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Arbeitskampf an allen Fronten

Mit Arbeitskampf assoziiert man eigentlich den Kampf der Belegschaft gegen den Arbeitgeber. In der türkischen Automobilbranche ist dieser Arbeitskampf wesentlich weiter zu fassen. Denn er richtet sich nicht nur gegen die Arbeitgeber, sondern auch gegen die Gewerkschaftsbürokratie.

Von wegen Krise

In den vergangenen Tagen veröffentlichte die Oyak-Renault-Gruppe aus Bursa, dass das Unternehmen 2015 einen Rekordumsatz erwirtschaftet habe. So sehr sich das Unternehmen dafür feiert, umso mehr hält es sich beide Ohren zu, wenn es um die Forderungen der Belegschaft geht. Diese fordert eine zusätzliche Lohnerhöhung unabhängig von der Diskussion über die Erhöhung des Mindestlohnes. „Während der Arbeitgeber wächst, werden wir immer kleiner!“, berichtet ein Arbeiter gegenüber der türkischen Tageszeitung Evrensel. Mit ständiger Geräuschkulisse in der Kantine, dem Kollektivmarsch zum Schichtwechsel oder dem Versammeln vor den Werkstoren verleiht die Belegschaft ihren Forderungen Nachdruck.

Der Kampf gegen die Türk-Metal

Auf der anderen Seite wütet der Kampf gegen die Gewerkschaft, Türk Metal und die Gewerkschaftsbürokratie. Die Belegschaft hat nunmehr deren Funktionäre komplett rausgeschmissen, nach dem diese mehrere Male versucht hatten, sich wieder in den Betrieb einzuklinken. Sie sind von der Türk Metal zu Birlesik Metal IS (BMS) übergetreten. Hintergrund des Ganzen sind Streiks der Metallarbeiter in der Automobilbranche im vergangen Mai. Dort legten tausende Beschäftigte von Renault, Tofas, Ford, Türk Traktör 12 Tage lang nicht nur die Arbeit nieder, sondern besetzten auch gleichzeitig die Produktionsstätten. Signifikant für diese Arbeitskämpfe war dieses Mal jedoch der Umstand, dass die Abhängigbeschäftigten diese selbst organisiert hatten. Hinter ihnen standen also keine Gewerkschaften. Ganz im Gegenteil. Der Streik richtete sich in erster Linie gegen die eigenen Gewerkschaften. Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hatte, war der Tarifvertrag, den der Arbeitgeberverband der Metallindustrie MESS mit den Gewerkschaften Türk Metal und Celik IS einen dreijährigen Tarifvertrag abgeschlossen hatte. Der Lohnzuwachs war minimal bzw. er bewegte unterhalb der Inflationsrate und in Bezug auf die Arbeitsverdichtung wurde nichts geregelt. Denn die Arbeitsintensivierung ist über die Jahre hinweg zugespitzt worden. Waren in den Produktionsstätten des französischen Automobilherstellers Renault, 2005 in einer Produktionseinheit (sog. Produktionsabteilung bei Renault) noch 36 Arbeiter beschäftigt, so sind es heute nur noch 19. Im Verhältnis dazu ist die Produktion dabei aber um 1/3 gestiegen. In Zahlen ausgedrückt, bedeutet dies: 2005 wurden täglich 41 Auto produziert. Nunmehr sind es knapp 61 Autos. Nach den OECD-Studien hat die Türkei die längsten Arbeitsstunden am Tag.

Die Wachhunde der Arbeitgeber

„Wir haben kein Problem mit den Arbeitgebern, unser Problem ist mit der Türk Metal“, sagten sie immer wieder. Die Arbeiter empfanden diese Gewerkschaftspolitik für eine Art „Stiefsohn-Treatment“ und bekundeten, dass die Gewerkschaften „die Wachhunde“ der Arbeitgeber seien. Kein Wunder auch: Die Arbeiter berichten, dass sie von den Gewerkschaftsfunktionären ausspioniert worden seien, ihren Kündigungen zugestimmt wurde und dass sie sogar von ihnen angeschrieen und beschimpft worden seien. Immer wieder wurden auch Skandale der Funktionäre aufgedeckt, sodass in der Türkei mittlerweile gängig von sog. „Gangster-Gewerkschaften“ oder von mafiösen Gewerkschaftsstrukturen gesprochen wird. Daher ist auch eine Art Flächenbrand entfacht. Nunmehr gingen die Beschäftigten aus den übrigen Branchen ebenfalls auf die Straße und machten ihrem Frust gegenüber den Gewerkschaften mächtig Luft.

Wie geht es weiter?

Dieses Agieren der Belegschaften verdeutlicht zweifelsohne, dass sie wie eine kämpferische Gewerkschaft gehandelt haben. Sie haben den Bürokratieapparat von Bord geschmissen und sich voll und ganz dem Arbeitskampf gewidmet. Trotzdem müssen sich die Arbeiter die Frage stellen, wie es nun für sie weitergeht. Der Übertritt von der Türk Metal zu BMS verdeutlicht, dass sie den Weg über eine andere Gewerkschaft suchen. Anders hierbei ist jedoch die Tatsache, dass die Arbeiter gegenüber der BMS ihre Forderungen klar definieren und deren Bürokratie darauf hinweisen, dass wenn sich diese als hemmend herausstellen sollte, der BMS genau dasselbe Schicksal ereilen werde, wie Türk Metal. Unstreitig ist dies eine fortschrittliche Haltung mit einer Vorbildfunktion für die übrigen Belegschaften aus den anderen Betrieben. Es ist allerdings nicht zu verkennen, dass die bisherige Unerfahrenheit und Unwissenheit die Belegschaften vor großen Hürden gegenüber den Arbeitgebern, sowie den rückschrittlichen Gewerkschaften stellen werden. Die Belegschaften sind also gehalten, ihren Organisationsgrad nicht nur aufrechtzuerhalten, sondern ihn zu erhöhen. Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Tatsache, dass diese Bewegung politisiert werden muss. Denn nur durch diese werden sich die Belegschaften der Errungenschaften tatsächlich bewusst und können die richtige Richtung auf dem Scheideweg wählen. Sie stehen nämlich vor der Wahl: Entweder werden sie mit ihren bisherigen Errungenschaften den verheerenden Arbeitsbedingungen ein Ende zu setzen, oder sie werden andernfalls von den Arbeitgebern und der Gewerkschaftsbürokratie wieder „in ihre Einzelteile zerlegt“. Die letzteren Ereignisse in Bursa geben den anderen Belegschaften jedoch viel Mut und Kraft in ihren Arbeitskämpfen.

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