Written by 16:00 HABERLER

Die Digitalisierung oder was hat Alexa vor?

SERDAR DERVENTLİ

In den letzten Jahren beschäftigen uns Begriffe wie “Digitalisierung” und “Industrie 4.0” immer mehr. Vertreter des Kapitals, Politiker und Gewerkschafter wollen uns bei jeder Gelegenheit darüber aufklären, wie das „Digitalzeitalter einzuläuten ist“. Glaubt man ihnen, gehören hierbei die „Gelegenheit“ und „Unvermeidbarkeit“ eng zusammen. Was sollten die Arbeiter in dieser „Spirale der Gelegenheit und Unvermeidbarkeit“ tun?

Begriffe wie „Digitalisierung“, „Industrie 4.0“ oder „Künstliche Intelligenz“ beschäftigen uns immer mehr. In den Medien laufen sie uns ununterbrochen über den Weg.

Auch wenn Vertreter einer Unternehmensführung oder einer Gewerkschaft nicht auf voller Linie übereinstimmen bzw. zumindest dieses Gefühl vermitteln, so weisen sie auf Betriebsversammlungen unisono auf die „Bedeutung der Digitalisierung“ und die „unvermeidbare Partizipation an dieser Entwicklung“ hin. Anschließend werden Beispiele für ernsthafte Schritte, die die USA und China in diesem Zusammenhang unternommen haben, eingeführt, um vor der drohenden Gefahr einer „technischen Rückständigkeit Deutschlands“ zu warnen.

“DIGITALISIERUNG – FLUCH ODER SEGEN?”

Diese Frage steht in zahlreichen Überschriften von Abhandlungen und Artikeln zum Thema. Auch das folgende Beispiel wurde anhand der Notizen zusammengestellt, die bei der Lektüre von verschiedenen Artikeln gemacht wurden. Es ist also ein „virtuelles Beispiel“. In solchen Artikeln wird vor allem versucht, den Leser von der „Unvermeidbarkeit des Problems“ zu überzeugen: „Was wir auch immer tun, das Digitalzeitalter wird eintreten. Wer sich dem entgegenstellt, ist dem sicheren Tod geweiht.“

Auf diese Drohung folgt die Feststellung, dass wir tatsächlich seit einiger Zeit im Digitalzeitalter stecken: „Denken Sie an die Smartphones und die Heizung, der Rollladen oder die Alarmanlage, die wir mit diesen Geräten von Ferne einstellen können. Oder an Alexa, der wir morgens nach dem Aufstehen Anweisungen wie „Licht an“, „Mach‘ den Kaffeeautomaten an“ erteilen können. In naher Zukunft werden wir lediglich mit der Frage zu kämpfen haben, was wir zum Frühstück haben wollen, wenn wir den autonom einkaufenden Kühlschrank öffnen.“

Sicherlich kann ein Kühlschrank Bestellungen aufgeben, wenn er zuvor dafür programmiert wurde. Aber irgendjemand muss ja die Bestellungen in den Kühlschrank einräumen. Wenn man also keinen Buttler hat, muss man sich noch einen „humanoiden Roboter“ anschaffen. Und spätestens hier erkennt der Leser, dass der Autor nicht von einem Durchschnittsbürger spricht, sondern einen Vertreter höherer Schichten im Blick hat.

Der (virtuelle) Autor, der mit dieser Erkenntnis gerechnet hat, gibt zu, solche Beispiele seien zwar noch nicht sehr verbreitet, aber immerhin gebe es sie bereits und sie seien technisch machbar. Damit kommt er auch an dem Punkt an, an dem des Pudels Kern liegt. Er zitiert die Grundsätze, die der Arbeitgeberverband 2015 veröffentlicht hat (www.arbeitgeber.de): “Die Digitalisierung steht uns als eine Aufgabe bevor, die unser Leben verändern wird.”

Es ist sicher, dass die Digitalisierung, die Vor- und Nachteile für die Lohnabhängigen in sich birgt, unser Leben verändern wird. Ob sie es zum Guten oder zum Bösen verändern wird, also „Fluch oder Segen“ ist,

wird von der Haltung der Gewerkschaften als Organisationen der Arbeiter und Werktätigen abhängen.

