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Auch Jahre später: viele Fragen im NSU Komplex sind noch ungeklärt

Anfang April jährten sich die Morde an Mehmet Kubaşık und Halit Yozgat zum 19. Mal. Ermordet wurden die beiden Männer, genauso wie sieben weitere Migranten und eine deutsche Polizistin vom rechtsterroristischen „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU). Rund um die Todestage sorgt nicht nur die Weigerung der Union in den Sondierungsgesprächen für ein NSU-Dokumentationszentrum für Schlagzeilen, sondern auch eine neu-aufgedeckte Verbindung der Rechtsterroristin Beate Zschäpe zum Thüringer Verfassungsschutz.

Alev Bahadır

Am 4. April 2006 ermordet der rechtsradikale NSU den Kioskbesitzer und Familienvater Mehmet Kubaşık in Dortmund. Zu diesem Zeitpunkt haben die Terroristen bereits in ganz Deutschland über sechs Jahre hinweg sieben weitere Menschen erschossen. Mehmet Kubaşık ist das achte Opfer des rechten Terrors. Nur zwei Tage später fallen die Täter in ein Internetcafe in Kassel ein und ermorden den 21-jährigen Halit Yozgat. Ausgerechnet ein Mitarbeiter des hessischen Verfassungsschutzes mit Verbindungen zur rechten Szene, Andreas Temme, sitzt im Nebenzimmer und will nichts mitbekommen haben. Es ist einer der vielen Fälle, in denen die Verbindung zwischen Inlandsgeheimdienst und der Terrorgruppe deutlich wird, deshalb sprechen Aktive in der Aufarbeitung auch von einem „NSU Komplex“. Im Jahr 2011 überfallen zwei der Terroristen, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt eine Bank in Eisenach / Thüringen. Umstellt von Polizisten ermorden sie sich augenscheinlich in einem Wohnwagen selbst. Die Dritte im Bunde, Beate Zschäpe, setzt die gemeinsame Wohnung in Zwickau in Brand und taucht vier Tage ab, bevor sie sich den Behörden stellt. An diesem Tag werden im Bundesamt für Verfassungsschutz zahlreiche Akten in Zusammenhang mit dem NSU zerstört. Über die Jahre decken Journalisten und Aktive auf, dass es enge Verstrickungen zwischen V-Leuten des Verfassungsschutzes und dem NSU gibt. So wurden Pässe und Gelder, die die Mörder nutzten, von Informanten des Verfassungsschutzes organisiert. Doch die von der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel versprochene Aufklärung bleibt aus. Zu viele Zusammenhänge bleiben im Dunkeln, die Familien der Opfer wissen bis heute nicht, warum es ausgerechnet ihre Liebsten traf.

Nun deckten Journalisten auf, dass Beate Zschäpe in den vier Tagen, in denen sie abgetaucht war, zwölfmal eine Nummer in der Verfassungsschutzabteilung des Thüringer Innenministeriums anrief. Mit wem sie dort sprach, ist ungeklärt. Schon länger wird eine direkte Verbindung zwischen Zschäpe und dem Verfassungsschutz vermutet und gemutmaßt, ob sie eine Quelle für den Dienst gewesen sein könnte. Die neu-aufgedeckten Anrufe könnten diese These stützen. Zudem sollen BKA-Beamte laut neuesten Erkenntnissen Daten von Zschäpes Telefon gelöscht haben. In einem Komplex, bei dem zu viele Fragen noch ungeklärt sind, sorgen solche Meldungen für weitere Spekulationen. Ob nun aber Beate Zschäpe selbst oder ihr Umfeld: die Verbindung zum Verfassungsschutz bei einer zehnjährigen Mordserie kann man nicht abstreiten. Eine staatliche Aufklärung erfolgte jedoch bis heute nicht, weshalb die kontinuierliche Arbeit von Aktivisten meist der einzige Weg im Weg um Aufklärung ist.

Geht es nach der CDU soll es noch nicht einmal ein richtiges Gedenken geben. Bereits seit längerem ist ein NSU-Dokumentationszentrum im Gespräch. Dieses soll den Opfern der Verbrechen gedenken, aber auch die staatliche Verantwortung bei den Morden beleuchten. Ein entsprechendes Vorhaben wurde bereits vom alten Bundeskabinett verabschiedet und im Bundestag beraten. In Sondierungsgesprächen mit der SPD erklärte die Union aber nun eine Absage gegen eine Aufnahme des Projekts in einen möglichen Koalitionsvertrag. Die Angehörigen, wie z.B. Gamze Kubaşık, die Tochter des ermordeten Mehmet Kubaşık, fordern mit Nachdruck eine Errichtung eines Dokumentationszentrums. Ein erstes Zentrum, das ins bundesweite Projekt integriert werden soll, entsteht noch 2025 in Chemnitz.

Im NSU Komplex ist weitere Aufarbeitung unabdingbar. Eine Mordserie, bei der Nazis über Jahre hinweg, unterstützt und gedeckt von Behörden zehn Menschen töteten, darf nicht unaufgeklärt bleiben. Gleichzeitig muss es Gedenkorte für die Opfer des NSU, deren Familien jahrelang von den Behörden schikaniert wurden, geben. Sowohl dezentral in den jeweiligen Städten, als auch zentral in Form eines Dokumentationszentrums.

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