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‚Krieg. Erinnern‘

Selçuk Kozan / Gülcan Turan

Die Schreib- und Theaterwerkstatt „Parallele Welten“ im Rahmen des Stadttheaters Bielefeld dient dem theatralen Austausch und der Selbstverständigung für Menschen unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlichen Alters. Behandelt werden Alltagsthemen, Rassismus, Krieg und Migration. Dieses Jahr steht „Parallele Welten“ mit dem Stück “Krieg. Erinnern” auf der Bühne im Stadttheater. Die Prämiere von “Krieg. Erinnern” ist am Samstag, 07.12. um 19:30 Uhr im TAMDREI.

In der Projektreihe sucht das Theater Bielefeld seit 2012 den Austausch mit Laien und Theaterkünstlern unterschiedlichster Herkunft. In der bereits fünften Produktion der Projektreihe Parallele Welten haben Laien und Profis zwischen 17 und 62 Jahren mit kurdischen, türkischen, kosovarischen, serbischen, ägyptischen, italienischen, syrischen, russischen und deutschen Wurzeln unter Leitung von Theaterpädagogin Martina Breinlinger und Schauspieler Omar El-Saeidi ein interkulturelles Stück entwickelt.

Beweggrund: Die Opfer sterben aus und wir bleiben mit Büchern und Fotos zurück. Momentaufnahmen, die uns nahe gehen. Doch haben wir das Recht, zu erfahren, was Mitglieder unserer Familie im Krieg erlebt haben, was ihr Leid, ihre Heldentaten oder Verbrechen waren? Macht es Sinn, sie mit Fragen zu bedrängen? Krieg erinnern… und wohin soll das führen? Die Schuldigen vor ihre schlechten Gefühle oder den Leidenden erneut vor sein Leid stellen? Das Stück versucht Antworten auf diese Fragen zu finden.

Die Familien der Spieler sind größtenteils Opfer eines Krieges. Ein Teil ihres Lebens an das sie bisher nicht erinnert werden wollten, wurde von ihren Kindern hinterfragt. Sollen wir sie

daran erinnern?

Wir haben mit drei Teilnehmern des Projektes gesprochen: Daniel Heinrich, Ingo Nie und Merisa Ferati.

“ZUM NACHDENKEN ANREGEN!”

Warum Theater?

Ingo: Mich hat das schon immer interessiert, aber ich hatte nie Zeit dafür. Aber jetzt bot sich die Gelegenheit.

Daniel: Mich hat das auch immer schon interessiert. Ich wollte auch mal was Neues ausprobieren. Ich bin Lehrer und hab an meiner Schule mal versucht, sowas als AG zu installieren. Leider hat das nicht geklappt.

Wie seid ihr mit dem Thema „Krieg / Erinnern“ umgegangen?

Daniel: Als das in einer Sitzung thematisiert wurde, habe ich erst gesagt, “Ich habe doch mit Krieg nichts zu tun.” Meine Familie hat sich mit dem Thema nicht großartig auseinandergesetzt. Ich selber fand das immer eher unangenehm in meiner Schulzeit über den 2. Weltkrieg. Der war für uns Deutsche schließlich sehr präsent. Der einzige Bezugspunkt, den ich hatte, war, dass ich relativ viel mit geflüchteten Menschen arbeite, weil sie in meinen Klassen sind.

Ingo: Auch bei uns in der Familie wurde nicht viel darüber geredet, was damals vorgefallen ist. Ein guter Freund von mir hatte sich beim Jugoslawien Krieg in den 90`ern freiwillig gemeldet und ich hatte ihn verloren,das war meine einzige Verbindung zum Krieg. Generell mag ich nichts über Krieg hören.

Merisa: Krieg war für mich direkt ein Begriff, da meine Familie aus dem Kosovo geflohen ist, als ich 3 Jahre alt war. Krieg ist für mich generell ein Thema, etwas, was mich beschäftigt. Es betrifft mich auch persönlich und darüber berichte ich auch im Stück.

“ES IST ABSURD, DASS ALLE NORMAL WEITERLEBEN”

Was wollt ihr mit dem Stück bewirken? Was könnte es bei dem Zuschauer bewirken, wenn er sich erinnert?

Daniel: Ich bin mir nicht ganz sicher, warum man zu jemanden gehen und sagen sollte: Erinnere dich! Als Befehl funktioniert das ehe nicht. Wir wollen eher bewirken, dass man sich freiwillig erinnert. Mein Wunsch ist eigentlich, dass du dich selber an das Leid oder die Verbrechen erinnerst und dann daran wächst. Damit einige Dinge nicht oder vielleicht nicht mehr so schnell wieder geschehen können. Erinnern ist da ein Baustein, genauso wie Bildung ein anderer Baustein ist.