WAS IST DIGITALISIERUNG?

Digitalisierung ist die Umwandlung jeglicher physikalischen Daten in digitale Werte, also in Zahlen. Wenn Sie beispielsweise die Taste „A“ auf ihrer Tastatur drücken, wird die Zahlenkombination “01000001” mithilfe von Festplatte an den Speicher (RAM) und den Prozessor (CPU) vermittelt. Für jeden Buchstaben existieren entsprechende Zahlenkombinationen. Wenn Sie mit Ihrer Digitalkamera ein Foto schießen, wandelt Ihre Kamera das Objekt in Zahlen um und speichert diese Information auf der Festplatte. Mit der Umwandlung in Zahlen wird alles digitalisiert: das Marketing, die Produkte, Arbeitsmodelle und -prozesse, die Kunden usw. (s.a. https://issuu.com/didfjugend/docs/jungesstimme_sonderausgabe_arbeit_2/2)

Mit der Digitalisierung wird das Ziel verfolgt, die Datenverarbeitung digital zu lagern und mithilfe von Transport- und Verarbeitungstechnologie auszuwerten. Dank der entwickelten Ausrüstung (“Hardware” und “Software”) sollen diese Schritte (Lagerung, Transport und Verarbeitung) öfter, besser und schneller getan werden. Als ihre Anwendungsgebiete werden grob vier verschiedene Bereiche sowie aufzubauende Netzwerke genannt:

  1. An Kunden als letztes Glied der Produktionskette gerichtete Anwendungen. Beispielsweise kann man hier die Vernetzung der Smartphones mit anderen smarten Geräten nennen. Hierbei ist das ausgegebene Ziel, vorhandene Geräte durch Kompatible zu ersetzen.

  2. Aufbau von Netzwerken, die die Kommunikation zwischen unterschiedlichen Wirtschaftsbereichen zum Ziel haben. Auf seinem Rechner oder Smartphone nimmt der Verbraucher Kontakt zu den Diensten vom Produzenten, Verkäufer oder Lieferanten auf. Ähnliche Netzwerke werden auch zwischen der Arbeitskraft (Programmierer oder andere Arbeit-Suchende) und dem Arbeitgeber aufgebaut.

  3. Anwendungen, die den Produktionsprozess vereinfachen, also Rationalisierungsmaßnahmen. Der Aufbau von Netzwerken zwischen den unterschiedlichen Abteilungen eines Betriebs bzw. Aufbau von Netzwerken zwischen dem Produzenten und dem Zulieferer. So werden rechtzeitig Ersatzteile nachbestelll oder Verschleißteile an Maschinen ausgetauscht, bevor es zu einer Unterbrechung der Produktion kommt.

  4. Automatisierungsanwendungen zur Vereinfachung der Arbeit und Produktion. Einsatz von Robotern in einer Fabrik oder Fördersystemen in Lager- und Einzelhandelsunternehmen wie Amazon. Auf die Automatisierung trifft man in Unternehmen wie Steuer- und Kreditberatungsdienste aber auch in betriebsinternen und -externen Verwaltungs- u. Koordinierungsdiensten.

IST DAS KAPITAL BEREIT FÜR DIE DIGITALISIERUNG?

Die oben genannten Anwendungen sollen also auf dem Wege der Digitalisierung realisiert werden. Dass dies technisch möglich wäre, stellt allerdings nur einen Aspekt dar. Insbesondere der Aufbau von Netzwerk unter den Unternehmen erfordert eine nachhaltige Kooperation, was wiederum zu nachhaltigen Abhängigkeiten zwischen ihnen führt. Deshalb kann sich kein Unternehmen für diese Idee erwärmen und sucht Lösungen, um die Sicherheit von eigenen Informationen (und damit verbunden Technologien) zu gewährleisten.

