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Wenn Menschen zum politischen Spielball werden

Maike Reichartz

Illegale Pushbacks, neue Zäune und erneut menschenverachtende Zustände. An der polnisch-belarussischen Grenze zeichnet sich erneut das politische Versagen der europäischen Migrationspolitik ab. Es scheint bereits seit mehreren Jahren nicht mehr um humanitäre Hilfe und die Einhaltung der Menschenrechte zu gehen, sondern nur um politische Machtkämpfe sowie die ignorante Grundhaltung einzelner Mitgliedsstaaten, die Einhaltung der Genfer Flüchtlingskonvention zu verweigern.

Polen und Belarus: ein politischer Machtkampf – ausgetragen auf dem Rücken von Geflüchteten

Was sich die letzten Wochen im polnisch-belarussischen Grenzgebiet abspielt, gibt tiefe Einblicke in die politischen Konflikte zwischen den EU-Mitgliedsstaaten. „Vollste Solidarität mit Polen“ heißt es von diversen deutschen Politikern, doch was bedeutet das eigentlich? Solidarität mit illegalen Pushbacks, Solidarität mit Gewalt gegenüber Schutzsuchenden und Solidarität mit der stetigen Verletzung von Menschenrechten.

Seit Lukaschenko Ende Mai 2021 bekannt gegeben hat, Geflüchtete nun nicht mehr an der Einreise nach Europa zu hindern, spitzt sich die Lage an der Grenze stetig zu. Lukaschenko soll Flüchtende sogar dazu aufgefordert und animiert haben, die Fluchtroute über Belarus zu nutzen, um sie als politisches Druckmittel gegenüber den anderen EU-Mitgliedsstaaten nutzen zu können. Denn erst vor wenigen Monaten kündigte die EU umfassende Wirtschaftssanktionen gegenüber Belarus an aufgrund der politischen Ereignisse in Belarus selbst.

So werden Menschen, welche vor Krieg, Verfolgung und menschenunwürdigen Lebensbedingungen fliehen, als politischer Spielball für innereuropäische Konflikte genutzt. Sie werden entmenschlicht und kriminalisiert, als „Erpressungsmittel“ bezeichnet und ihre Lebensrealitäten verwischt.

Die Geflüchteten wandern über mehrere Tage durch Wälder und unbekanntes Territorium, müssen im Freien bei Minusgraden, Nässe und Unwettern schlafen und haben kaum bis keinen Zugang zu Lebensmitteln oder Wasser. Angekommen am Grenzgebiet werden sie von einem meterhohen Stacheldrahtzaun begrüßt, welcher ihnen den Übertritt auf polnisches Gebiet regelrecht verunmöglicht. Gleichzeitig gibt es auch keine Möglichkeit auf Rückkehr, da belarussische Einsatzkräfte sie dort erwarten und abermals an den Grenzzaun zurückverweisen.

So sind die Betroffenen dazu gezwungen, sich im Grenzgebiet dauerhaft aufzuhalten, auch wenn es dort bis vor Kurzem keine Unterbringungsmöglichkeiten, keinerlei Zugang zu medizinischer Versorgung oder Nahrung gab. Ausgerechnet Belarus zeigte sich nun kooperativ und sorgte zumindest für eine kurzfristige Unterbringung in Lagerhallen sowie warmen Mahlzeiten. Eine Regierung, welche die Geflüchteten erst in diese Lage gebracht hat, spielt sich nun als Rettungsstaat für humanitäre Hilfe auf – ironisch, oder?

Aber auch auf Seiten der anderen EU-Mitgliedsstaaten scheint die Doppelmoral nicht weniger zu werden: NGOs sollen nun dabei unterstützt werden, humanitäre Hilfe zu leisten. Gleichzeitig gibt es aber Solidaritätsbekundungen mit Polen und die klare Ansage: Wir nehmen keine Geflüchteten auf. Nun ist nicht nur geplant, einen meterlangen Grenzzaun an der polnisch-belarussischen Grenze aufzubauen, sondern es soll eine Betonmauer dafür sorgen, dass Geflüchtete ihr Grundrecht nicht in Anspruch nehmen dürfen.

