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Deutschland, führe!

Taylan Çiftçi

In ihrer Rede zur Nationalen Sicherheit vor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) bekräftigte die Verteidigungsministerin Lambrecht die Notwendigkeit einer neuen bundesrepublikanischen Sicherheitsstrategie. Kernpunkte ihrer Rede waren unter anderem die Finanzierung und Ausstattung der Bundeswehr, die Wahrnehmung und Stellung des Militärs in der Gesellschaft und die Einordnung militärischer Potentiale in der aktuellen internationalen Politik. Wie bereits die „Zeitenwende“ -Rede des Bundeskanzlers, markierten und zementierten Lambrechts Worte sowohl in Inhalt als auch Form einen Umbruch in der deutschen Aufrüstungsdebatte: „Vor allem aber brauchen sie von Deutschland, von uns allen, eins: Veränderung.“

Die Ministerin sah sich scheinbar in der aufgezwungenen Verantwortung, das bereits drei Monate zuvor beschlossene Sondervermögen für die Bundeswehr noch einmal rückwirkend zu rechtfertigen. Denn es sei „genau die Summe, die wir brauchen, die wir abgeleitet haben, wenn wir nach vielen, vielen Jahren des Sparens wieder dafür sorgen wollen, dass wir eine einsatzbereite Bundeswehr auf Dauer haben, auf modernem Standard mit all dem, was erforderlich ist.“ Es ist kein Geheimnis, dass für das Militär seit knapp zehn Jahren jährlich immer größere Summen aus den Haushalten locker gemacht wurden, weshalb der Schrecken einer kaputtgesparten Bundeswehr ein Mythos bleibt, der doch so oft medial in Gewand der Vorstellung der fehlenden Soldaten-Unterhosen in die Köpfe eingehämmert wird.

Sparen im sozialen Bereich

Wie wir wissen, wird das Sondervermögen ja gerade nicht aus dem laufenden Haushalt finanziert. Lambrecht begrüßt diese Entscheidung und die damit einhergehende Verfassungsverankerung unter anderem damit, dass das Aufrüstungsvorhaben eben über Parteigrenzen hinweg verfolgt wird. Um noch einen drauf zu setzen, spielt die Ministerin mit der Kunst der Beschwichtigung: Schließlich musste man sich den laufenden Haushalt für andere Dinge wie Klimaschutz und so aufsparen. Die Miene der sozialen Ausgewogenheit kippt aber gegen Ende der Rede, wenn sich die Ministerin in einen Widerspruch zu verfangen beginnt. Denn letztlich stünde der Staat doch „vor politischen Abwägungen darüber, in welchen Bereich die Mittel der staatlichen Daseinsvorsorge prioritär fließen sollen.“ Im Klartext: mehr in die Aufrüstung zu investieren, bedeutet im sozialen Bereich zu sparen. Man kann dankend anerkennen, dass Lambrecht hier wenigstens nicht vollständig verbirgt, welche sozialen Konsequenzen eine Militarisierung der Bundesrepublik mit sich bringen wird, die in Zeiten der Inflation noch krachender auf uns prasseln werden.

Geopolitische Interessen Deutschlands

Das Aufrüstungsvorhaben sei in einer Zeit der geopolitischen Verschiebungen mehr als notwendig. Denn heute sei „zwar so klar, wie eh und je, dass die USA als Schutzmacht für Europa weiterhin unersetzlich sind. Aber wir wissen auch, dass wir Europäer gleichzeitig Kräfte und Fähigkeiten entwickeln müssen, die uns sicherheitspolitisch stärker, einsatzbereiter und glaubwürdiger machen.“ Um die EU militärisch zu stärken, müsse Deutschland „die USA, in Europa entlasten“ und seine zukünftige Rolle reflektieren. Denn „Deutschlands Größe, seine geografische Lage, seine Wirtschaftskraft, kurz: sein Gewicht, machen uns zu einer Führungsmacht, ob wir es wollen oder nicht. Auch im Militärischen.“ Welchem Schicksal die deutsche Nation kaltblütig ausgesetzt wird, jetzt die Führung übernehmen zu müssen!

Rüstungsexporte „für Europa“

„Drei einsatzbereite, kampffähige Heeres-Divisionen“ sollen kommen und der feige deutsche Alleingang der moralischen Überlegenheit endlich der Vergangenheit angehören, indem Vorbehalte von Rüstungsexporten gelockert werden. „Es geht ja nicht darum, an Schurkenstaaten zu liefern. Wenn Frankreich, Italien und Spanien sagen, das ist vertretbar, dieser Export, können wir uns dann rausnehmen? Ich glaube nein.“ Um die Initiative einer selbstständigeren EU abzurunden, soll „gemeinsam besser ein[ge]kauf[t]“ und „gemeinsame europäischen Beschaffungs-Agenturen“ ins Leben gerufen werden. Das Vertrauen zu den „Alliierten an der Ostflanke“ müsse ebenfalls gestärkt und im Eigentlichen „Europa aus sich heraus stärker“ gemacht werden.

Neben den scheinbaren europäischen Solidaritätstönen, die sich mit im Hintergrund eingebildeter Ode an die Freude, lesen lassen, knüpft die Rede Lambrechts immer wieder an das nationale Gewissen vergangener Zeiten an, indem die Tugenden des Deutschtums beschworen werden: „Lassen Sie uns als Deutsche ehrgeizig sein!“ Um den Tugenden seiner Vorfahren gerecht zu werden, braucht es schließlich auch eine konsequente Vergangenheitsbewältigung! So sei es nicht verwunderlich, „wenn wir Deutschen nach den eigenen Verbrechen im Nationalsozialismus und nach dem Vernichtungskrieg deutscher Armeen in Europa eine Skepsis gegenüber dem Militärischen zur Tugend gemacht haben – in den letzten Jahren, ja in den letzten Jahrzehnten.“ Um aus der Skepsis gegenüber dem Militärischen eine wahrhafte Tugend des Militärischen zu formen, wird zu diesem Zwecke auch gleich die Geschichte umgeschrieben. Denn laut Lambrecht sei die „Bundeswehr (…) eine Armee, die mit der von damals nichts gemein hat.“ Die Gründerväter der Bundeswehr mit ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit, der bis in die heutige Zeit bestehende strukturelle Rassismus in ihren Reihen und die Rekrutierung faschistoider Kader zur Vorbereitung auf den Tag X: alles das wischt die Sozialdemokratin Lambrecht vom Tisch deutscher Erinnerungskultur. Ein jeder von uns soll die Bundeswehr schließlich ohne Gewissensbisse und mulmigem Gefühl respektieren und schätzen lernen. Denn wir „Deutschen haben bei diesem Thema ein sehr gutes, feines Gespür.“ Wir verstünden „genau, was möglich, was nötig und was undenkbar ist.“ Dafür bedarf es, „eine[s] nüchternen Blick[es] auf die Macht und das Militärische“, welchen wir zweifelsohne „aufgrund unserer Geschichte haben“ würden. Lambrecht hat schließlich recht damit, dass die „eigentliche Zeitenwende (…) nämlich nicht zu allererst im Portemonnaie (…), sondern im Kopf“ stattfindet. Glück auf!

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