Der Vorwurf, die Türkei würde mit dem IS Ölhandel betreiben, wird nicht erst nach dem Abschuss des russischen Jets oder wegen der Wut oder „Türkenfeindlichkeit“ von Putin erhoben. Er hat eine Vorgeschichte.
Er wurde in der internationalen Presse öfters zur Sprache gebracht. Es wurden Skizzen über die Handelswege veröffentlicht. Der Vorwurf war sogar Gegenstand eines UN-Berichts.
Auch wenn sie die Vorwürfe von Putin heute als „Unsinn“ abtun, kennen die Amerikaner die Fakten bestens und haben die Türkei offiziell ermahnt und aufgefordert, den Kontakt zum IS abzubrechen. Heute bestätigen sie den erhobenen Vorwurf nicht, weil er ihnen nach der Verschiebung der Gleichgewichte in der Region durch die russische Intervention nicht gelegen kommt. Im vergangenen Mai hatten Sondereinheiten der US-Armee auf Befehl von Obama eine Operation in Deir ez-Zor durchgeführt. Dabei hatten sie den für Ölhandel und Finanzfragen zuständigen IS-Emir Abu Sayyaf getötet und Dokumente sowie USB-Sticks beschlagnahmt. Die Berichte darüber waren in „The Guardian“ zu lesen. Demnach waren die englische und türkische Regierung zwar nicht offiziell in die Geschäfte verwickelt, aber eine britische Firma sowie eine Reihe von türkischen Geschäftsleuten und Barzani samt der Regierung der Autonomen Region Kurdistan im Irak.
Nicht nur die USA hatten Probleme mit der AKP. Auch der Koc-Konzern hatte mit ihr wegen der Ausschreibungspraxis ihre eigenen Probleme. Sie übte öffentlich Kritik an der AKP und unterstütze deren Kritiker. Dasselbe galt auch für die Dogan-Gruppe. In ihren Medien kamen besonders vor der Wahl vom 7. Juni AKP-Kritiker zu Wort. Diese Kritik verstummte aber nach der Wahl vom 1. November. Heute schreiben ihre Kolumnisten, dass der Vorwurf von Ölhandel mit dem IS nichts anderes als „Unsinn“ sei. Der einzige Grund für diese Wende ist nicht im Ausgang der Wahlen zu suchen. Was die AKP-Regierung und ihre ehemaligen Kritiker zusammenführt, sind ihre gemeinsamen Interessen. Die Russen sagten, der Empfänger des Öls aus Deir ez-Zor ist TÜPRAS, die dem Koc-Konzern gehört.
Zugegeben: in Syrien werden derzeit Konfessionskriege geführt. Die AKP als die türkische Variante der Moslembrüder verfolgt eine Taktik, die eine Unterstützung der ihr ideologisch nahestehenden Sunniten vorsieht. Nach ihrem Abenteuer mit Al-Qaida hatte die US-Regierung nun bei den arabischen Aufständen versucht, mithilfe von „moderateren Islamisten“ wie die Moslembrüder in Ägypten zu intervenieren. Auch diese Politik musste sie schnell aufgeben und Sisi an die Macht holen, weil sie erkannte, dass sie ihr Ziel nicht mit dem Islamismus erreichen kann. Der Konfessionskrieg bildet also einen „Hintergrund“ ab, vor dem sich die tatsächlichen Konflikte abspielen. Tatsächlich geht es um militärische und ökonomische Interessen. Es geht um die Verteilung der reichen Vorkommen an Erdöl und Erdgas im Nahen Osten und natürlich auch in Syrien.
Und es geht um die Kontrolle der Energiewege wie beispielsweise der Erdölpipelines von Katar und Saudi Arabien über Syrien nach Europa. Während das von den USA angeführte Lager, dem neben Katar und Saudi Arabien auch die Türkei angehört, sich um die „gemeinsamen Interessen“ schart, gibt es ein Gegenlager, der aus Russland, dem Iran, Syrien und China besteht und ebenfalls ihre „gemeinsamen Interessen“ verfolgt. Die Türkei hatte eine Zeit lang versucht, mit beiden Lagern zu liebäugeln. Sie musste sich aufgrund der Konflikte für eines der beiden Lager entscheiden. Heute sieht sie ihr Interesse darin, den Konflikt zwischen den USA und Russland weiter zu verschärfen. Diese Haltung hatte sich auch früher. Und nach dem Abschuss des russischen Jets wurde diese Entscheidung offensichtlicher.
Alle werden in naher Zukunft versuchen, in diesem Gemenge ihre eigenen „besonderen Interessen“ durchzusetzen und auch im eigenen Lager Interessenskonflikte austragen. Was die USA, die AKP und die Konzerne zu einem Zusammengehen zwingt, sind die „gemeinsamen Interessen“, die sie gegen Russland verteidigen wollen.
Mustafa YALÇINER