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Neues Schuljahr – altes System

Özgün Önal

In einigen Bundesländern hat die Sommerpause ein Ende gefunden und das neue Schuljahr hat begonnen. Für einige ist es ein Neuanfang, viele wechseln oder gehen in die weiterführende Klasse, neue Schulklassen bilden sich, Lehrerwechsel uvm finden statt. Aber was bleibt, ist, dass im deutschen Bildungssystem Schülerinnen und Schüler (SuS) in prekären Verhältnis unterrichtet werden. Um den aktuellen Stand erfahren zu können, haben wir mit Anja Bensinger-Stolze, Mitglied des Geschäftsführenden Vorstandes der GEW, Organisationsbereich Schule, ein Interview geführt.

 

Foto: GEW Hamburg

Können Schülerinnen und Schüler damit rechnen, dass der Unterricht ab dem neuen Schuljahr regelmäßig stattfindet?
Da wir weiterhin einen dramatischen Lehrkräftemangel haben und bereits jetzt deutlich wird, dass die Bundesländer die Stellen für das neue Schuljahr nicht ausreichend besetzen können, wird es weiterhin auch zu Unterrichtsausfällen kommen. Auch durch kurzfristige Maßnahmen, wie die Einstellung von Quer- und Seiteneinsteigern oder den Einsatz Studierender, werden die Lücken nicht zu füllen sein. Dazu hat die Politik zu lange mit einer Ausbildungsoffensive für Lehrkräfte gewartet. Das Problem war lange absehbar, aber eine gemeinsame Lösung für alle Länder hat die Kultusministerkonferenz (KMK) immer wieder auf die lange Bank geschoben.

Die Kultusministerkonferenz KMK veröffentlichte am 17. März 2023 eine gemeinsame Erklärung zum Lehrkräftebedarf. Die Prognose für die kommenden Jahre zeigt, dass der Lehrermangel auch in den kommenden Jahren bundesweit ein großes Problem bleibt.
Jahrelang wurden an den Universitäten nicht ausreichend Lehrkräfte ausgebildet. Die Zahl der Plätze für den Vorbereitungsdienst waren vielfach viel zu niedrig. Viele Studierende brechen das Studium ab, da Betreuung und Unterstützung nicht gut sind. Viele Lehrkräfte bleiben nur einige Jahre im Schuldienst, weil die Belastungen und die Arbeitszeit sehr hoch sind. In den vergangenen Jahren wurden in verschiedenen Bundesländern – Niedersachsen, Hessen, Sachsen und weitere folgen – Arbeitszeit- und Belastungsstudien an den Schulen durchgeführt, deren Ergebnisse sehr deutlich machen, dass Lehrkräfte regelmäßig Mehrarbeit leisten und sie durch immer weitere Aufgaben zusätzlich belastet sind. Auf diese Studien wurde in den Bundesländern wenig reagiert und die KMK hat sich damit bisher auch nicht beschäftigt.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und die GEW haben seit Jahren vor dem drohenden Lehrkräftemangel gewarnt. Die Politik hat jedoch absolut unzureichend reagiert. Heute hat sich der Mangel an Lehrkräften und anderen pädagogischen Fachkräften zu einer gesellschaftlichen Krise ausgewachsen, die von uns allen höchste Aufmerksamkeit und zusätzliche Anstrengungen erfordert.

Wird die Kindergrundsicherung dahingehend zur Entlastung der Schulen führen?
Fast drei Millionen Kinder in Deutschland sind von Armut betroffen. Gegen Kinderarmut helfen nur ein Miteinander von mehr Geld für die Familien einerseits sowie besserer Bildung und Infrastruktur für die Kinder andererseits. Eine gute materielle Absicherung ist Grundvoraussetzung für gute Bildung. Deshalb ist die Kindergrundsicherung extrem wichtig! Eine am Freitag von der Diakonie und dem Deutschen Institut der Wirtschaftsforschung (DIW) vorgestellte Studie zeigt, dass die gesellschaftlichen Folgekosten einer schlecht finanzierten Kindergrundsicherung deutlich höher sind, als jetzt ausreichend Geld in die Familien zu investieren. Auf jeden Fall sind die bisher von Finanzminister Christian Lindner (FDP) zugesagten zwei Milliarden Euro absolut zu wenig. