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Militärbündnis zur Beherrschung der Welt

Milan Lingner

„Deutschland raus aus der NATO“ ist eine Forderung, die seit Jahren von linker Seite zu hören ist. Auch jetzt, wo das russische Militär ihren Angriffskrieg gegen die Ukraine gestartet hat, hört man von linker Seite wieder verstärkt diese Forderung. „Doch dabei benimmt sich die NATO doch gerade in diesem Konflikt relativ vorbildlich“, wie man auch oft zu hören bekommt. Wenn man die Forderung nach dem NATO-Austritt verstehen will, lohnt sich ein Blick in die Geschichte und ein tieferer Einblick in die Rolle, die die NATO in der Weltpolitik einnimmt.

Gegründet wurde die NATO 1949, nach Ende des zweiten Weltkrieges und am Anfang des kalten Krieges. Ursprünglich mit 12 Mitgliedsstaaten und geführt von den USA, hat sich das Bündnis heute auf 30 Staaten ausgeweitet mit einigen weiteren Aufnahmekandidaten das stärkste Militärbündnis der Welt. Viele der jüngeren Mitglieder oder Kandidaten befinden sich im ehemaligen (Einfluss-)Gebiet der Sowjetunion und an den Grenzen der Russischen Föderation. Die ursprüngliche Legitimation der NATO liegt dabei in ihrer Funktion als „Verteidigungsbündnis“. Sollte einer der Bündnispartner angegriffen werden, tritt der Bündnisfall ein und alle anderen Bündnispartner erklären dem Aggressor den Krieg. Damit sollte vor allem der sowjetische Ostblock abgeschreckt werden. Allerdings belief sich auch damals schon die Arbeit der NATO nicht nur auf ein stilles Abkommen. So erweiterte die NATO ihre Mitgliederliste um mehr und mehr Staaten bis an die Grenzen des Ostblocks. Als 1955 die BRD in die Nato aufgenommen wurde, gründeten die Ostblockstaaten als Antwort zur Nato den Warschauer Pakt. Die NATO verfolgte in dieser Zeit hauptsächlich eine Politik des Wettrüstens und der nuklearen Abschreckung, um die Sowjetunion in Schach zu halten. Dabei versuchte man militärische Stärke vor allem durch Manöver und Militärübungen zu beweisen. Ein zentrales Manöver der NATO war dabei das seit 1969 bis 1993 jährlich stattfindende REFORGER oder Return for Germany – Manöver. Dabei zogen NATO-Truppen bis vor die Grenze der DDR – eine klare Provokation in Richtung Warschauer Pakt. Dabei kam es 1983 zu einer gefährlichen Situation: Die sonst offenen Manöver zur Atomraketenabwehr und Nuklearem Rückschlag wurden diesmal unangekündigt und unter Geheimhaltung durchgeführt, was unter sowjetischen Sicherheitsdiensten verständlicherweise zu Panik führte. Wie wahrscheinlich ein nuklearer Krieg gewesen wäre, bleibt umstritten.

Zerfall der Sowjetunion: Neue Ziele

Nach dem Zerfall der Sowjetunion hatte die NATO ihre offizielle Legitimationsgrundlage verloren. Statt sich aufzulösen, änderte das Militärbündnis aber ihre Taktik. Statt Verteidigungsbündnis gegen den Ostblock wurden die Aufgaben jetzt weiter gefasst. Die Out-of-Area Doktrin wurde beschlossen und ermöglichte der NATO-Einsätze außerhalb der Grenzen ihrer Mitgliedsstaaten. Auch die Gefahren wurden weiter gefasst: neben Sicherheitsinteressen der NATO-Staaten wurde auch die Sicherung von Handelswegen und Rohstoffen als ein möglicher Einsatzgrund für NATO-Truppen gesehen.

So mischte die NATO erstmals außerhalb ihrer Grenzen im Bosnien-Krieg von 1995-1999 mit und bombardierte dort serbische Stellungen. Das Interesse der NATO lag vor allem in dem entstandenen Machtvakuum im Balkan nach Fall der Sowjetunion und dem Tod des Jugoslawischen Präsidenten Tito. Als 1999 die NATO, völkerrechtswidrig und unter dem Vorwand, die serbische Armee würde systematisch ethnische Säuberungen begehen, in den Kosovo an der Seite der albanischen UCK einmarschierte, weitete sich der Konflikt zu einem Krieg aus. Dabei war die NATO sich auch nicht zu schade, zivile Infrastruktur zu bombardieren und auf der anderen Seite begann die serbische Armee nun tatsächlich mit ethnischen Säuberungen und Vertreibungen. Die NATO, die in diesem Krieg vor allem auf Luftraumkontrolle und Bombardierungen setzte, um das Risiko für die eigenen Soldaten zu minimieren, konnte diese Säuberungen ohne Bodentruppen nicht verhindern. Die oft ungenauen und mit international geächteten Streubomben durchgeführten Bombardements taten ihr übriges, um den Konflikt zu einem der blutigsten in der jüngeren europäischen Geschichte zu machen.

