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Verzicht auf Grundrechte für ein Gefühl von Sicherheit?

Yücel Özdemir

Rolf Gössner ist Rechtsanwalt, Publizist und Bürgerrechtsaktivist. Er ist Kuratoriumsmitglied der Internationalen Liga für Menschenrechte (Berlin), Mitherausgeber der Zeitschrift „Ossietzky“ sowie des „Grundrechte-Reports“. Wir haben mit ihm über die Verschärfung der Landespolizeigesetze und die Einschränkung von Grundrechten gesprochen.

Viele Bundesländer verschärfen ihre Polizeigesetze. Was passiert hier und warum?

Tatsächlich haben viele Bundesländer die Verschärfungen ihrer Polizeigesetze bereits eingeführt, etwa Baden-Württemberg und Bayern mit den schärfsten Regelungen. Es stehen u.a. noch Brandenburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen aus. Dabei geht es um neue „präventive“ Aufgaben und Überwachungsbefugnisse der Polizei – womit eine problematische Präventionsentwicklung fortgeführt wird: Die Polizei ist nicht mehr nur tätig zur Aufklärung von Straftaten und zur Abwehr konkreter Gefahren, sondern schon weit im Vorfeld möglicher Straftaten oder denkbarer künftiger Gefahren.

Was bedeutet das genau?

Das bedeutet die Ausweitung des Gefahrenbegriffs und eine Erhöhung staatlicher Kontrolldichte. Nach manchen Polizeigesetzen oder –entwürfen kann eine ‚dringende‘ oder ‚drohende Gefahr‘ schon zu schwerwiegenden Eingriffen in Grundrechte von Betroffenen führen. Es geht dabei um mutmaßliche Gefahren, die künftig drohen könnten. Bildlich gesprochen: Die Polizei soll schon vor dem potentiellen „Täter“ am Tatort sein, dessen Umfeld ausforschen oder ihn in Präventivhaft nehmen dürfen – ja, womöglich bevor dieser überhaupt einen Tatplan gefasst hat. Hier geht es um bloße Mutmaßungen in die Zukunft – entsprechend vage und schwammig sind diese Befugnisnormen formuliert.

In einer vernetzten Welt kann fast jede/r von Überwachung betroffen sein“

Solche Formulierungen können also auf alles Mögliche angewendet werden?

Oder anders ausgedrückt: Diese Formulierungen sind recht ‚willküranfällig‘. Zwar werden die Verschärfungen mit zunehmenden terroristischen Gefahren begründet, besonders durch islamistische Terroristen. Doch die Gefahr besteht, dass sich durch weit gefasste Normen der Kreis der Betroffenen rasch erweitern kann. So erhält die Polizei u.a. die Möglichkeit, sich in Informationssysteme einzuhacken, um Schad-Software – die bekannten „Staatstrojaner“ – auf Computer und Smartphones von möglicherweise Verdächtigen einzuschleusen, um sie auszuforschen. Das ist nicht nur ein schwerer Eingriff in Grundrechte der Betroffenen, sondern auch von bloßen Kontaktpersonen. In einer vernetzten Welt können das sehr viele sein, die dann auch ausgeforscht werden. Und da Staatstrojaner über Sicherheitslücken eingeschleust werden, sind auch das ganze IT-System und damit die Allgemeinheit in Gefahr. Denn über diese Lücken können auch andere Hacker, Betrüger, Erpresser, Terroristen in die Systeme einbrechen und Schaden anrichten.

Es heißt doch immer, das betreffe lediglich „gefährliche Terroristen“ …

oder solche, die dafür gehalten werden und noch viele mehr. Nehmen wir das Beispiel der elektronischen Fußfessel zur Überwachung sogenannter ‚Gefährder‘ – das sind Menschen, die keine Straftaten begangen haben, denen die Polizei aber zutraut, künftig solche zu begehen. Also müssten sie doch als unschuldig gelten – trotzdem können gegen sie Aufenthalts- und Kontaktverbote verhängt werden, sie können in elektronische Fußfesseln gelegt und über GPS wochen- und monatelang überwacht werden, um eventuell mögliche Straftaten zu verhindern.

Auch elektronische Fußfesseln verhindern keine Anschläge“

Lassen sich damit terroristische Anschläge tatsächlich verhindern?

Nicht unbedingt, wie die Praxis zeigt: Denn auch Fußfesselträger haben schon Straftaten, sogar Attentate, begangen. Dennoch soll nach den neuen Polizeigesetzen die Fußfessel im Fall der Weigerung auch zwangsweise durchgesetzt werden. Wer sich dagegen zur Wehr setzt, dem werden bis zu zwei Jahre Haft oder Geldstrafe angedroht. Auch Präventivhaft kann gegen sog. „Gefährder“ verhängt werden – in Niedersachsen bis zu 74 Tage (geplant), in Bayern sogar ohne Obergrenze. Diese Bestrafung Unschuldiger dürfte wohl unverhältnismäßig sein.

Wird die Bundesrepublik zum Polizeistaat?

Wir befinden uns auf dem Weg in Richtung eines präventiven Sicherheitsstaats, der seit 9/11 mit einer ausufernden Antiterrorpolitik längst bedrohliche Konturen angenommen hat. Ein Staat, der sich nicht mehr nur auf Straftatenaufklärung und Gefahrenabwehr in konkreten Bereichen beschränkt, sondern weit darüber hinaus im Vorfeld tätig wird und überwacht – und zwar schon in Bereichen, wo eigentlich Geheimdienste zuständig sind. Das heißt, wir haben hier das Problem der Überschneidung von Geheimdienst- und Polizeiarbeit. Ich würde nicht von Polizeistaat reden. Das ist ein Uralt-Begriff aus Zeiten, in denen es die digitalen Überwachungsmöglichkeiten – etwa präventive Telekommunikationsüberwachung und Online-Durchsuchung von Computern – noch nicht gab. Solche gravierenden Eingriffe geschehen geheim, so dass die Betroffenen davon nichts mitkriegen und sie sich deshalb auch rechtlich kaum zur Wehr setzen können.

Es gibt starken Protest gegen diese Entwicklung. Dennoch will die Mehrheit diese Art von Sicherheit – oder?

Das Problem ist, dass „gefühlte“ Sicherheit und reale Sicherheit hierzulande weit auseinanderdriften. Viele Menschen nehmen für unhaltbare Sicherheitsversprechen der Politik selbst maßlose Freiheitsbeschränkungen in Kauf – letztlich auch die Folge einer Politik mit der Angst. Doch damit wird gerade das beschädigt, was es doch zu schützen gilt: Demokratie und Rechtsstaat, Freiheit und Bürgerrechte.

Auf der anderen Seite regt sich aber auch heftiger Protest gegen diese Entwicklung, der von breiten zivilgesellschaftlichen Bündnissen unter Beteiligung vieler Bürgerrechts- und Datenschutz-Organisationen getragen wird. Das lässt hoffen. In Bremen gab es einen ersten Erfolg: Dort haben die mitregierenden „Grünen“ den Gesetzgebungsprozess aufgekündigt, weil ihnen der Entwurf zu weit geht. Gegen bereits beschlossene Gesetze können Verfassungsbeschwerden eingelegt werden, so wie bereits gegen Polizeigesetze des Bundes und Bayerns.

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