Oktay Demirel
Die am 1. April 2025 in NRW in Kraft getretene Krankenhausreform „soll das Gesundheitswesen revolutionieren“. Weniger Bürokratie, mehr Qualität, effektive Versorgung und -man staune-Entökonomisierung der Medizin – so zumindest lauten die Kernargumente, die diese Reform „notwendig machten“. Tatsächlich aber wird das System nicht vom Markt befreit und auf eine humanistische, menschliche Ebene gehoben, sondern neu in die Logik des Marktes angepasst. Der Gesundheitssektor bleibt ein Feld perverser, kapitalistischer Verwertungslogik. Wer das System wirklich heilen will, müsste sich mit der Macht großer Pharma- und Gesundheitskonzerne anlegen. Stattdessen bekommt man eine Reform, die zentrale Probleme vertuscht, Symptome verwaltet und neue Probleme schafft, weil in ihrem Kern die Spar- und Profitlogik steckt, immerhin stammt die Idee aus der Feder des Bertelsmann-Konzerns.
Das Prinzip, nach dem Krankenhäuser im Kapitalismus arbeiten sollen, ist nicht Fürsorge, sondern Effizienz. Statt den Bedürfnissen der Menschen zu folgen, orientiert sich die Planung an Fallzahlen, Strukturkennziffern und Investitionsrenditen. Die neue Finanzierungslogik, gestützt auf sogenannte Vorhaltepauschalen, die 60 Prozent der Vergütung für das Vorhalten bestimmter Angebote abdecken sollen, ändert daran nur wenig. Zwar müssen Kliniken nun nicht mehr ausschließlich über jede einzelne Behandlung abrechnen – sie bekommen Geld auch dafür, bestimmte Leistungen vorzuhalten. Doch diese Zahlungen sind an enge Vorgaben geknüpft und wer die Anforderungen nicht erfüllt, fällt unten durch. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) warnt davor, dass die Reform zu langen Wartelisten, Fehlanreizen und erhöhter Bürokratie führen wird.
Was nicht effizient ist, wird aussortiert
Gerade kleinere Häuser, vor allem im ländlichen Raum, geraten dadurch massiv unter Druck. Sie können die geforderten Standards nicht erfüllen – nicht, weil sie schlechter wären, sondern weil sie strukturell benachteiligt sind. Während große Zentren wachsen und zusätzliche Mittel abschöpfen, droht an den Rändern die Unterversorgung. Bereits jetzt haben etliche Kliniken Insolvenz angemeldet oder Stationen oder Teile geschlossen, die sich nicht „rentieren“. Der Markt kennt kein Gleichgewicht – er produziert Ungleichheit. Die Reform wird zwangsläufig zur Schließung kleinerer Kliniken vor allem im ländlichen Raum führen, was die Gesundheitsversorgung in diesen Gebieten weiter verschlechtern wird. Die Rosa-Luxemburg-Stiftung z.B. kritisiert, dass die Reform keine ausreichende Bedarfs- und Auswirkungsanalyse vorsieht und somit die Gefahr besteht, dass bestehende Versorgungsengpässe weiter verschärft werden.
Die Reform spricht von „Leistungsgruppen“, von „Versorgungsleveln“, von „Strukturvorgaben“. Dahinter steht eine kalte Logik: Nur wer liefert, was zentral geplant und als wirtschaftlich sinnvoll bewertet wird, hat Bestand. Kliniken, die nicht mithalten, verschwinden – nicht, weil sie tatsächlich überflüssig wären, sondern weil sie sich finanziell nicht rechnen.
Die Reform verschleiert, was sie real bedeutet: eine kapitalgerechte Umstrukturierung des Gesundheitswesens. Die sogenannte Entökonomisierung ist reine Rhetorik. In Wahrheit wird der Betrieb „Krankenhaus“ effizienter gemacht, nicht menschlicher. Die Fallpauschalen verschwinden nicht, sie werden lediglich ergänzt. Das Ergebnis ist dasselbe: Krankenhäuser konkurrieren, planen mit Risiken, kürzen, wenn es sein muss – nicht, weil es sinnvoll ist, sondern weil sie sonst untergehen.
Statt echter Entlastung des Personals gibt es Rationalisierung. Statt Fürsorge gibt es Controlling. Statt Solidarität gibt es Marktmechanismen in ihrer nächsten Entwicklungsstufe. Der Staat spielt hier die Rolle des aktiven Architekten eines Systems, das mit medizinischer Versorgung nur noch am Rande zu tun hat. Wer sich Gesundheitsversorgung nicht leisten kann, bleibt zurück. Wer nicht ins System passt – sei es als Patient, als Pflegekraft oder als Krankenhausstandort – wird aussortiert. Von einer echten Stärkung des Pflegebereichs kann keine Rede sein. Die Versorgungsqualität sinkt, weil Beschäftigte unter höherem Druck arbeiten müssen und weil immer weniger Häuser die Anforderungen erfüllen können. Die mit der Reform eingeführte „digitale Steuerung der medizinischen Versorgung“ ersetzt kein Maß an Fürsorge.
Die Reform lässt sich auf eine einfache Formel bringen: Gesundheit bleibt Ware, Versorgung bleibt Standortfaktor, das Krankenhaus bleibt Betrieb.
Diese Politik ist kein Unfall. Sie ist Ausdruck eines Systems, das Profit über Menschen stellt.
Die Geschichte der Gesundheitsreformen der letzten 30 Jahre ist eine Geschichte der schleichenden Privatisierung und der Markteinführung öffentlicher Güter. Die Krankenhausreform 2025 in NRW ist da nur der nächste Schritt: Für Investoren, Konzerne und Beratungsfirmen ist das ein Gewinn. Für Beschäftigte und Patienten ist es lebensgefährlich – ein Risiko, das politisch gewollt ist.
Was wäre die Alternative? Eine konsequent öffentliche Gesundheitsversorgung, finanziert aus Steuermitteln, geplant nach Bedarf, demokratisch kontrolliert, frei von Profitlogik. Krankenhäuser müssten dann nicht wirtschaftlich sein – sondern gut. Pflegekräfte müssten nicht „effizient“ sein – sondern für den Patienten da. Gesundheit würde nicht als Ware organisiert, sondern als Teil gesellschaftlicher Verantwortung.
Zur Einführung der Reform erklärte NRW-Gesundheitsminister Laumann: “Eine Sache ist für mich grundlegend: Die Krankenhäuser sind für den kranken Menschen da. Nicht die kranken Menschen für den Erhalt der Krankenhäuser. Das muss jedem, der im Gesundheitssystem arbeitet, klar sein.“
Die Aussage „Krankenhäuser sind für den kranken Menschen da, nicht umgekehrt“ klingt zwar empathisch – ist aber gefährlich verkürzt. Sie suggeriert, der Erhalt von Kliniken und gute Arbeitsbedingungen in einem Krankenhaus seien zweitrangig, solange „der Patient im Mittelpunkt steht“. Doch wer die Infrastruktur schwächt, schwächt auch die Versorgung. Ohne Personal, Räume und stabile Strukturen bleibt der Patient auf der Strecke. Wirklich patientenzentriert wäre eine Politik, die aufhört, Krankenhäuser wie Unternehmen zu behandeln und anfängt, Gesundheit als öffentliche Aufgabe zu begreifen. Nicht Patienten oder Personal stehen im Weg, sondern die Logik des Profits.
Wer heute Reform ruft, muss morgen erklären, warum noch mehr Kliniken schließen, warum die Pflege erschöpft ist, warum Patienten warten, leiden oder gar sterben – im reichsten Land Europas.