Auf rechtlicher Ebene geht Polen sogar noch einen Schritt weiter: Erst Ende Oktober verabschiedete die polnische Regierung ein neues Gesetz, welches örtliche Grenzschützer dazu befähigt, Schutzsuchende ohne ein offizielles Asylverfahren oder überhaupt die Ermöglichung zur Beantragung auf Asyl zurückzuweisen. Dieses Gesetz steht gegen die UN-Menschenrechtskonvention, die Charta der Grundrechte der Europäischen Union und die Dublin-Verordnung der EU. Es ermöglicht die Legalisierung von Pushbacks und kann damit zu einem Präzidenzgesetz für alle weiteren Mitgliedsstaaten verstanden werden, insofern rechtlich nicht sofort dagegen vorgegangen wird.

EU-Migrationspolitik: ignorant und menschenverachtend

Auch 2020 spielte sich eine ähnliche Lage an der Grenze zwischen der Türkei und Griechenland ab. Die türkische Regierung wollte politischen Druck ausüben, da die EU sich nicht an die finanziellen Verpflichtungen aus dem Flüchtlingspakt von 2016 hielt. Die Türkei öffnete die Grenze und ermöglichte vielen Flüchtenden damit die Weiterreise nach Griechenland. Dort wurden sie mit Tränengas, Wasserwerfern und Gummigeschossen begrüßt. Auch hier war die Message eindeutig: Wir wollen euch hier nicht.

Andere EU-Mitgliedsstaaten sprachen ihre Unterstützung aus, beispielsweise bei der Bereitstellung von weiteren Kräften für den effektiven Grenzschutz.

Jetzt fordert Lukaschenko von den europäischen Mitgliedsstaaten ein, 2000 Geflüchtete aufzunehmen. Im Gegenzug wolle er 5000 Geflüchtete wieder in ihre Herkunftsländer senden. Beide politischen Seiten verkennen hier eindeutig, dass es sich hierbei um real existierende Menschen und nicht um Warengüter handelt.

So hat Seehofer erst kürzlich bekannt gegeben, dass er diesen ‚Deal‘ als absolut inakzeptabel erachtet. Was mit den Menschen dort passiert, scheint den politischen Akteuren innerhalb der EU völlig egal zu sein.

Es fehlt am politischen Willen

Wir müssen nur nach Moria schauen – eines der bekanntesten Aufnahmelager für Geflüchtete. Hier leben die Menschen unter unwürdigen Bedingungen und das seit Jahren. Von Maden im Essen bis zum Schlafen in Zelten bei Minusgraden im Winter und das ist nur eine stark verkürzte Darstellung der prekären Lebenssituation.

Sie haben keinen Zugang zu psychosozialer Unterstützung, medizinischer Versorgung oder Bildung. Hier werden auf Menschenrechte mit Füßen getreten.

Es gab unzählige Versuche, die Aufnahme von Geflüchteten zu ermöglichen.

Doch immer wieder entschieden sich politische Akteure gegen die Aufnahme der Geflüchteten. Man wolle angeblich kein Signal an andere Menschen senden, sich auch auf den Weg nach Europa zu machen. Sichere Fluchtwege und faire Asylverfahren scheinen keinerlei Zuspruch auf Seiten der Regierenden zu finden und das, obwohl sich mittlerweile über 260 Kommunen deutschlandweit dazu bereit erklärt haben, Geflüchtete in ihren Städten aufzunehmen.

Auch während der Formierung der neuen Ampel-Koalition wird deutlich, dass es keine Wende im Umgang mit Geflüchteten geben wird. Ausgerechnet die Grünen, welche sich im Wahlkampf immer wieder positiv zur Aufnahme von Geflüchteten geäußert hatte, möchte jetzt eine Informationskampagne in den Herkunftsländern starten, um Menschen von der Flucht über Belarus abzuhalten.

Aber auch die SPD, welche vorher bei der Ablehnung zur Aufnahme von Geflüchteten mit dem Koalitionszwang argumentierte, hält sich in der Frage über die Aufnahme von Geflüchteten aus Belarus bedeckt.

Nur Heiko Maas sendete eine ausdrückliche Botschaft: Wir nehmen niemanden auf.

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