Wir haben uns mit Ceyda Tutan, der Vorsitzenden des Bundesverbandes der Migrantinnen in Deutschland über den bevorstehenden Weltfrauentag am 8. März unterhalten, insbesondere im Hinblick auf die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Frauen und ihre Folgen.
Wird die Krise eine Gefahr für die Gleichstellung?
Von der Corona-Pandemie sind Frauen ganz besonders betroffen. Die Ungleichheiten zwischen Männer und Frauen werden noch deutlicher sichtbar. Frauen werden in traditionellen Rollen zurückgedrängt und sie stehen unter enormer beruflicher Belastung. Wenn wir von Gleichstellung sprechen, dann zeigt uns die Corona-Pandemie wie ein Brennglas deutlich die Ungleichheiten auf, auf die wir schon seit unserer Gründung hinweisen und gegen die wir kämpfen. Die Corona–Krise hat weitreichende soziale und wirtschaftliche Folgen und auch Folgen für die Gleichberechtigung und Gleichstellung der Frauen. Geringverdienerinnen, insbesondere Frauen mit Migrationshintergrund, die in den sogenannten Minijobs arbeiten, haben schnell ihren Job verloren und stehen nun ohne ein Einkommen und Absicherung da, was sie auch wiederum in eine wirtschaftliche Abhängigkeit in der Partnerschaft drängt.
Der Verlust von Arbeitsplätzen und drohende Kündigungen oder beispielsweise der geplante Stellenabbau bei H&M, welcher insbesondere junge Mütter treffen soll, zeigt, dass gerade Frauen diskriminiert werden und sie die Krise besonders hart trifft. In Berufsgruppen, wie Reinigungsberufe, Verkaufsberufe sowie Erziehungs- und Sozialberufe, in denen mehrheitlich Frauen prekär beschäftigt sind, ist das Einkommen unterdurchschnittlich und nicht ausreichend und die psychischen und physischen Belastungen überdurchschnittlich. Neben dem fehlenden Personal in der Pflege und der schlechten Bezahlung haben wir ein Gesundheitssystem, das auf wirtschaftlichen Profit ausgelegt ist und nicht für alle den gleichen Zugang zur Gesundheitsversorgung ermöglicht.
Nicht zuletzt verdeutlicht der Anstieg häuslicher Gewalt die schwierige Lage der Frauen in dieser Krisenzeit. Auch wenn Deutschland die Istanbul – Konvention unterzeichnet hat, so ist die Umsetzung immer noch lückenhaft und lange nicht ausreichend um Frauen und Mädchen vor Gewalt zu schützen.
In diesen Zeiten laufen viele Dinge über die sozialen Medien. Wie werden eure Online-Angebote angenommen?
Wir haben mit dem Beginn der Pandemie recht zügig mit Online-Veranstaltungen begonnen und den Kontakt über die sozialen Netzwerke zu den Frauen gesucht. Letztendlich ist es für uns alle ein Ausnahmezustand, in dem wir jetzt schon seit einem Jahr verharren, aber die Welt steht nicht still. Mit der Pandemie kamen die Sorgen, Ängste und große Belastungen, die wir nur gemeinsam bewältigen können. Durch zahlreiche Online-Veranstaltungen haben wir den Frauen eine Plattform geboten, sich auszutauschen, sich zu informieren, sich mit den aktuellen Entwicklungen auseinanderzusetzen und sich zu positionieren. Gleichzeitig haben wir uns gegenseitig gestärkt, uns motiviert und haben auch Stellung bezogen, die wir über mediale Kanäle sichtbar gemacht haben. Die Zunahme der Gewalt gegen Frauen, die psychische Belastung zu Hause, die Auswirkungen der Pandemie im Privat- und Berufsleben, die schlechten und schwierigen Arbeitsbedingungen des Personals in den Krankenhäusern, die Impfung gegen Corona – all das waren unter anderem Themen, mit denen wir uns auseinandergesetzt haben. In dieser Zeit als Verband greifbar und ansprechbar zu sein, hat den Frauen vermittelt, nicht allein durch diese Krise gehen zu müssen und hat die Solidarität untereinander gestärkt.
