Der Verlust ihrer Freundin Derya brachte zwei Frauen viel Trauer und Wut. Jetzt arbeiten sie an einer gewaltfreien Gesellschaft
Dilan Baran
Zwei Frauen, Saskia und Lilly, aus Köln verlieren am 14.11.21 ihre Freundin Derya (24) und ihren Sohn Kian (4) durch einen erweiterten Femizid. Seitdem arbeiten die beiden daran mehr Aufmerksamkeit für Femizide, den Morden an Frauen, weil sie eine Frau sind, zu schaffen. Dafür recherchieren sie täglich in allen ihnen zugänglichen Medien nach bekannt gewordenen Femiziden und dokumentieren sie. Außerdem listen sie sie auf einer Instagram Seite auf (@femizide_stoppen). Seit über zwei Jahren erscheint dort alle paar Tage eine orangene Kachel mit einer neuen Zahl. 21 sind es bis heute (18.03.) im Jahr 2024.
„Mit einer wachsenden Zahl an Followern bekommen wir dann auch immer öfter Hinweise zu weiteren Fällen über Zeitungsartikel zugeschickt“, erzählen sie. Ihre Veröffentlichungen basieren also auf den Informationen, die für die Öffentlichkeit durch Zeitungsartikel oder durch andere Formen der öffentlichen Berichterstattung, zugänglich sind. Die Dunkelziffer, so vermuten sie, ist demnach viel höher. Sie lesen dann mehrere Artikel von unterschiedlichen Quellen, um möglichst viele Informationen zu sammeln, die sie für eine Einordnung der Tat benötigten. Oft werde aber nur wenig berichtet, sodass eine solche Einordnung nicht immer möglich ist. „Um die Tötung einer Frau als Femizid zu veröffentlichen, muss für uns der geschlechtsspezifische Aspekt deutlich werden. Ein ganz klassisches Beispiel dafür ist, wenn ein Mann seine (Ex-)Partnerin im Streit aufgrund einer Trennung oder wegen Eifersucht tötet.“ Dabei sei es wichtig zu betonen, dass nicht etwa die Trennung von Seiten der Frau der Grund für die Tötung sei, sondern das patriarchale Besitzdenken des Mannes.
In den seltensten Fällen gäbe es ein Bekennerschreiben oder konkrete Äußerungen des Täters darüber, dass die Tat aufgrund von Frauenhass begangen wurde, das sei jedoch auch nicht notwendig, um strukturelle Gewalt gegen Frauen zu benennen. Für Saskia und Lilly ist das der erste Schritt zur Bekämpfung: „ein Muster muss analysiert, erkannt und eingeordnet werden, denn dann kann man auch dagegen vorgehen“. Und weil genau das weder von den Medien, noch von staatlichen Institutionen, wie dem BKA, gemacht werde und Femizide stattdessen als „Beziehungstaten“, „Familiendramen“ und „Tötungen aus Liebe“ bezeichnet und romantisiert werden, versuchten sie durch ihre Posts mehr Bewusstsein dafür zu schaffen.
Diese erreichten auf Instagram vor allem die jüngere Generation. Um auch Menschen ohne Instagram auf Femizide aufmerksam zu machen (die gäbe es schließlich in jeder Altersklasse) erstellen sie auch PDF-Dateien, die sich jede:r runterladen kann und so die Posts ausdrucken und in der Öffentlichkeit aufhängen kann. Um noch wirksamer Öffentlichkeit für dieses gesellschaftliche Problem zu schaffen, wünschten sie sich jedoch eine bessere mediale Berichterstattung mit der Einordnung als Femizid, um das strukturelle Ausmaß deutlich zu machen. In Spanien beispielsweise werde von aktuellen Femiziden abends vor den Hauptnachrichten berichtet.
Auf die Frage, wie Gewalt an Frauen verhindert werden könne, sagen sie, es müsse jegliche Aggressionen und Ungleichheiten im alltäglichen Leben gesamtgesellschaftlich abgebaut werden. Strukturelle Gewalt und Diskriminierung gegen Frauen äußere sich alltäglich in Form von Belästigungen, sexistischen Mikroaggressionen oder auch in ungleicher Bezahlung. Daran schließt auch das Problem der finanziellen Abhängigkeit an. Es muss politisch gewollt werden, dass beide Geschlechter gleich viel Geld verdienen und auch beide gleich erwerbstätig bleiben können wenn sie Kinder bekommen. Denn dann hat eine von Gewalt betroffene Frau eher die Möglichkeit sich aus dieser gewaltvollen Beziehung zu befreien.
Die alltägliche Gewalt äußere sich in vielen Formen, wie z.B. auch in Rechtsurteilen. Eine Studie von Julia Habermann zeige auf, dass Täter von Femiziden mildere Urteile bekämen als Täter:innen von vergleichbaren Tötungsdelikten ohne das geschlechtsspezifische Motiv. Es brauche also ein gesamtgesellschaftliches Umdenken, was natürlich einen langen und anstrengenden Prozess darstelle.
Die Politik könne aber akute Hilfe z.B. durch mehr Schutzräume für gewaltbetroffene Frauen (z.B. durch mehr Frauenhäuser) schaffen, sodass Frauen in Not und Gefahr die Möglichkeit haben sich von dieser zu entfernen. In Deutschland gibt es aber zu wenige Frauenhausplätze, sodass Frauen auch abgewiesen werden können und keine Schutzräume finden. All diese Stufen von Gewalt und Diskriminierung bilden die Grundlage für höhere Gewalt, deren höchste Form der Femizid ist.
Außerdem müsse es viel mehr Ressourcen für Täterarbeit (zB. Anti-Aggressiontrainings) geben, denn Gewalt wird nicht dann beendet, wenn Frauen sich ausreichend vor dieser schützen, sondern wenn die Täter aufhören zu Tätern zu werden.
Deutschland habe außerdem die Istanbul-Konvention unterschrieben und diese am 12.10.17 ratifiziert. Damit verpflichtete sich die Politik eigentlich dieses Übereinkommen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und auch von häuslicher Gewalt umzusetzen. Jedoch kommt GREVIO, die Expert:innengruppe zur Überprüfung der Umsetzung der Konvention, 2022 zu dem Schluss, dass es erhebliche Umsetzungsdefizite in Deutschland gibt.
Es gelte also weiterhin Aufmerksamkeit für das Thema zu schaffen, sich mit Betroffenen von Gewalt zu solidarisieren, den Druck auf die Politik zu erhöhen, z.B. durch Demonstrationen, Petitionen usw. und jede Form von Gewalt konsequent zu bekämpfen.
Versammlungen nach Femiziden und Blumen und Kerzenniederlegungen am Tatort würden immer mehr Aufmerksamkeit schaffen und würden Solidarität mit den Hinterbliebenen ausdrücken. Zudem könne man den Prozess vor Gericht begleiten und auch so wieder Solidarität zeigen.
Zum Schluss appellieren sie an die Verantwortung von staatliche Institutionen, Presse und auch jede:r Einzelnen, sich für eine gerechte, gleichberechtigte und gewaltfreie Gesellschaft einzusetzen, denn Frauenmorde seien keine Einzelfälle, sondern haben System. Unsere Trauer wurde zu Wut und führte zu dieser Arbeit, damit wollten sie ihrer Freundin Derya und ihrem Sohn Kian und an alle weiteren Frauen, die Opfer von Femiziden wurden gedenken und die Bewegung für Ni una menos! (Nicht eine mehr) vorantreiben.