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Femizid- Istanbul-Konvention einhalten

Sinem Yeşil

Jährlich sterben unzählige Frauen, weil sie Frauen sind. Frauen werden von ihren Ehemännern oder Lebenspartnern geschlagen, weil sie Frauen sind. Frauen werden auf dem Arbeitsplatz sexuell belästigt, weil sie Frauen sind. Vergewaltigung zählt in Kriegen als eine zweite Waffe gegen Frauen. Und das schlimmste ist, dass körperliche sowie psychische Übergriffe an ihnen nicht ernst genommen werden. Man versucht den Spieß umzudrehen, indem man die Opfer als hysterisch und hypersensibel abstempelt oder ihnen vorwirft sie hätten sexuelle Gewaltsituationen durch ihre „Reize“ herausgefordert.

Gewalt gegen Frauen ist ein internationales Problem. Wir können beobachten, dass sich die Lage der Frauen keinesfalls verbessert. Sie spitzt sie sich immer weiter zu.  Am häufigsten zeichnet sich diese in Form von häuslicher Gewalt aus. Häusliche Gewalt wurde erst 2002 in das Gewaltschutzgesetz aufgenommen. Davor galt häusliche Gewalt als Privatsache, in die man seine Nase nicht zu stecken hat. Was zwischen zwei Menschen abläuft, das gehe nunmal keine außenstehende Person etwas an. Das sind die Vorschriften der „guten alten“ Sitten. Zur häuslichen Gewalt gehört jedoch auch die sexuelle Gewalt. Vergewaltigungen in Ehen gelten zum Beispiel erst seit 1997 als Verbrechen. Davor war lediglich die außereheliche Vergewaltigung strafbar. Somit hatten Frauen vor 1997 nicht die Möglichkeit auf sexuelle, körperliche und seelische Unversehrtheit. Trotz der Einführung dieses Gesetzes bleibt ein Großteil der Sexualstraftaten zwischen Ehepartnern weiterhin unentdeckt und ungestraft. Dunkelfeldstudien belegen dies.

Gewalt gegen Frauen äußert sich auch am Arbeitsplatz. In Deutschland wird im Schnitt mehr als jede 4. Frau Opfer sexueller Belästigung am Arbeitsplatz. Somit stellt dies für viele den Alltag dar. Nur wenige trauen sich ihre Erfahrungen mit einem Vorgesetzten zu teilen und Beschwerde einzureichen. Denn in den meisten Fällen werden Meldungen über mündliche oder körperliche sexuelle Belästigungen und Nötigungen nicht ernst genommen. Ihre Erzählungen werden als übertrieben und nicht wahrheitsgetreu gewertet. Ihnen wird vorgeworfen, dass sie ihre männlichen Kollegen durch ihre Reize provozieren würden. Viele fühlen sich deshalb hilflos und im Stich gelassen und trauen sich nicht diese Art von Verbrechen zu melden.

Von alltäglicher Gewalt bis zum Femizid

Femizide sind Frauenmorde, die mit sexualisierter Gewalt und patriarchalen Machtverhältnissen in Verbindung stehen. Nicht alle Morde an weiblichen Personen gelten als Femizide. Nur jene, die aufgrund der hierarchischen Geschlechterverhältnisse zustande kommen. Meistens sind die Opfer langfristig Misshandlungen, Bedrohungen, Einschüchterungen und sexueller Gewalt seitens des (Ex-)Partners ausgesetzt. Frauen, die sich gegen die hierarchischen Beziehungsstrukturen sträuben und ein getrenntes Leben unabhängig vom Mann vorziehen sind öfter von diesen Morden betroffen. Diese Tötungen nennt man auch Trennungsmorde. Der Begriff Femizid wurde im Laufe der Geschichte um zwei Buchstaben verlängert. Marcela Lagarde, eine Frauenrechtlerin und Autorin aus Mexiko führte den Begriff Feminizid ein. Dieser kritisiert zusätzlich eine Rechtsstaatlichkeit, die Gewalt an Frauen fördert und duldet. Beide Begriffe dienen international der Vernetzung von feministischen Kämpfen. Femizide sind ein globales Problem und wirken sich somit weltweit auf Frauen aus.

