmen, vor seiner Wohnung festgenommen. Nach landesweiten Protesten kam er am Abend wieder frei.

Türkmen erklärte nach seiner Freilassung: „Der Arbeitgeber warf uns vor, die Arbeiter zum Streik angestiftet zu haben, was ihm finanzielle Verluste eingebracht habe. Deshalb wurde ich wegen >Behinderung der Arbeitsfreiheit< festgenommen.“ Er kritisierte die Behörden scharf: „Diese Vorfälle zeigen, dass Gouverneure und Staatsanwälte nicht nach Recht und Gesetz, sondern nach den Anweisungen der Arbeitgeber handeln.“

Türkmen wies auf die unmenschlichen Arbeitsbedingungen und den unzureichenden Konsequenzen bei Arbeitsunfällen hin: „Wir haben noch keinen einzigen Arbeitgeber in Gewahrsam gesehen, obwohl Arbeiter wegen mangelnder Sicherheitsvorkehrungen gestorben sind.“ Er fügte hinzu: „Als die Ruhe der Arbeitgeber gestört wurde, wurde in der Stadt ein Ausnahmezustand ausgerufen. Die Rechte der Arbeiter werden mit Füßen getreten und der Einsatz von Polizei und Behörden zur Unterdrückung der Proteste zeigt die Härte, mit der gegen die Beschäftigten vorgegangen wird. Doch sobald paar Arbeitgeber unzufrieden sind, reagiert die Stadt sofort.“ Trotz des Aktionsverbots zeigte sich Türkmen entschlossen: „Wir fordern die sofortige Aufhebung des Verbots und bessere Arbeitsbedingungen. Die Arbeiter von Başpınar werden vereint bleiben und den Kampf gegen das Elendsregime fortsetzen.“

Mehr Solidarität notwendig!

In mehreren Städten der Türkei kam es zu spontanen Solidaritätsaktionen. Iskender Bayhan, Abgeordneter der Partei der Arbeit (EMEP), griff das 15-tägige Versammlungsverbot im Parlament auf, zerriss symbolisch das Dekret und sagte: „Die Arbeiter und Werktätigen werden sich diesem Verbot widersetzen, und wir stehen fest an der Seite der Kollegen in ihrem Kampf um menschenwürdige Arbeits- und Lohnbedingungen.“

Auch aus Deutschland kam Unterstützung, insbesondere durch Solidaritätsbotschaften von Organisationen wie der Föderation Demokratischer Arbeitervereine (DIDF), die den Arbeitskampf aktiv unterstützen. Die DIDF erklärte in einer Pressemitteilung: „Wir unterstützen den gerechten Kampf der Arbeiter. Die Behörden handeln nach den Wünschen der Konzerne und hindern die Arbeiter daran, sich für ein menschenwürdiges Leben und ihre Rechte einzusetzen. Wir verurteilen die Gewalt gegen die Beschäftigten und die unrechtmäßige Festnahme des Gewerkschaftsvorsitzenden Mehmet Türkmen. Das Streikrecht darf nicht angegriffen werden. Diese staatliche Unterstützung für das Vorgehen der Arbeitgeber muss sofort beendet werden.“

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