Written by 10:08 HABERLER

„Wie toll ist es doch, ein Märtyrer zu werden“

Aziz Aslan

Dieses Zitat in der Überschrift ist nicht von der schauerlichen und aus den Tiefen der Finsternis entstandenen IS. Das ist, so unglaublich das auch seien mag, ein Zitat aus einer Kinderzeitschrift der Behörde für religiöse Angelegenheiten in der Türkei (Diyanet). In der April-Ausgabe der von dieser Behörde herausgegebenen monatlichen „Zeitschrift für Kinder“, geht es um das Thema des Märtyrers und des Märtyrertodes. Darin sind in der Darstellungsform eines Comics die Gespräche einer Familie zum Thema Märtyrer und Märtyrertod wiedergegeben. Es soll der Anschein einer gewöhnlichen Familie erweckt werden. In den sich über den Köpfen der Figuren befindenden Sprechblasen sind allerdings Ratschläge des Vaters zu lesen, „Wie toll ist es doch, ein Märtyrer zu werden“. Der Sohn antwortet drauf: „Aber Papa, wie kann man sterben wollen?“ und die Antwort des Vaters kommt schlagartig: „Selbstverständlich will man zum Märtyrer werden! Wer will denn nicht den Himmel gewinnen!“ Unter dem ersten Segment dieser Karikatur wird der Prophet Mohammed zitiert: „Der Märtyrer möchte am liebsten 10 mal auf die Erde zurückkehren und erneut zum Märtyrer werden, wenn er die Ehre und die Gaben erblickt, die der Himmel ihm bietet!“

Auf diesem Niveau geht die komplette Unterhaltung in diesem „Comic“ weiter. Eine staatliche Behörde, die den Kindern und Familien nahebringt -sie geradezu dazu auffordert- Märtyrer zu erziehen und zu werden! Weiter in den Darstellungen ist zu lesen, wie die junge Tochter mit großen Augen, förmlich berauscht von den Versprechen auf ein fantastisches Leben im Jenseits nach dem Tod als Märtyrer sagt: „Wenn ich doch auch ein Märtyrer werden könnte“, worauf der Bruder antwortet: „Aber das geht doch gar nicht, du kannst nicht zum Militär“ (In der Türkei gilt der Tod eines Soldaten als Märtyrertod). Genau da schaltet sich die Mutter in die Diskussion ein: „Keine Sorge mein Schatz, wenn du es so sehr willst, wird Allah dir diese Mitzwah [ein religiöse Pflicht, die Segen bringt, Anm. d. Übersetzer] gewähren inschallah [so Gott will, Anm. d. Übersetzers]!“. Auch unter diesem Segment wird anschließend der Prophet zitiert: „Wenn jemand von ganzem Herzen auf Allahs Wege ein Märtyrer werden möchte, es aber nicht wird, wird ihm der Märtyrer-Mitzwah gewährt!“

Die Anspielung darauf, dass Frauen nicht zum Militär gehen, ist nicht ohne Grund in diesen Dialog eingesetzt. Nach Berichten der türkischen Presse hat innerhalb der Regierung eine Diskussion begonnen, ob Frauen ebenfalls zum Militärdienst gerufen werden sollen. Erst kürzlich hat die Regierung die offiziellen Zahlen der getöteten Soldaten und Sicherheitskräfte während der „Einsätze“ in den kurdischen Gebieten veröffentlicht. Bis zu diesem Datum der Bekanntmachung vor ca. einer Woche sollen 300 Militärangehörige und Polizisten getötet worden sein. Kritiker und Opposition sprechen von weit über 400 Toten.

Die Regierung weiss, dass irgendwann das nationalistische Gejohle nicht mehr haften wird, und die Menschen langsam anfangen, unruhig zu werden und sich fragen, wie es denn so weiter gehen soll. Da soll die Verherrlichung eines „Märtyrers“ diesem wachsenden Unmut entgegenwirken.

Im dritten Segment des „Comics“ befinden sich Papa und Sohn an einem Friedhof für Soldaten. An jedem Grab schwenkt die türkische Fahne. Der naive Sohn fragt den Vater bedauernd: „ Wer weiß welche Schmerzen sie erleiden mussten, als sie Märtyrer wurden, nicht wahr Papa?“ und der Vater antwortet: „Märtyrer erleiden keinen Schmerz, wie du ihn dir vorstellst mein Sohn!“. Neben diesem Segment wird wieder Mohammed zitiert: „Der Schmerz beim Märtyrertod wird lediglich so stark gespürt, als ob ihr gekniffen werdet!“

Es ist ein Skandal auf welcher Seite die Behörde für religiöse Angelegenheiten hier Position bezieht und welchem Gedankengut und welcher Ideologie sie sich bedient. Erschüttert von den Selbstmordattentaten des sogenannten IS, die bereits tausende Menschen in den Tod gerissen haben, mit ihren Bombenanschlägen, sät diese Behörde gerade diese Lebensweise eines Märtyrers den jüngsten Kindern in den Kopf. Es ist verwerflich, wie solch eine menschenverachtende Ideologie legitimiert wird oder das Dasein eines Märtyrers als erstrebenswert dargestellt wird und mit einem Versprechen auf ein besseres Leben im Jenseits kleine Kinder indoktriniert werden.
Gerade diese Behörde ist in den vergangenen Jahren immer mehr zu einem wichtigen politischen Arm der AKP geworden. Dies wird auch deutlich und mit breiter Brust nach außen repräsentiert. Nicht anders kann man es sich erklären, dass dieser Behörde Milliarden zur Verfügung gestellt werden, um unter anderem solch ein Gedankengut innerhalb der Bevölkerung einzupflanzen. Dies ist auch bei weitem nicht das erste Mal. Erst vor kurzem sorgte die Behörde für einen Skandal, als auf der Internetseite eine religiöse Information mitgeteilt wurde. Dieser lautete: „Еs ist keine Sünde, wenn der Vater gegenüber seiner eigenen Tochter eine Wollust verspürt. Später wurde diese Aussage als „Übersetzungsfehler aus dem Arabischen“ zurückgezogen.
So reiht sich dann auch die Aussage der aktuellen Ministerin für Familie und soziale Aktivitäten, Sema Ramazanoglu, in das Bild ein, nachdem aufgedeckt wurde, dass über 45 Kinder von Mitgliedern der regierungsnahen Stiftung „Еnsar vergewaltigt wurden: „Wegen jeweils einmaliger Vergewaltigung kann man doch nicht eine Institution, die so wertvolle Arbeit für unsere Gesellschaft leistet, so in den Dreck ziehen! hatte sie erklärt, woraufhin viele ihren Rücktritt forderten. Bisher erfolglos, wie bei der AKP nicht unüblich!

Ebenso skandalös war die Aussage von Emine Erdogan, der „First Lady“ der Türkei: „Der Harem ist die Bildungsstätte einer jeden Frau“. Im Hinblick darauf, ist es besorgniserregend, dass diese Behörde für religiöse Angelegenheiten vor allem in den letzten Jahren ihren Fokus stark in die „Jugendarbeit“ gelegt hat.

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