Umso notwendiger ist aber auch dass Frauen gerade in diesen Zeiten auf die Straßen gehen, ihre Forderungen kundtun und diese einfordern. Wie und welche Aktionen plant ihr zum diesjährigen 8. März?
Natürlich ist der 8. März auch für uns als Bundesverband der Migrantinnen ein besonders wichtiger Tag, an dem wir unsere Forderungen auf den Straßen, bei Kundgebungen und Demonstrationen sichtbar machen und kundtun können. Deshalb werden wir auch dieses Jahr an Kundgebungen teilnehmen und diese mit organisieren, unter anderem gemeinsam in Bündnissen, wie z.B. dem Frauenstreikbündnis.
Normalerweise bereiten sich unsere Vereine mit verschiedenen Veranstaltungen auf diesen Tag vor. In den letzten Jahren war es immer so, dass wir erst auf den Straßen waren und danach verschiedene Veranstaltungen organisiert haben, bei denen unterschiedliche Gäste eingeladen wurden. Aktuelle Themen wurden diskutiert und auch gemeinsam gefeiert, dieser Teil fällt dieses Jahr leider weg. Dennoch haben sich die Frauen aus dem Verband überlegt, online kulturelle Angebote zu schaffen und in den sozialen Netzwerken präsent zu sein. Denn natürlich wollen wir trotz und gerade wegen der Pandemie unsere Forderungen sichtbar machen.
Was sind eure diesjährigen Forderungen?
Mit einem Lohnunterschied von 19% haben Frauen insbesondere in der Corona-Krise ihre Arbeitszeit reduziert, die Sorgearbeit übernommen und werden dadurch in traditionelle Rollen zurückgedrängt, deshalb fordern wir gleicher Lohn bei gleicher Arbeit.
Spätestens mit dieser Pandemie muss jetzt klar sein, dass unser Gesundheitssystem kein profitorientiertes Konstrukt sein darf. Die Profitorientierung im Gesundheitswesen muss aufhören. Die Folgen der Sparpolitik sind ein kaputtgespartes Gesundheitssystem. Krankenhäuser müssen raus aus der Privatisierung und Kommerzialisierung und sich für das Wohl der Patienten einsetzen. Der Zugang zur Gesundheitsversorgung muss für alle Menschen gleich sein, deshalb fordern wir Gesundheit statt Profite.
Wir fordern die Aufwertung der sogenannten „systemrelevanten“ Berufe. Die Beschäftigten im Gesundheitswesen müssen gerecht bezahlt werden und die Personalkapazität aufgestockt werden. Aber auch für andere Berufsgruppen fordern wir bessere Arbeitsverhältnisse für bessere Lebensbedingungen gegen Armut und soziale Ungleichheit. Insbesondere Frauen mit Migrationshintergrund arbeiten in diesen prekären Arbeitsverhältnissen oder in Minijobs und sind vom Verlust ihrer Jobs betroffen ohne jegliche Absicherung. Deshalb fordern wir für alle Beschäftigten eine Sozialversicherung ab dem 1. Euro.
Wir fordern das Wahlrecht für alle! Migrantinnen, die ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland haben, aber keine deutsche Staatsbürgerschaft besitzen, sind immer noch von diesem Recht der politischen Teilhabe ausgeschlossen. Immer noch spielt für die Einbürgerung das Einkommen der Menschen eine Rolle. Wir fordern die Abschaffung des § 218/219a. Überall auf der Welt wird das Recht von Frauen auf Schwangerschaftsabbrüche eingeschränkt oder gar aufgehoben. Wir wollen über unseren Körper und über unser Leben selbst bestimmen und fordern eine Gewährleistung und sicheren Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen.