Written by 17:00 HABERLER

„Ein Angriff auf den Antifaschismus“

Dilan Baran

Anfang November hat das Finanzamt Berlin dem Bundesverband der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) in Deutschland die Gemeinnützigkeit aberkannt. Cornelia Kerth ist eine von zwei Bundesvorsitzenden der VVN-BdA. „Die VVN-BdA ist ein überparteilicher Zusammenschluss von Verfolgten des Naziregimes, Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfern, Antifaschistinnen und Antifaschisten aller Generationen“, heißt es im eigenen Selbstverständnis. In Hamburg konnten wir mit der Bundesvorsitzenden Cornelia Kerth sprechen.

Wie kam es zu dieser Entscheidung und was bedeutet sie für euren Verband?
Der Verfassungsschutz in Bayern führt die VVN als linksextremistisch beeinflusste Gruppierung in ihrem Bericht. Das hat das Finanzamt des Landes Berlin nun zum Anlass genommen, uns die Gemeinnützigkeit zu entziehen. Auf diese Weise wird der unhaltbaren Extremismustheorie gefolgt und Antifaschismus wird kriminalisiert. Das ist wirklich ein Problem, skandalös und gefährlich. Selbstverständlich haben wir gegen den Bescheid Einspruch eingelegt.

Welche politische Absicht steht hinter dieser Entscheidung?
Naja es gibt zwei Ebenen. Attac z.B. wurde ja auch die Gemeinnützigkeit entzogen und Attac ist eine Organisation, die Bewegung erzeugen kann. Ich glaube schon, dass die Bewegungen der letzten zwei Jahren viele geärgert haben: Beginnend bei G20 bis hin zu einer Vielzahl von großen Demos wie #unteilbar u.a. Deshalb geht es offenbar auch darum, zivilgesellschaftliche Akteure, die in der Lage sind, Bewegung zu generieren, in ihren Bewegungsmöglichkeiten einzuschränken und das würde ich für uns auch in Anspruch nehmen.
Der zweite Aspekt ist ein Angriff ganz konkret auf den Antifaschismus und diejenigen, die unter diesem Begriff agieren. Der Naziterror ist nahezu alltäglich, nicht immer gibt es Tote, aber jeden Tag gibt es durchschnittlich drei Angriffe auf Geflüchtete, andere Minderheiten und Unterstützer oder Einrichtungen. Einen Tag lang wird vom „Naziterror“ geredet und dann kommt man immer schnell auf „die Extremisten“ und damit sind immer Linke und Rechte gleichermaßen gemeint. Nach dem Angriff in Halle stand in der Hamburger Morgenpost: „Rechtsextremismus gefährlicher als Linksextremismus“, dies sei eine neue Erkenntnis des Landesamtes für Verfassungsschutz in Schleswig-Holstein. So etwas macht mich etwas sprachlos. Nazis ziehen zündelnd, mordend und gewalttätig durchs Land und trotzdem muss immer „Links“ als imaginiertes Gegenstück benannt und stigmatisiert werden. Die Extremismustheorie, die dem zugrunde liegt, ist nicht haltbar. Aktuell, wie historisch. Als hätten wir in der Mitte der Gesellschaft einen unglaublich demokratischen Raum und links und rechts gibt es dann so hässliche Gestalten, von denen Angriffe ausgehen. Tatsächlich will man aber auf der linken Seite mehr Demokratie, Gerechtigkeit und soziale Menschenrechte, angefangen bei den Mieten bis hin zu Hartz IV. Und auf der Rechten geht es um menschenfeindliche Ausgrenzung. Menschen werden aus der Gesellschaft hinaus definiert und dementsprechend behandelt. D.h. Faschismus ist per se schon von der Idee her menschenfeindlich und wenn man die faschistische Ideologie ernst nimmt, dann endet sie genau dort, wo es schon mal geendet hat, dann muss man zur Reinhaltung und Durchsetzung der eigenen „Rasse“ alles, was ihr im Weg steht, aus dem Weg räumen. Insofern ist Faschismus keine Meinung, wie wir immer sagen, sondern ein Verbrechen. Hier stehen sich also der Kampf um Menschenrechte die Ideologie der Menschenfeindlichkeit gegenüber. In der Extremismustheorie wird dieser fundamentale Gegensatz komplett ignoriert.

Was bedeutet der Entzug neben dieser politischen Botschaft konkret?
Zur Klarstellung: Den Verlust von öffentlichen Geldern bedeutet diese Entscheidung für uns nicht, denn öffentliche Gelder hat die Bundesvereinigung der VVN-BdA nie bekommen. Wir sind allerdings nicht zentralistisch organisiert, die Landesvereinigungen sind eigene eingetragene Vereine und dort kann man für einzelne Projekte gelegentlich öffentliche Gelder bekommen. Wir finanzieren uns vollständig aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden. Das Thema Spendenbescheinigungen ist also der eine Punkt. Man bekommt als gemeinnütziger Verein einen Freistellungsbescheid für drei Jahre, d.h. wenn nach drei Jahren entschieden wird, dass man nicht gemeinnützig ist, muss man die Steuern der letzten drei Jahre, zurückzahlen. Außerdem wird die Körperschaftssteuer fällig. Für uns bedeutet diese Entscheidung eine 5-stellige Summe. Die kann aber noch beträchtlich höher werden und das ist für uns existenzbedrohend, denn mit betroffen ist auch „Aufstehen gegen Rassismus“, für den wir Trägerverein sind und somit auch ihre Spenden und Umsätze etc. uns angerechnet werden.

Was werdet ihr gegen diese Entscheidung unternehmen?
Es gibt eine sehr große Solidarität. Wir haben unzählige Solidaritätserklärungen von anderen Organisationen, Initiativen den Gewerkschaften bekommen und viele neue Mitglieder sowie Spenden bekommen. Das ist großartig. Wir haben auch einen Rechtsanwalt,der Einspruch eingelegt hat, außerdem führen wir Gespräche mit den politischen Kräften in Berlin. Mit der Linken, mit den Grünen, mit der SPD. Außerdem werden wir uns mit anderen, denen die Gemeinnützigkeit entzogen wurde, zusammentun und austauschen. Wir werden das also zum Thema machen. In Berlin wird es eine gemeinsame Pressekonferenz zum Thema Antifaschismus und Gemeinnützigkeit geben. Ein grundlegendes Problem bei unserem Fall ist ja die Sache mit dem Verfassungsschutz. Das werden wir auch angehen. Die VVN wird vom Verfassungsschutz beobachtet, seit es sie gibt. Nächstes Jahr erscheint ein gemeinsames Buch mit der humanistischen Union bei Pappy Rossa, das sich mit dem Verfassungsschutz aus unserer Sicht beschäftigt, denn der VS und seine unhaltbare Extremismustheorie sind ein Grundübel für unsere Gesellschaft. Antifaschismus muss in die Gesellschaft getragen werden, so wie der Faschismus eben auch aus ihr heraus agiert. Antifaschismus gehört in die Mitte der Gesellschaft. Dafür werden wir uns weiterhin einsetzen.

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