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Meine Eindrücke aus Lützi bleibt!

Linda Wolf

Der Ort Lützerath am Tagebau Garzweiler II soll für die Profitinteressen des Kohlekonzerns RWE geräumt und abgebaggert werden: Mehrere Hundertschaften der Polizei sind schon seit Anfang Januar vor Ort und versuchen die Strukturen der Aktivisten zu durchbrechen, welche seit teilweise über 2 Jahren dort Leben, Lützerath verteidigen und eine selbstorganisierte Gemeinschaft aufgebaut haben.
Selten habe ich mich an einem Ort so aufgehoben und willkommen gefühlt. Alle helfen und unterstützen einander, jede Person tut etwas für die Gemeinschaft und es ist vollkommen unwichtig, wer du bist und woher du kommst, denn es gibt eine Sache, die alle verbindet: Das gemeinsame Ziel für Lützi und vor allem für Klimagerechtigkeit zu kämpfen und sich nicht den kapitalistischen Strukturen der Gesellschaft unterzuordnen. Selbst ein paar Tage, bevor die Räumung begann, war der Zusammenhalt noch enorm groß und die Stimmung weiterhin motiviert und überraschend positiv.

Nachdem Tag X in Lützerath, deutlich früher als geplant, am 03. Januar ausgerufen, erste Strukturen angegriffen und geräumt wurden, sollte die offizielle Räumung am Mittwoch den 11. Januar beginnen, doch schon vorher wurde mit “leichter körperlicher Gewalt” von Seiten der Polizei versucht, durch die Blockaden zu gelangen. Diese “leichte Gewalt” umfasste allerdings schon Schläge ins Gesicht, Tritte oder Versuche, Aktivisten von Tripods zu werfen. Am Mittwochmorgen wurden wir dann mit der Sirene für mittleren Alarm geweckt, was bedeutet, dass ca. 100-150 Menschen gebraucht wurden, um Blockaden am Ortseingang zu bilden. Dieser mittlere Alarm schwenkte aber innerhalb weniger Minuten in die höchste Alarmstufe um und die Durchsage der Polizei kündigte an, dass sie ab heute nicht mehr nur auf leichte körperliche Gewalt zurückgreifen würden. Meine Bezugsgruppe teilte sich auf, eine Person ging in die direkte Aktion, während wir anderen uns der “Küche” anschlossen. Diese hatte von Seiten der Polizei die Versicherung bekommen, so lange weitermachen zu dürfen, wie sich noch Personen in Lützerath aufhalten, um deren Versorgung zu gewährleisten. Somit standen wir auf dem Hof und lenkten uns damit ab, Essenspakete für die Personen vorne in den Blockaden zu packen und Frühstück auszuteilen. Noch waren alle halbwegs ruhig, wenn auch etwas angespannt, bis zu dem Punkt, als die Hundertschaften die Ketten der Aktivisten durchbrochen hatten und auf den Hof stürmten. Wie in Trance haben wir weiter Pakete gepackt, während vor unseren Augen grundlos Mülltonnen von Polizisten umgetreten und erste Infrastrukturen zerstört wurden. Ab diesem Punkt haben wir im Ort kaum noch etwas von den Geschehnissen vorne an den Blockaden mitbekommen…

