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„Deutschland hat eigene imperiale Ansprüche“

Nach dem gescheiterten Einigungsversuch im Incirlik-Streit hat Kriegsministerin Ursula von der Leyen eine Kabinettsentscheidung zum Abzug der auf dem türkischen Luftwaffenstützpunkt stationierten Bundeswehr-Soldaten angekündigt. „Wir werden das weitere Vorgehen jetzt am Mittwoch im Kabinett gemeinsam besprechen und entscheiden“, sagte die CDU-Politikerin. „Wir sind auf eine Verlegung vorbereitet.“ Nach einem Krisentreffen mit seinem türkischen Amtskollegen Mevlüt Cavusoglu hatte Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) zuvor einen Abzug der 260 Bundeswehr-Soldaten vom Luftwaffenstützpunkt Incirlik nach Jordanien angekündigt. Cavusoglu hatte sich geweigert, das von der Bundesregierung geforderte uneingeschränkte Besuchsrecht für Bundestagsabgeordnete in Incirlik zu gewähren. Einige Tage vor diesen Ankündigungen der Bundesregierung haben wir mit Dr. Alexander Neu (Mitglied des Bundestages, Linke) über die Kritikpunkte seiner Partei zum Themenkomplex Incirlik-Besuch von deutschen Abgeordneten gesprochen. Neu ist Mitglied im Verteidigungsausschuss des Bundestages und Mitglied der Delegation von Abgeordneten, die die Bundeswehrsoldaten in Incirlik besuchen möchten. Er war bereits im Januar und Oktober 2016 in Incirlik zu Besuch.

Warum ist dieser Besuch wichtig für Sie?

Der Deutsche Bundestag hat die Regel, dass Auslandseinsätze der deutschen Bundeswehr vom Deutschen Bundestag verabschiedet werden. Der Deutsche Bundestag entscheidet darüber, nicht die Regierung selbst. Vor diesem Hintergrund haben die Abgeordneten ein Kontrollbesuchsrecht bei der Bundeswehr im Auslandseinsatz. Das ist der Grund, warum wir regelmäßig bestimmte Standorte aufsuchen.

Wie begründet die türkische Regierung das Besuchsverbot?

Insgesamt ist das deutsch-türkische Verhältnis in einem sehr schlechten Zustand. Dazu haben die Armenienresolution und die Vergabe von Asyl an türkische Soldaten beigetragen. Dazu hat aber auch beigetragen, dass die Türkei kein EU Mitglied geworden ist. Auch der Glaube der türkischen Regierung, dass die Bundesregierung den Putschversuch im Juli letzten Jahr in der Türkei nicht solidarisch genug kritisiert hätte. Es gibt in der türkischen Politik eine Wende hin zu einer neo-osmanischen Politik. Das passt aber nicht so ganz mit der NATO und den europäischen Vorstellungen zusammen. Es gibt also eine Menge Felder, die dazu beitragen, dass das Verhältnis schlechter geworden ist.

Ein Grund ist sicherlich auch die die türkische und die deutsche Aussenpolitik im Nahen Osten.

Die türkische Seite betreibt ihre spezielle Politik im Nahen Osten. Und diese ist nicht ganz identisch mit der des Westens. Aber sowohl die türkische, als auch die deutsche und amerikanische Politik im Nahen Osten sind desaströs, weil das völkerrechtswidrige Interventionen auf vielfältige Weise sind.

Welche Bedeutung hat die Präsenz der Bundeswehr in Incirlik?

Incirlik kann viele Waffensysteme beherbergen; sowohl große Transportmaschinen als auch Kampfflieger und Aufklärungsflugzeuge. Das ist der Vorteil an Incirlik neben der geographischen Lage. Die Alternative wäre Jordanien oder Zypern, die haben aber suboptimalen Charakter.

Das heißt Deutschland versucht im Nahen Osten in jedem Fall präsent zu sein?

Genau, Deutschland möchte im Nahen Osten Fuss fassen, um eigene Geopolitik zu betreiben. Es gibt eine Diskussion in der Koalition. Die SPD möchte sofort die Bundeswehr abziehen. Die CDU ist dagegen. Das ist ein Problem für die GroKo. Wir sind aber am Ende der Legislaturperiode angekommen. Insofern wird das kein Koalitionsende bedeuten. Ich denke, dass die Entscheidung letztendlich fallen wird, dass die Bundeswehr aus Incirlik abzieht.

Was ist die Position der Linken zum Thema Incirlik?

Abzug der Bundeswehr aus Incirlik, Konya und überall aus der Türkei. Wir wollen keine Auslandseinsätze der Bundeswehr.

Die Bundeskanzlerin hat eine Erklärung abgegeben, dass Deutschland sich nicht mehr auf ihre Partner verlassen kann. Bedeutet das, dass sich die deutsche Außenpolitik ändert?

Deutschland wird in der Außenpolitik selbstbewusster und wird versuchen, ein zunehmend eigenständiger Akteur zu sein als imperiale Macht in Europa und außerhalb von Europa. Deutschland wird Europa nutzen und instrumentalisieren für deutsche Imperialansprüche.

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