Merisa: Im persönlichen Bereich ist das okay, aber gesellschaftlich betrachtet, ist das wichtig, über Krieg zu berichten und zu erinnern und über die Geschehnisse zu berichten, um das aufzuarbeiten, gerade in der Schule.

Ingo: Ich habe das Problem gehabt, dass keiner in meiner Familie den Krieg miterlebt hat. Ich denke, das Stück soll zum Nachdenken anregen.

Merisa: Es sollte Gedankenanstöße geben, damit die Menschen sich freiwillig erinnern. Ich habe bei mir selber erlebt: Als ich hier über die Geschichte Srebrenica berichtet habe, passierte kurz darauf der Türkei-Syrien-Konflikt, dann in dem Moment war das plötzlich sehr nah für mich. Ich habe mich gerade mit dem Thema Krieg auseinandergesetzt und genau da passiert es wieder, das was ich erzählt habe. Menschen sterben, genauso wie das, wovon ich erzählt habe.

Ingo: Bei mir war das genauso. Am Anfang habe ich es einfach niedergeschrieben, habe mir keine Gedanken darüber gemacht, weil man einfach im Alltag gefangen ist. Umso öfter man sich damit beschäftigt, desto tiefer war ich drin. Wir sind ja hier wie in einem Hamsterrad. Arbeit, Essen, schlafen und wieder Arbeit. Man ist gefangen. Einmal im Jahr freut man sich auf den Urlaub.

Merisa: Ja, ich erlebe es ähnlich. Ich fahre zur Uni und lese die Nachrichten: In einem anderen Land ist gerade Krieg und mir geht es nahe und ich denke mir, wie absurd, ich fahre jetzt in die Universität. Mein Leben geht weiter und ich habe nur meine Alltagsprobleme. Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich in Frieden lebe … aber es ist so absurd, dass alle normal weiterleben.

“ZU SPÄT; WENN WIR ERST REAGIEREN, WENN SIE AN DIE MACHT KOMMEN”

Kann man sich dagegen wehren, dass Kriege passieren?

Daniel: Ich glaube wir sind häufig zu spät, wenn wir gerade verstehen, was passiert. Wenn wir uns heute die Ergebnisse der AfD angucken, da behaupten einige, die werden niemals an die Macht kommen. Ich glaube, es ist einfach zu spät, wenn wir erst reagieren, wenn sie an die Macht kommen. Deswegen ist es Aufgabe der Zivilgesellschaft, ganz früh zu reagieren und nicht nachher machtlos zu sein. Wenn faschistische Ideen sich eingepflanzt haben, dann ist es ganz schwierig, als Zivilgesellschaft zu agieren.

Könnt ihr mit dem Stück Leute bewegen, etwas zu tun?

Merisa: Selbst das Kleinste, was wir mit dem Stück bewegen können, dass Menschen sich Gedanken darum machen, selbst das wäre mir Erfolg genug. Viel schöner Menschen zu mobilisieren, aber ich glaube, dass es auch viel um Einstellungen geht. Wenn jeder mal bei sich selbst guckt und das vielleicht weitergibt. Einstellungen ändern, Gesellschaft beeinflussen, Demokratie bilden. Es fängt an mit Einstellungen in der Gesellschaft. Wenn wir daran rütteln können, das wäre schön.

Gibt es ein vorher und ein nachher von euch?

Daniel: Für mich persönlich steht immer noch im Vordergrund das Theater spielen und nicht das Thema. Ich werde meine Einstellung durch das Erinnern nicht grundlegend ändern. Aber genauso wie die Zuschauer, bewegt mich das natürlich auch. Ich bin nicht morgen ein anderer Mensch, trotzdem sind es diese kleinen Bausteine, die mich zu dem formen, was ich in den letzten 40 Jahren in mir angesammelt habe. Und ich glaube, dass die Zuschauer einen Anstoßpunkt bekommen. Das ist ein Baustein.

Ingo: In der kurzen Zeit wird dieses Theaterstück nicht viel erreichen. Aber ich merke jetzt zum Ende hin, dass ich mir Gedanken mache und es mich immer mehr bewegt. Ich glaube die Menschen brauchen länger Zeit dafür, als nur ein Theaterstück zu sehen, um das zu begreifen, was in der Welt passiert. Darum geht es eigentlich. Wir gucken uns 15 Minuten Nachrichten an, machen uns daraus ein Bild und reflektieren -wenn überhaupt- vielleicht nur fünf Sekunden und transportieren es weiter, nach draußen. Aber wenn man selber im Geschehen mal war, ich glaube dann nimmt das einen Menschen ganz anders mit.

Daniel: Ich glaube das ist auch eine andere Qualität. Die ganzen Bilder aus der Türkei, die ich übers Fernsehen bekomme oder aus Syrien, die kann ich schwer an mich ranlassen. Egal wie gut die Informationsquelle ist. Aber wenn ich meine Eltern und Großeltern frage und die sagen, das war so und so, dann hat das für mich eine andere Authentizität.

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