Da wir als Küche ja erstmal weitermachen durften, haben wir also unsere Schneidebretter ausgebreitet und begonnen, Gemüse für das Mittagessen zu schnippeln. Währenddessen stand eine Gruppe Polizisten im Hof und beobachtete uns. 4 Stunden lang. Bis sich plötzlich die Befehle von der Einsatzleitung änderten und wir, entgegen der Absprache, doch geräumt werden sollten. Diese Änderung der Befehle war während des Prozesses der Räumung definitiv kein Einzelfall und es war fast schon beängstigend zu sehen, wie stumpf die Polizisten Befehle befolgten ohne diese zu hinterfragen oder den Austausch mit Kontaktpolizisten abzuwarten. Dadurch wurde die ganze Situation noch unübersichtlicher und stressiger und niemand konnte sich auf einen bestimmten Ausgang einstellen. Erst hieß es, dass wir bleiben dürften, dann, dass wir mit Bussen von RWE abtransportiert werden sollten und unsere Personalien aufgenommen werden, dann, dass wegen „Körperverletzung“ gegen uns ermittelt werden würde, obwohl wir ja die ganze Zeit bewacht wurden. Über den gesamten Zeitraum hinweg warteten wir gemeinsam mit anderen Aktivisten eingekesselt auf dem Hof. Um uns herum Polizisten, immer mit einer Hand am Schlagstock und bereit, neue Befehle anzunehmen. Ich muss dazu sagen, dass ich selber keine Polizeigewalt erfahren habe, aber genügend gesehen habe, um jetzt noch Albträume davon zu haben. Es ist unvorstellbar, wie traumatisierend die Erfahrungen sein müssen, die die Aktivisten erlebt haben, die in direkte Aktionen gegangen sind.

Letztendlich konnten wir mit Hilfe unserer Kontaktpersonen, die in ständigem Austausch mit der Einsatzleitung standen, aushandeln, dass die Küche ohne Konsequenzen gehen durfte. Das war natürlich für uns gut, dass wir nicht mit rechtlichen Folgen handeln müssen, aber dennoch ernüchternd zu erleben, dass einfach in Kauf genommen wurde, Menschen ohne Versorgung in Lützi ausharren zu lassen, da beispielsweise auch Sanitäter ausgesperrt wurden. Dadurch wurden zusätzlich zu der unverhältnismäßigen und inakzeptablen Polizeigewalt und den Räumungsarbeiten unter nicht hinnehmbaren wetterlichen Bedingungen (mit Windböen von bis zu 100 km/h) massiv und willentlich Menschenleben gefährdet und Menschenrechte eingeschränkt.

Obwohl bereits am ersten Tag so viele Aktivisten geräumt wurden, blieb die Motivation und der Zusammenhalt groß. Außerhalb des Zauns, der mittlerweile um Lützerath errichtet wurde, wurden wir in „Unser Aller Camp“ in Keyenberg von Helfern mit Tee und warmem Essen empfangen. Allgemein haben alle versucht, einander so gut es geht, aufzufangen und füreinander und miteinander da zu sein. Denn nächste Aktionen und Demos waren ja bereits in Planung. Besonders die große Demo am 14. Januar schien etwas ganz Großes zu werden. Dies hat sich auch tatsächlich so herausgestellt.

Schätzungsweise 35-50.000 Menschen sind an diesem Tag zusammengekommen, um gegen das Verbrechen, das nicht nur in Lützerath, sondern beispielsweise auch im Fechenheimer Wald bei Frankfurt begangen wird, auf die Straße zu gehen. Unterschiedlichste Menschen, egal, ob sie einer aktivistischen Gruppe angehören oder nicht, egal, ob sie bereits Aktionserfahrung hatten oder nicht, haben sich vereint und der Regierung, sowie den Medien gezeigt, dass sich etwas ändern muss. Dass wir diese Ausschlachtung von Profitinteressen auf Kosten der weltweiten Bevölkerung und Natur nicht hinnehmen.

Der enorme Einsatz für Lützi hat gezeigt, dass die Klimabewegung sich vereinen kann und lange noch nicht aufgibt. Auch wenn wir Lützerath vielleicht nicht in dem Ausmaß verteidigen konnten, wie wir es uns vorgestellt hatten und diese unfassbare kapitalistische Zerstörungswut nicht verhindern konnten, die massive Auswirkungen haben wird, haben wir es vielleicht dennoch geschafft, ein paar Menschen dazu zu bringen, dieses ganze System zu hinterfragen, in der eine vermeintlich „Grüne“ Regierungspartei den Interessen eines fragwürdigen und dreckigen Konzerns unterliegt, statt sich für die Interessen eines Großteils der Bevölkerung und für Klimagerechtigkeit einzusetzen.

Deshalb ist und bleibt Lützi mehr als ein Symbol und es muss endlich etwas passieren!

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