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Neue Etappe bei erzwungenen Geburten

Sevda KARACA
Mit Blick auf die zu Tode bombardierten drei Dutzend kurdische Händler in Roboski/Uludere an der irakischen Grenze hatte Erdoğan 2014 erklärt: „Jede Abtreibung ist ein Uludere!“ Kurze Zeit später hatte seine Regierung eine Gesetzesänderung angekündigt, nach der die zulässige Frist für Schwangerschaftsabbrüche von 10 auf 8 Wochen verkürzt werden sollte. Die größten Proteste der letzten Zeit richteten sich gegen dieses Vorhaben. Die Frauen konnten die Gesetzesänderung verhindern. Sie wird aber trotzdem angewandt, obwohl das neue Gesetz nie verabschiedet wurde.
In 12 Städten führten Frauenorganisationen Telefonumfragen durch und fanden heraus, dass staatliche Kliniken Frauen mit Abtreibungswunsch unter diversen Vorwänden wie „benötigte medizinische Gerätschaft ist nicht vorhanden“, „der Gynäkologe führt aus Glaubensgründen keine Abtreibungen durch“, „Gynäkologie zieht gerade um“ etc. zurückweisen. In den meisten Fällen wurde eine Ablehnung damit begründet, ein Schwangerschaftsabbruch sei gesetzlich verboten.
Wenn eine Frau, die ihr in den Weg gelegten Hindernisse überwindet und abtreibt, wird sie wie eine Mörderin behandelt, z.B. mit willkürlichen Methoden wie Schwangerschaftsabbruch ohne Narkose einer Tortur ausgesetzt. In den privaten Kliniken werden unbezahlbare Rechnungen ausgestellt. Wie in allen Bereichen des Lebens setzt die Regierung vieles unter der Hand durch, ohne Rücksicht auf die Rechtslage! Hier setzt sie das Leben von Frauen aufs Spiel!
Inzwischen ist für verheiratete Frauen nicht nur ein Schwangerschaftsabbruch, sondern auch die Scheidung fast unmöglich. In den Empfehlungen des Parlamentsausschusses für Scheidungsangelegenheiten findet sich die Logik wieder, die auch in der Debatte um Schwangerschaftsabbrüche zugrunde gelegt wurde. Sollten sie umgesetzt werden, können Frauen nur nach Zustimmung ihrer Männer die Scheidungsklage einreichen oder die Schwangerschaft abbrechen. In einem Land, in dem Männer ihre Forderung nach mildernden Umständen für den Mord an ihrer schwangeren Frau damit begründen, sie habe das Kind abtreiben wollen, sollte das auch niemanden wundern.
Damit würde das Recht auf Abtreibung gänzlich abgeschafft. Es gehört zu den erkämpften Frauenrechten, das am ehesten zurückgenommen werden könnte. Das war stets das erste Ziel aller konservativen Regierungen. Sicherlich sind Schwangerschaftsabbrüche nicht ein Mittel zur Geburtenkontrolle. Frauen möchten sie nur dann vornehmen, wenn sie keinen anderen Ausweg mehr sehen. Dass das Recht besteht, bedeutet im Umkehrschluss nicht, dass schwangere Frauen zum Abbruch gezwungen werden. Warum soll dann das Gegenteil gelten? Warum soll der Staat oder der Ehemann eine Frau zur Geburt zwingen können?
Die jetzt geführte Debatte muss im Zusammenhang damit gesehen werden, dass man damit die demografische Entwicklung steuern, die Arbeitskraft reproduzieren, die gesellschaftliche Ungleichheit aufrecht erhalten möchte. Dieses „sexistische Regime“ soll also fortbestehen. Und es heiligt alle Mittel, mit denen das Recht der Frau auf selbstbestimmtes Leben unterdrückt wird. Gerade deshalb stellt das Abtreibungsverbot eine Einmischung in die Beziehung zwischen der Frau und dem Staat dar.
Um all diese Aspekte auszublenden, wird die Debatte als eine Frage von Religion und Glauben geführt. So hat die Regierung ihr Ziel erreicht, die Defacto-Verbote als „nicht antastbar“ darzustellen. Jetzt möchte sie einen Schritt weiter gehen und nicht nur Schwangerschaftsabbrüche, sondern z.B. die Verhütung „nicht mit unserer Religion vereinbar“ und als etwas Unantastbares fest in der Gesellschaft zu verankern.
Diese Bemühungen sind aber nicht nur auf die herrschende patriarchale Sichtweise zurückzuführen. Wir müssen auch ihre reaktionären und neoliberalen Hintergründe erkennen und aufdecken. Ansonsten werden wir nicht die ganze Wahrheit angesprochen haben.

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