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Inflation, Umverteilung und Reichtum

Kevin Westphal

Ob Energie, Kraftstoff oder Lebensmittel: Viele Gegenstände des täglichen Bedarfs haben sich in den letzten Monaten stark verteuert. Diese Preissteigerungen lassen sich unter dem Begriff Inflation fassen. Gegenüber dem Februar 2021 hat diese sich mehr als verfünffacht und beträgt aktuell 7,5%. Allein die Energiepreise stiegen dabei um 14,3% und das noch vor den weiteren Teuerungen durch den Krieg in der Ukraine. Dass es sich dabei um einen schweren, finanziellen Schlag für viele deutsche Haushalte handelt, ist vielen zunächst nicht bewusst. Schließlich wird uns immer wieder versichert, wir hätten in Deutschland doch die soziale Marktwirtschaft. 

Die soziale Lage

Wie sozial die wirtschaftliche Lage in Deutschland tatsächlich ist, zeigte sich letztes Jahr besonders eindrücklich durch den Ungleichheitsbericht von Oxfam, welcher neben der globalen Vermögenssituation auch die Verhältnisse in Deutschland aufgriff und dabei zu einem eindeutigen Ergebnis kam. Denn in Deutschland leben derzeit 13,4 Millionen Menschen in Armut, was knapp jede sechste Person bedeutet. Das sind fatale Zahlen für ein so wirtschaftlich starkes Land wie Deutschland, welches kaufkraftbereinigt das fünfthöchste Bruttoinlandsprodukt der Welt besitzt. Und auch das durchschnittliche Nettoeinkommen macht deutlich, dass in Deutschland längst nicht alle am wirtschaftlichen Erfolg teilhaben. Im vergangenen Jahr betrug dieses nämlich 2.084 Euro. Um jedoch zu verstehen, dass es sich dabei nicht um ein Einkommen handelt, von dem man in Deutschland komfortabel und sicher leben kann und das es ebenfalls nicht erlaubt, die sprunghaften Teuerungen von grundlegenden Gebrauchsgütern unbemerkt wegzustecken, zeigt sich, wenn man dieses Einkommen den durchschnittlichen Haushaltsausgaben gegenüberstellt. Hier ergeben sich folgende Zahlen: Ein Haushalt gibt hierzulande durchschnittlich 923€ für Wohnen und Energie, 387€ für Nahrungsmittel, 325€ für Verkehr, 107€ für Gesundheit, 93€ für Bekleidung, 67€ für Post und Kommunikation und 160€ für Haushaltsgegenstände bzw, -geräte pro Monat aus. In der Summe ergeben allein diese monatlichen Konsumausgaben 2.062 Euro. (Ironischerweise zählt man ab einem Nettoeinkommen von 1500€ zur berühmt berüchtigten „Mittelschicht“.) Dass die Ausgaben für den elementaren Grundbedarf also fast vollständig das durchschnittliche Nettoeinkommen auffressen, macht unmissverständlich klar, wie prekär die Einkommenssituation für den Großteil der deutschen Bevölkerung ist. Vor allem, weil bis hier keine Kosten für Freizeit, Kultur, Dienstleistungen, Unterhaltung, Bildung oder ähnliches berechnet wurden. Des Weiteren verursacht der stetige Sozialabbau im privaten Bereich zusätzliche Kosten, zum Beispiel für Alters-, Gesundheits- und Arbeitsunfähigkeitsvorsorge. Wer unter „Leben“ also mehr versteht, als zur Arbeit zu fahren und sich sonst um seinen Grundbedarf zu kümmern, der sieht sich angesichts der Einkommen und der aktuellen Preisentwicklungen in Deutschland vor ein ernsthaftes Dilemma gestellt. Dass die aktuellen Energiepreissteigerungen, die wesentlich durch den Krieg in der Ukraine verursacht sind, weitere 600.000 Haushalte ins Armutsrisiko drängen, unterstreicht dies zusätzlich.

Reichtum: Woher er kommt, wohin er geht

Doch wie kann es sein, dass, trotz einer so starken und konkurrenzfähigen Wirtschaft, ein so großer Teil der Bevölkerung in Deutschland arm ist und ein noch größerer Teil von seinem Einkommen gerade einmal den grundlegenden Bedarf decken kann? Die Antwort lässt sich in der Vermögensverteilung in Deutschland finden. Die reichste Hälfte Deutschlands besitzt derzeit 99,5% des Vermögens, das reichste Prozent sogar 35%. Besonders die letzten zwei Jahre waren hinsichtlich der Vermögensentwicklung besonders aufschlussreich, wenn man sich den „sozialen“ Teil der Marktwirtschaft vergegenwärtigen möchte.
Seit Beginn der Pandemie waren die zehn reichsten Deutschen in der Lage, ihr Vermögen um 78% zu vermehren, was 112 Milliarden Euro entspricht. Allein diese Steigerung ist dabei beinahe so hoch wie das Vermögen der ärmsten 40% in Deutschland. Umgerechnet bedeutet das, dass 10 Personen in Deutschland weit mehr als doppelt so viel besitzen wie 33 Millionen Menschen. Es sind genau diese Reichen, die von der deutschen Wirtschaftsleistung profitieren. Dass währenddessen der Großteil der Bevölkerung immer mehr Reallohn verliert und stetig verarmt, ist dabei keine zufällige Parallelentwicklung, sondern steht im direkten Zusammenhang mit der Reichtumssteigerung der oberen paar Prozent. Während die Preise für alle Gebrauchsgegenstände und Waren kontinuierlich durch die Inflation – das heißt durch den Wertverlust des Geldes – steigen, bleiben die Löhne in den meisten Fällen hinter dieser Preissteigerung zurück. Die Rekordinflation von 7,3%, die wir aktuell erleben, bedeutet, dass dieser Vorgang besonders hart ausfällt und für die meisten arbeitenden Menschen sehr direkt spürbar ist. 

Die ständigen Qualitäts- und vor allem Produktivitätssteigerungen führen ebenfalls zu einem relativen Lohnverlust des Arbeiters gegenüber dem Gewinn des Besitzenden. Ist man zum Beispiel plötzlich in der Lage, in der gleichen Zeit eine höhere Stückzahl einer Ware zu fertigen bzw. die Produktivität einer Dienstleistung zu steigern, während aber der Arbeitslohn nicht im gleichen Umfang erhöht wird, so wächst der Gewinn des Besitzenden, während der Lohn des Arbeiters im Verhältnis schrumpft. Das Zusammenspiel all dieser Dynamiken verursacht in letzter Konsequenz eine stetige Umverteilung des Besitzes von unten nach oben. Die Besitzenden dehnen ihr Vermögen kontinuierlich aus, indem sie den Arbeitslohn im Verhältnis zum Gewinn immer geringer werden lassen und damit den Vermögensverlust der arbeitenden Menschen bedingen. Von der Arbeit der Mehrheit der Gesellschaft profitieren am Ende nur wenige. Während diese Wenigen immer reicher werden, wird die Mehrheit immer ärmer – die berühmte Schere zwischen Arm und Reich. 

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