Es ist äußerst wichtig, wann und wie ein Konzern seine neue Technologie gegen seine Konkurrenz einsetzt. Ob dieser Einsatz zu früh oder zu spät erfolgt, kann beim Ausgang des Wettbewerbs und somit bei der Höhe des Gewinns entscheidend sein. Der Schutz von Erfindungen mithilfe von Patenten ist darin begründet. Auch wenn bei Patenten der Schutz vor geistigem Diebstahl als der Hauptgrund angegeben wird, spielen die Patente bei der kapitalistischen Konkurrenz eine besondere Rolle. Nach Angaben der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (Unctad, TDR 2018, S. 55 – Zitiert in ISW-Report 115, Franz Garnreiter) betrugen die Ausgaben für Patentrechte im internationalen Handel im Jahre 1995 50 Mrd. USD. Zehn Jahre später beliefen sie sich auf 367 Mrd. Dollar.

Fast jeder Konzern führt heute Gerichtsprozesse wegen Patentverletzungen. Sie beklagen den Diebstahl oder die Raubkopie ihrer geschützten Patente und fordern Entschädigungszahlungen. Insbesondere im Falle von Apple und Samsung sind Dutzende von Patentverfahren anhängig.

Die aufgeführten Beispiele machen deutlich, dass digitale Netzwerke, die aufgebaut werden sollen, um die kapitalistische Produktion zu erleichtern, zugleich gegen die Natur der kapitalistischen Produktion gerichtet sind. Die Informationen, die mit den Zulieferern geteilt werden, können potenziell auch zur Schwächung der Wettbewerbsfähigkeit eines Konzerns führen.

Ein anderes Problem für die Industriekonzerne, die sich einen kapitalistischen Wettbewerb liefern, liegt in der Frage, wie, also über wen die Informationen transportiert werden. Fragen nach den Eigentümern eines Kommunikationsnetzwerks oder nach den Firmen, die die Software programmiert haben, sind äußerst wichtig.

Die Debatte der letzten Monate über den chinesischen Konzern Huawei, die Fragen der „Industriespionage und nationalen Sicherheit“ thematisiert, hat einerseits die diesem Bereich eigene Konkurrenz zur Grundlage. Weitere Konkurrenten sind bekanntlich Nokia aus Finnland, Ericsson aus Schweden, Cisco aus den USA, ZTE aus China und Samsung aus Süd-Korea. Die eigentliche Kernfrage dreht sich allerdings um den Aufbau und die Pflege von Netzwerken bzw. um die Frage, wer Zugriff auf die Informationen haben soll, die durch diese Netzwerke fließen.

Es ist bekannt, wozu Konzerne wie Google, Facebook u.a. durch die Nutzung der persönlichen Daten ihrer Kunden imstande sind. Den größten Teil der Werbeeinnahmen teilen sich diese Konzerne untereinander. Durch den Verkauf von gesammelten Informationen über die Gewohnheiten ihrer User an entsprechende Firmen verdienen sich diese Konzerne eine goldene Nase.

Es ist nicht schwer vorstellbar, wozu solche Konzerne mithilfe der technologischen Informationen von Industriekonzernen in der Lage wären. Der Google-Konzern, der bis vor kurzem lediglich als „Suchmaschine“ bekannt war, ist heute durch ihre finanziellen und technischen Möglichkeiten einer der wichtigsten Konkurrenten der Automobilkonzerne bei der Entwicklung der Technologie für autonomes Fahren. Während BMW, Daimler, VW und andere Autokonzerne heute noch im Planungs- und Entwicklungsstadium stecken, testet Google weltweit ihre Technologie im Straßenverkehr.

Deutschland hat heute die Digitalisierung zum Ziel der Staatspolitik erklärt, um zu verhindern, dass deutsche Autokonzerne zu Subunternehmen degradiert werden, die im Auftrag von Google die von ihr entworfenen Elektroautos produziert. Im Rahmen dieser Politik wird das deutsche Kapital in jeder Hinsicht unterstützt.