Am Ende bekam die NATO aber, was sie wollte, einen schnellen, wenn auch unsauberen Sieg. Eine permanente Überwachung des neugeschaffen kosovarischen Gebiets durch die NATO und eine Schwächung des pro-russischen Jugoslawiens bzw. Serbiens. Durch diesen Krieg setzte die Nato den Präzedenzfall völkerrechtswidriger Kriege mit humanistischer Begründung und untermauerte die Out-of-Area Doktrin durch ihre erste praktische Erprobung.

Neues Feindbild: Islamischer Terror

Die Out-of-Area Doktrin erreichte ihren Höhe- und Wendepunkt mit den Anschlägen des 11. Septembers. In Antwort auf die Terroranschläge riefen die USA den Bündnisfall aus. Eigentlich gedacht für den Fall eines Angriffs- oder Nuklearkrieges, wurde hier sehr weiträumig dem „globalen Terror“ der Krieg erklärt. Die darauffolgende NATO-Operation Enduring Freedom (OEF), die in Afghanistan ihren traurigen Höhepunkt fand, betraf neben Afghanistan auch Somalia, Dschibuti, Eritrea, Philippinen, Kenia, Äthiopien, Sudan und Jemen. Das Interesse der Nato bei diesem Konflikt lag zunächst, neben innenpolitischen Motivationen der Bush-Regierung, in der Sicherung von Rohstoffen wie Öl in Afghanistan und Afrika, sowie von Handelswegen insbesondere am Horn von Afrika. Später, nach Einnahme Afghanistans und dem Beginn der „friedensschützenden“ Einsätze ISAF und RSM zur Unterstützung der eingesetzten Regierung, versuchte man einerseits einen stabilen und NATO-freundlichen Staat in Afghanistan aufzubauen und andererseits Infrastrukturaufträge und Waffenlieferungen für die eigenen Unternehmen zu sichern. Allerdings nahm die anfängliche Begeisterung für den Krieg – geboren aus der Bestürzung über die Terroranschläge – in der Zivilbevölkerung der Nato-Staaten schnell ab und die ökonomischen Hilfestellungen für Afghanistan versandeten in semi-korrupten Staatsaufträgen für die eigenen Unternehmen ohne Rücksicht auf die tatsächlichen Bedürfnisse der afghanischen Bevölkerung. Der Krieg und damit auch die Doktrin der Out-of-Area Einsätze wurde zunehmend unbeliebt. Gleichzeitig zeichnete sich China als aufstrebende Industrienation und damit ein Hegemoniewechsel des weltweiten Kapitalismus ab. Die Nato musste sich neu ausrichten. Nach dem Abzug aus Afghanistan beschloss die Nato ihre neue Ausrichtung 2021 in dem Papier NATO 2030. An erster Stelle steht nun wieder ein vermeintlicher Systemkonflikt mit den alten Feindbildern Russland und China.

Deutschlands Rolle in der Nato

Deutschlands Beteiligung in der Nato ist sowohl für die Geschichte der NATO als auch für die Geschichte der BRD wichtig. Der NATO Beitritt war einer der wichtigen Gründe für die Erlaubnis zur Wiederaufrüstung der BRD nach dem zweiten Weltkrieg und gleichzeitig der Auslöser für die Gründung des Warschauer Pakts und damit eine wichtige Stufe in der Eskalation des Kalten Krieges. Deutschland ist in Mitteleuropa ein Dreh- und Angelpunkt für sämtliche militärischen Einsätze Richtung Osteuropa. Der erste militärische Auslandseinsatz der Bundeswehr fand im Zuge der Nato Einsätze in Bosnien und im Kosovo statt, wo sich die Bundeswehr auch am Angriffskrieg beteiligte. Eine Grundvoraussetzung für die späteren Einsätze in Afghanistan und Mali und der Grundstein für einen neuen deutschen Kolonialismus an der Waffe.

Wer gegen Militarismus und Aufrüstung ist, wer sich wünscht, dass weniger Geld für Waffen und Rüstung ausgegeben werden, wer den deutschen Kolonialismus ablehnt und kein Interesse an dem Imperialismus westlicher Staaten hat, sollte das Ziel Deutschland raus aus der Nato unterstützen.

Nicht nur würde das Geld den Verlust von menschlichem Potential und Leid ersparen, es würde auch imperialistische Aggressionen anderer NATO Staaten erschweren und Deutschland die Möglichkeit einer Vermittlerposition geben, für echten Frieden statt einseitiger Beherrschung der Welt.

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