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„Gestern – Heute – Morgen! – Angekommen?“

Bircan Özdemir

Die Frauengruppe der DIDF und das Migrantinnenbündnis Kassel haben ein eigenes Theaterstück entwickelt. Am Abend unserer Premiere konnten wir kaum den Moment erwarten, an dem wir auftreten würden. Als es dann tatsächlich so weit war, fragten wir uns hinter der Bühne gegenseitig immer wieder, wie die Stimmung beim Publikum wohl ist und wir unsere Aufführung ankommen würde. Wir stärkten uns schon während der Proben gegenseitig und lobten uns, wenn eine von uns ihre Rolle besonders gut spielte. Als wir nach dem einstündigen Auftritt vom Publikum mit großem Applaus wieder auf die Bühne gerufen wurden, wussten wir, dass unser Theaterstück gut angekommen war. Stolz auf unsere Leistung, haben wir uns an unseren Händen gehalten und den Applaus genossen.

Anschließend haben wir im Foyer mit dem Publikum gefeiert. Während der Feier haben wir bei vielen einzelnen Gesprächen mitbekommen, dass das Publikum die Inhalte und die Botschaften unseres eigenen Stücks mit hoher Aufmerksamkeit verfolgt hatte. Mit einem ganz groben Konzept hatten wir im September 2018 angefangen, für eine Theatergruppe zu werben.

Unser Ziel war es, mit einer Gruppe von 10-15 Frauen mit und ohne Migrationshintergrund gemeinsam ein Theaterstück über das Thema „Integration“ zu entwickeln. Wir wollten damit vor allem das Bewusstsein der Frauen über ihre soziale Situation stärken und ihre Fähigkeiten zu einer selbstbewussten Darstellung ihrer Interessen und ihrer Bedürfnisse im Rahmen des Projektes fördern. Wir wollten auch dazu beitragen, Gemeinsamkeiten und gemeinsame Interessen mit anderen Frauen in Deutschland zu entdecken und gegenseitige Vorurteile abzubauen.

Die Frauen sollten mit eigenen Ideen und Kräften ein Stück entwickeln und präsentieren. Wir haben unser Vorhaben dann tatsächlich in eigener Initiative umgesetzt. Um das Stück auf die Bühne zu bringen, haben wir uns auch etwas professionelle Hilfe durch eine Theaterpädagogin des Staatstheaters Kassel geholt. Unser Theaterprojekt wird vom “WIR“-Programm des Hessischen Ministeriums für Soziales und Integration unterstützt.

Die Zusammensetzung unserer Gruppe forderte uns geradezu dazu heraus, das Thema „Integration“ vielschichtig zu diskutieren, weil die Teilnehmerinnen der Gruppe unterschiedlicher Herkunft, unterschiedlicher Religionszugehörigkeiten und Nationalität sind. Wir sind Frauen aus völlig verschiedenen Altersgruppen – von 14 bis 70! Nach einer Weile haben wir gemerkt, dass unsere Nationalität, Religionszugehörigkeit und Herkunft – so wie wir es immer wieder gesagt bekamen oder gelernt hatten – eben keine Basis dafür sein konnten, gemeinsam etwas auf die Beine zu stellen.

Deshalb haben wir uns typische Beispiele aus unserem Alltags- und Arbeitsleben als Kernpunkte für unser Theaterstück gesucht. Wir entschieden uns für zwei Beispiele, die Teilnehmerinnen der Gruppe selbst erlebt hatten oder mitbekommen hatten: Die „Nahverkehrsreform“ in Kassel und die Problematik der Arbeitsverdichtung für Reinigungskräfte. Daran haben wir versucht, gemeinsame Probleme, gemeinsame Interessen und gemeinsame Möglichkeiten herauszuarbeiten, um sich mit anderen Frauen in Deutschland zu wehren. Mobilität und bessere Arbeitsbedingungen braucht jede – egal ob sie deutsche, türkische, kurdische oder iranische Nationalität hat!

In der ersten Szene begannen wir damit, in Monologen unsere eigene Geschichte darzustellen: aus welchem Grund wir nach Deutschland zugewandert waren und wie wir versucht haben, hier unser Leben aufzubauen. Dies war für die meisten unter uns, die ja noch nie auf einer Bühne gestanden waren, ein geeigneter Einstieg – und doch eine große Herausforderung! So konnten wir auch zeigen, unter welch unterschiedlichen Bedingungen wir uns in der deutschen Gesellschaft zurechtfinden und entwickeln mussten. Wir wollten mit dieser Darstellung auch eine Antwort auf die negativen Pauschalisierungen der Entwicklung von Migrantinnen in Deutschland geben: Mit welchen Erfahrungen waren wir hergekommen, mit welchen Möglichkeiten hatten wir unser Leben aufgebaut? Fühlen wir uns zu Hause, wenn ja, wo und warum? Was fehlt uns? Genau deswegen haben wir unser Stück „Gestern – Heute – Morgen! – Angekommen?“ genannt. Mit Hilfe kurzer Filmausschnitte von geschichtlichen Meilensteinen der Migrationspolitik in Deutschland haben wir versucht, zu zeigen, wie Politik die Frage der Migration und Integration instrumentalisiert und wie dies unser Zusammenleben beeinflusst. Dem haben wir eine bessere Perspektive entgegen gestellt: Wie können wir gemeinsam für ein besseres Leben für alle kämpfen? Weitere Auftritte sind wegen großer Nachfrage geplant!

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