Auch Deutschland ist kein unbeschriebenes Blatt. Denn hierzulande wird alle zwei bis drei Tage eine Frau getötet. Statistiken des Bundeskriminalamts zufolge wurden im Jahr 2017 6,898 Frauen registriert, die Nötigung, Freiheitsberaubung, Zuhälterei oder Zwangsprostitution erfahren haben. Die Zahl der Frauen, die Mord- und Totschlag, Körperverletzungen, sexuelle Gewalt, Nötigung oder Stalking erlitten haben, liegt bei 131,995. Davon wurden insgesamt 204 Frauen ermordet oder totgeschlagen und 23 wurden Opfer von Körperverletzungen mit Todesfolge. Das BKA wertet in ihre Statistiken keine Femizide an Transfrauen und anderen Menschen, die sich dem weiblichen Geschlecht zuordnen, ohne die biologischen Eigenschaften einer Frau zu besitzen. Obwohl diese genauso von geschlechtsspezifischen Morden betroffen sind, wie biologische Frauen.

Die Rolle der Medien

Es gibt medial keine aufschlussreichen Berichte zu geschlechtsspezifischen Morden. Im Fokus der Berichterstattungen stehen in erster Linie herkunftsspezifische Merkmale der Täter. Somit machen sich Medien den sogenannten Migrations- oder Fluchthintergund des Täters, falls einer vorhanden ist, zum Vorteil, um Hass gegen diese Bevölkerungsgruppen zu schüren. Außerdem schaffen sie durch subjektive Berichterstattungen den Nährboden für rechte Gruppierungen und Parteien. Häufig findet eine sogenannte Kulturalisierung von Morden statt, indem diese z.B. als Ehrenmorde bezeichnet werden. Problematischer wird es, wenn solche Themen politisch missbraucht werden, um die Einwanderung von Menschen zu erschweren oder mehr Rassismus innerhalb der Gesellschaft zu schüren.

Im Allgemeinen werden Femizide durch verharmlosende mediale Darstellungen normalisiert. Dabei wird versucht das Bild von traurigen Schicksalsschlägen aufrecht zu erhalten, ohne strukturelle Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern zu erwähnen.

Nicht eine weniger

2018 trat die Istanbul- Konvention in Kraft. Die Konvention beinhaltet 81 Artikel mit umfassenden Verpflichtungen zur Prävention und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und zum Schutz der Betroffenen. Demnach ist die Bundesregierung dazu verpflichtet, Koordinierungsstellen zur Beobachtung und Bewertung von Daten über geschlechtsspezifische Gewalt zu unterstützen. Doch Deutschland hält sich bundesweit nicht an die Vorschriften der Istanbul Konvention. Zahlreiche Frauen machen momentan auf die Notwendigkeit der Istanbul-Konvention mit schwarz-weiß Fotos von sich selbst aufmerksam.

Zudem gibt es zu wenige sichere Schutzzonen für hilfsbedürftige Frauen. Frauenhäuser sind überfüllt und die Entstehung von weiteren wird seitens der Bundesregierung nicht gefördert.

Jeder Frau sollte ein sicheres Leben und kein „Überleben“ gewährleistet werden. Doch dieses Recht auf ein sicheres Leben wird gewiss nicht Gottes Geschenk sein. Abwarten und Tee trinken kommt deshalb nicht in Frage.

Das haben auch die lateinamerikanischen Frauenrechtlerinnen bewiesen, die ihren Kampf gegen Femizide Tag für Tag stärken. Ein Beispiel dafür ist die Protestaktion „Ni una menos“ (Nicht eine weniger), welche in Argentinien anfing und sich nach und nach auf viele weitere Länder Lateinamerikas ausweitete. Daraufhin folgte Italien mit der Massenbewegung „Non una di meno“ und selbst Deutschland mit „Keine mehr“. Ein weiteres Erfolgsbeispiel ist die Seite „No estamos todas“ (Wir sind nicht alle), welche auf Social Media-Plattformen die Aufmerksam durch Bilder von Frauen auf Femizide lenkt. In der Türkei haben Frauen eine Plattform namens „Kadın cinayetlerini durduracaǧız platformu“ (Wir werden die Frauenmorde stoppen) gegründet.

In Lateinamerika galten die Proteste als große Erfolgsquelle. Sie waren der Grund für das Inkrafttreten eines neuen Gesetzes, das in über ein Dutzend Ländern Lateinamerikas den Femizid als Strafbestand erklärt. Diese Protestbewegungen sind erforderlich, um Frauenmorden, sowie allen Gewaltarten an Frauen ein Ende zu setzen und müssen auch in Deutschland gestärkt werden.

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