Foxconn ist heute ein Elektrokonzern, der die meisten Computer, Games, Mobiltelefone, Fernseher produziert. Ende 2017 beschäftigte er 1,3 Mio. Mitarbeiter, die unter weltweit schlechtesten Arbeitsbedingungen 40 Prozent der weltweit eingesetzten Elektrogeräte produzieren. Wenn man sich den Umsatz bzw. Gewinn des Konzerns anschaut, wird deutlich, dass die eigentlichen Gewinner die Konzerne sind, die über die Forschungs- und Entwicklungsinformationen verfügen und im Auftrag die Geräte produzieren lassen. Das Verhältnis von Foxconn und Apple ist in diesem Sinne sehr herausragend: 2012 erzielte Foxconn 40 Prozent seines Umsatzes durch die iPhone-Produktion. Bei dieser Sparte lag der Gewinn-Anteil von Foxconn bei 1,5 Prozent, der von Apple allerdings bei 35 Prozent.

Ein weiteres Beispiel für Joint Venture im Kapitalismus stellt der Amazon-Konzern dar. Der Konzern, der alles Erdenkliche vermarktet, setzt seit Anfang der 2000er Jahre in seinen Lagern Roboter ein. Der Hauptzulieferer für das automatisierte Fördersystem „Kiva Systems“ ging Amazon eine enge Zusammenarbeit ein, um die Leistung der Roboter zu erhöhen. Amazon bemerkte, dass auch seine Konkurrenten Nutzen aus dieser Zusammenarbeit ziehen und übernahm 2012 „Kiva Systems“ für 775 Mio. USD. Heute kann nicht jeder die mit unzähligen Patentrechten geschützten Roboter von Kiva Systems kaufen. Amazon ist in der bequemen Lage, seine Kunden selbst auszusuchen. Diese Roboter, die eine Last von 340 Kilogramm tragen und dabei 5,5 km/h zurücklegen können, werden ab den kommenden Monaten auch in den Lagerhallen in Deutschland eingesetzt.

DIGITALISIERUNG WIRD DIE KONKURRENZ VERSCHÄRFEN

Die Geschichte der Klassenkämpfe lehrt uns, dass mit dem Einsatz von technischen Innovationen in der kapitalistischen Gesellschaft niemals das Ziel der Verbesserung von Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeiter verfolgt wurde. Selbst die kleinsten Errungenschaften hinsichtlich der Arbeitssicherheit und Arbeitersicherheit mussten und müssen erkämpft werden. Alle umgesetzten Innovationen dienen zur Verbesserung der Konkurrenzfähigkeit, zur Reduzierung der Ausgaben und zur Steigerung des Gewinns.

Die rasante Entwicklung der Technik und der Produktivkräfte (bzw. eines Teils von ihnen) brachte die kapitalistische Produktion an die Schwelle einer wichtigen Ära. Der Aufbau von trans-betrieblichen Netzwerken und die daraus folgende nachhaltige Zusammenarbeit führen dazu, dass der gesellschaftliche Charakter der Produktion immer stärker wird.

Die Antwort auf die Frage, ob das Kapital bereit für die Digitalisierung ist, liegt nicht mehr in den Händen der einzelnen kapitalistischen Kräfte. Vielmehr beschäftigen sie sich mit der Frage, wie die Digitalisierung zu organisieren ist.

Technische Entwicklungen, Maßnahmen, die getroffen werden müssen, um dem Markt nicht hinterher zu hinken, die erneute Planung der Produktion – all diese Fragen sind imstande, das Kräfteverhältnis beim kapitalistischen Wettbewerb auf den Kopf zu stellen. Dass die Digitalisierung die Konkurrenz verschärfen wird und zu einer erneuten und radikalen Neuaufteilung der Märkte führen wird, ist jedenfalls sicher.

Wird fortgesetzt. Im zweiten Teil (übernächste Ausgabe 233) werden wir uns den Fragen widmen, wozu die Digitalisierung aus Sicht der Arbeiter und Werktätigen führen wird, wie sich die Gewerkschaften in dieser Frage positionieren und welche Ära im Klassenkampf eingeläutet worden ist.

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