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Nato-Partner Türkei: Aggressionen nach Innen und Außen dauern an

Alev Bahadır

Seit vielen Jahren wendet die AKP-Regierung unter Recep Tayyip Erdogan stets die gleichen Strategien an: Politische Probleme im Inneren werden mit außenpolitischen Ablenkungsmanövern überdeckt. Einerseits indem Stärke und Aggression nach außen vermittelt wird und anderseits die Opposition im eigenen Land erstickt wird. Damit diese Strategie aufgeht, darf ein Dominostein nicht umfallen: die sogenannte „Kurdenfrage“ darf dauerhaft nicht gelöst werden. Wie sie bei Bedarf aus dem Hut gezaubert und zur Stimmungsverbreitung angewendet werden kann, zeigen nicht nur die Angriffe der türkischen Streitkräfte auf kurdisches Gebiet in Syrien und dem Irak, sondern auch die Absetzung von drei „DEM“-Bürgermeistern in den kurdisch-geprägten Städten in der Türkei.

Am frühen Morgen des 4. November wurden Ahmet Türk, Oberbürgermeister von Mardin, Gülistan Sönük, Bürgermeisterin von Batman und Mehmet Karayılan, Bürgermeister von Halfeti, vom Innenministerium ihrer Ämter enthoben und durch vom Staat eingesetzte Verwalter ersetzt. Alle drei Politiker sind Mitglieder der prokurdischen „DEM“-Partei (ehemals „HDP“ oder „Yeşil-Sol“). Wieder einmal versucht die AKP somit demokratisch gewählte Volksvertreter in den kurdischen Gebieten abzusetzen. Als Grund für die Absetzung werden Gerichtsurteile gegen die drei Bürgermeister benannt, die ihnen „Terrorpropaganda“ vorwarfen. Wer sich ein wenig mit der jüngsten Geschichte der Türkei und dem Umgang der Regierung gegen Oppositionelle beschäftigt, wird feststellen, dass „Terrorpropaganda“ der bevorzugte Vorwurf ist, wenn man politisch Andersdenkende absetzen, verfolgen und einsperren will. Mit eben jenem Vorwurf inhaftierte Erdogan die Co-Vorsitzenden der HDP, Selahattin Demirtaş und Figen Yüksekdag im Jahr 2016 und verfolgte zahlreiche Politiker, Journalisten und Aktivisten. Die drei zuletzt abgesetzten Bürgermeister waren mit unbestreitbar eindeutigen Zahlen im März ins Amt gewählt worden. Mehmet Karayılan holte 39,45 % der Stimmen. Bei Ahmet Türk waren es 57,4 %, bei Gülistan Sönük sogar 64,5 %.

„Wir werden keinen Schritt zurückweichen“

Die drei Politiker, sowie Parteifreunde und Vertreter der Demokratiebewegung, die solidarisch mit den Bürgermeistern sind, zeigen sich kampfbereit. Ahmet Türk erklärte auf X: „Wir geben niemals auf. Wir werden im Kampf für Demokratie, Frieden und Freiheit keinen Schritt zurückmachen. Wir werden nicht zulassen, dass der Wille des Volkes usurpiert wird. So soll es sein!“. Türk wurde bereits zum dritten Mal in seiner Laufbahn vom Staat abgesetzt. Gülistan Sönük erklärt ebenfalls: „“Unsere Gemeinde, die wir bei den Wahlen am 31. März mit der höchsten Wahlbeteiligung in der Türkei durch die Arbeit der Frauen, der Jugend und unseres Volkes gewonnen haben, ist seit heute Morgen ohne jegliche Mitteilung an uns an sich gerissen worden. Wir haben diesen Raub und diese Machtergreifung nicht akzeptiert und werden dies auch nicht tun. Die Gemeinden gehören dem Volk“. Demonstrationen, die z.B. in Mardin bereits angekündigt wurden, wurden untersagt. Nichtsdestotrotz ist eine große Solidaritätswelle innerhalb und außerhalb der Türkei zu erwarten. Die drei Bürgermeister werden wohl auch nicht die letzten Oppositionellen sein, die abgesetzt werden. Erst vor wenigen Tagen wurde der Bezirksbürgermeister von Esenyurt / Istanbul, Ahmet Özer von der republikanischen CHP wegen Terrorpropaganda verhaftet und durch Verwalter ersetzt. Ein Rundumschlag gegen jegliche Opposition ist also bereits im Gange und wird wohl noch fortgeführt werden.

