Yusuf KARATAŞ
Der UN-Sicherheitsrat rief die Konfliktparteien in Syrien auf, “die Waffen aus humanitären Gründen für einen Monat ruhen zu lassen”. Dem Beschluss war die Bombardierung der Dschihadisten-Hochburg Ost-Ghouta durch die Regimekräfte mit mehreren Hundert zivilen Todesopfern vorausgegangen. Auch wenn in den Mainstream-Medien in der Türkei der Anschein erweckt wird, es gehe um einen Aufruf an die Kriegsparteien in Ost-Ghouta, ist er tatsächlich an sämtliche Konfliktparteien in Syrien gerichtet. Die Frage steht im Raum, ob die UN-Resolution auch Afrin umfasst.
In der Resolution heißt es, dass die Feuerpause alle vom UN-Sicherheitsrat genannten Konfliktparteien umfasst, zu denen der IS, Al-Qaida, die Nusra-Front und andere von der UN als terroristisch eingestuften Gruppen nicht gehören. Und bekanntlich wird auch die PYD/YPG von der UN nicht als terroristisch eingestuft. Der ständige Vertreter Syriens in der UN, Bashar Jafari forderte vor der Beschlussfassung im Sicherheitsrat, die Waffenruhe müsse auch in Afrin und Golan gelten. Auch wenn die Öffentlichkeit in der Türkei keinen Zugang dazu hat, werden im Rest der Welt Informationen über zivile Opfer auch in Afrin verbreitet.
Es dürfte niemanden überraschen, wenn die türkische Regierung sich da nicht angesprochen fühlt, da sie den Einsatz der Armee in Afrin als “Terrrorbekämpfung” bezeichnet, der außerhalb der UN-Resolution läge. Eine solche Begründung wird jedoch die internationale Öffentlichkeit nicht überzeugen. Denn mit einer ähnlichen Begründung bombardiert das syrische Regime Ost-Ghouta, von wo die Gefahr ausgehe. Und die hier ins Spiel gebrachte Gefährdung ist im Gegensatz zu der Gefahrdefinition der Türkei viel konkreter. In Ost-Ghouta herrschen die von Saudi Arabien unterstützte “Islamische Armee” und teilweise die Al-Nusra, die Hunderte Raketen auf Damaskus abgeworfen und mehrere Hundert Zivilisten getötet haben.
Ob der UN-Beschluss umgesetzt wird, bleibt abzuwarten. Es ist damit zu rechnen, dass Diskussionen über die Einhaltung der Feuerpause und über einen eventuellen Einmarsch von Milizen in Afrin, die der Iran unterstüzt, die Tagesordnung bestimmen werden. Es fällt auf, dass in der UN-Resolution die Eskalation der Konflikte in Syrien als “besorgniserregend” bezeichnet werden. Auch der UN-Sonderbotschafter in Syrien, Staffan De Mistura, stufte die momentane Situation kürzlich als die “gefährlichste in den letzten vier Jahren” ein. Die Entwicklungen im letzten Monat zeigen, dass seine Feststellung nicht haltlos ist. Die Operationen der Regimekräfte in Ost-Ghouta und Idlib oder die syrisch-russische Offensive gegen die Demokratische Kräfte Syriens Dair As-Sour und die darauf folgenden US-amerikanischen Luftschläge als Antwort darauf, wobei Hunderte Soldaten getötet worden sein sollen, die Angriffe Israels gegen Syrien und der Abschuss eines israelischen Luftjets durch Syrien, die türkische Offensive in Afrin und die durch den Iran und das Regime unterstützte Verlegung von Kräften – all das macht die Region zu einer tickenden Zeitbombe.
Der Krieg in Syrien wurde lange Zeit als ein “Stellvertreter-Krieg” bezeichnet, weil die Kräfte, die dort um die Vormachtstellung kämpfen, sich bisher nicht unmittelbar gegenüberstanden. Dieser Konflikt entwickelt sich immer mehr zu einem Krieg, bei dem die “eigentlichen” Parteien gegenüberstehen werden. Diese “eigentlichen” Kriegsparteien, allen voran die USA und Rußland, beteuern zwar immer wieder, es gebe nur die Möglichkeit einer politischen Lösung. Wenn es aber darum geht, ihren Einfluss in Syrien in der Nach-IS-Ära zu gestalten, scheuen sie vor einer militärischen Auseinandersetzung nicht zurück.
Unter diesen Bedingungen wird selbst die UN-Resolution zu einem Instrument dieses Konflikts. Es ist offensichtlich, dass es den USA und den anderen Westmächten nicht um Zivilisten geht. Mit ihrer Propaganda über zivile Opfer versuchen sie das Assad-Regime bei seiner Offensive gegen die Dschihadisten-Hochburgen in die Enge zu treiben und ihre Legitimität in Frage zu stellen. Andererseits versucht Rußland seine Stellung auszunutzen, um dem Regime Zeit zu verschaffen und stimmte deshalb der Resolution zu. Unabhängigkeit von der Frage der Umsetzbarkeit der Waffenruhe stellt sie höchstens eine kurze Feuerpause dar, auch wenn sie für die Menschen vor Ort lebenswichtig ist. Denn ohne einen Rückzug der Staaten aus der Region, die Syrien zu einem Labor und Testfeld für ihre neuesten Waffen gemacht haben, wird keine Waffenruhe zu einer demokratischen und friedlichen Lösung beitragen.