Sevda KARACA

Das 2. Justizreformpaket wird demnächst ins Parlament eingebracht. Der Entwurf sieht zwei Punkte vor, die vor allem für Frauen eine wichtige Rolle spielen:

Zum einen ist in dem Entwurf ein Einschnitt in das Unterhaltsrecht vorgesehen.

Beim zweiten Punkt geht es um die Amnestie beim Kindesmissbrauch. D.h. Täter, die Minderjährige missbraucht haben, sollen straffrei davonkommen, wenn sie ihre Opfer heiraten. Es wurden in den vergangenen Jahren bereits zwei Versuche unternommen, eine ähnliche Regelung zu verabschieden. Beide Male wurden die Gesetzentwürfe aufgrund der starken öffentlichen Kritik zurückgezogen.

In dem vorliegenden Entwurf ist folgendes vorgesehen: Im Falle von Kindesmissbrauch soll die Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden, wenn der Altersunterschied zwischen dem Täter und dem Opfer maximal 10 Jahre beträgt und beide verheiratet werden.

2016 hatten drei AKP-Abgeordnete in einer Nacht-und-Nebel-Aktion einen ähnlichen Gesetzentwurf ins Parlament eingebracht. Der damalige Justizminister Bekir Bozdağ hatte behauptet, es handele sich bei der Tat nicht um Kindesmissbrauch, da die Beschuldigten junge, von ihren Familien verheiratete Paare seien. Die Proteste von Frauen- und Kinderschutzorganisationen hatten damals die Rücknahme des Entwurfs bewirkt.

Später organisierten die AKP-Abgeordneten eine Pressekonferenz im Parlament, auf der von ihren Familien verheiratete junge Mütter vorgeführt wurden. Sie stellten sich als Betroffene dar und vertraten die Meinung, durch die Verurteilung der Väter ihrer Kinder mache man sie ein zweites Mal zum Opfer. Die Frauenorganisationen sollten dieses Unrecht auch erkennen.

Der Justizminister Bozdağ hatte den Entwurf mit den folgenden verteidigt: “Es sind die Familien, die die Ehen arrangieren. Dann bekommen die jungen Frauen Kinder, was die Ärzte bei den Staatsanwaltschaften zur Anzeige bringen. Das endet dann für die Ehemänner im Gefängnis, die die Mütter mit ihren Kleinkindern zurücklassen. Das sind doch keine Vergewaltiger und auch keine Leute, die sich des Kindesmissbrauchs schuldig gemacht haben. Der Richter schaut nur auf das Alter der Mutter und wenn sie minderjährig ist, wird der Mann verurteilt. Heute sitzen deshalb 3.000 junge Männer in Gefängnissen.“ Nach seinen Worten sollte das Gesetz nur diese Männer betreffen und nicht in die Zukunft wirken.

Es wird also der folgende Fall geschildert: ein nicht einmal 15-jähriges Mädchen wird von seiner Familie verheiratet. Die Eheschließung erfolgt nur vor dem Imam und wird nicht standesamtlich vollzogen. Wenn die Heirat bekannt wird, erheben Staatsanwälte von Amts wegen Anklage. Trotz der Schwere der Straftat bleiben die Angeklagten während des Gerichtsverfahrens, das bis zu 10 Jahren dauern kann, auf freiem Fuß. Nach Vollendung des 15. Lebensjahres werden die Frauen mit Zustimmung der Eltern auch standesamtlich verheiratet. Wenn also der Mann zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wird, ist die Frau bereits eine 25-jährige Mutter. Nach Lesart der Befürworter des Gesetzentwurfs sind sie also junge Mütter, die man mit ihren Kindern hilflos ihrem Schicksal überlässt.

Auch bei dem jetzigen Gesetzentwurf weist die Regierung die Kritik zurück. Er stelle keine Amnestie für Vergewaltiger dar. Vielmehr werde er rückwirkend angewendet. Dabei strafen sie die aktuellen Zahlen Lügen. Nach ihren eigenen Zahlen ist die Zahl der wegen Kindesmissbrauch verurteilten Männer, die Anfang 2016 bei 3.000 lag, 2019 auf rund 10.000 gestiegen. Die Politik der Regierung und die damals in Aussicht gestellte Amnestie hat also Eheschließungen bei Minderjährigen um das dreifach in die Höhe schnellen lassen.

Die Amnestie soll nicht nur die Täter, sondern auch die Anstifter zum Kindesmissbrauch umfassen. Das Strafgesetzbuch sieht heute eine Bestrafung von Personen vor, die den Missbrauch an Kindern nicht anzeigen. Auch dieses Vorgehen soll nach dem derzeitigen Gesetzentwurf in den Rahmen der Amnestie fallen. Die Regelung wird also neuem Missbrauch Tür und Tor öffnen und die Opfer davon abbringen, die Täter anzuzeigen.

Der Gesetzentwurf verfolgt in seiner Gesamtheit das Ziel, das Leben von Frauen unter Hypothek zu stellen. Die Verheiratung von Mädchen wird gefördert, die Missbrauchstäter werden stets mit einer Amnestie rechnen können. Und wenn die Opfer sich scheiden lassen, wird man ihnen keinen Unterhalt gewähren.

Bei den Anläufen in den Jahren 2016 und 2018 konnte das Gesetzesvorhaben mit einem starken öffentlichen Protest verhindert werden. In unserer heutigen Zeit, in der die Fälle von Schwangerschaften im Kindesalter und von häuslicher Gewalt nie da gewesene Ausmaße erreicht haben, versucht man jetzt das Gesetz im dritten Anlauf durchzubringen. Lasst uns die Ärmel hochkrempeln, damit wir es zum dritten Mal zurückdrängen…