Das ewige Feindbild

Nach dem Anschlag auf das Rüstungsunternehmen „Türkische Luft- und Raumfahrtindustrie“ (Tusas), einer Tochtergesellschaft der der staatlichen Agentur für Verteidigungsindustrie, in Ankara am 23. Oktober, bei dem fünf Menschen starben und zu dem sich ein bewaffneter Arm der PKK bekannt hat, reagierte Erdoǧan mit Gewalt gegen die kurdische Bewegung. Zunächst bombardierte die türkische Armee kurdische Gebiete im Nordirak und in Syrien aus der Luft. Nun folgen die Angriffe auf die kurdische Opposition im eigenen Land. Zuletzt hatte der Koalitionspartner, die ultrarechte MHP, deutlich gemacht, dass man über die Freilassung des PKK-Anführers Abdullah Öcalan sprechen könne, wenn die PKK dafür die Waffen niederlege. Ein vor einigen Jahren initiierter „Lösungsprozess“ zwischen der PKK und der Regierung scheiterte bald darauf. Die Kurdenfrage zu lösen ist nicht ernsthaft im Interesse der türkischen Regierung. Schon lange vor der AKP diente sie stets als Mittel, wenn die hausgemachten Probleme überzukochen drohten. Laut der ENAG, einer unabhängigen Gruppe von Akademikern und Ökonomen, liegt die Inflationsquote bei 89,77 %. Bereits seit langer Zeit reichen die Löhne längst nicht mehr zum Überleben. Denn Lebensmittel- und Mietpreise steigen unaufhörlich. Viele gut ausgebildete Menschen suchen Zuflucht im Ausland. Gleichzeitig hat die AKP bei den Kommunalwahlen 7,2 % im Vergleich zu den Wahlen 2019 verloren. Eine bewährte Herangehensweise ist, den Nationalismus anzufachen und den Ultranationalisten zu beweisen, dass man weiterhin hart in der kurdischen Frage bleibt und gleichzeitig hält man mit der PKK den ewigen Feind aufrecht.

Annäherung an BRICS

Nach dem Anschlag in Ankara und den Luftangriffen in Syrien und dem Irak erklärte Olaf Scholz: „Wir verurteilen Terrorismus in jeder Form aufs Schärfste und stehen an der Seite unseres Partners Türkei“. Wie wir in der letzten Ausgabe bereits berichtet hatten, hat Scholz bei seinem Besuch in der Türkei Erdoǧan verschiedenes in Aussicht gestellt, so auch die Lieferung von Eurofightern. Erdoǧan versucht seit längerem eine Vorreiterposition in der Region zu spielen und setzt seine geologische und politische Position als Druckmittel ein. Bereits seit längerem hält es Kontakt zu den BRICS Staaten rund um China, Russland und den Iran und hat nun als erster NATO-Staat die Mitgliedschaft in dem Staatenbund beantragt. Um den NATO-Partner, der eine strategisch wichtige Lage hat und schließlich auch Millionen Geflüchtete aus Europa raushält, wieder auf Linie zu bringen, appelliert Scholz an die alte Freundschaft und die Annäherung und ist bereit Zugeständnisse zu machen, sowie mal wieder über Menschenrechtsverletzungen, Verfolgung von Oppositionellen und die Absetzung von demokratisch gewählten Entscheidungsträgern hinweg zu schauen.

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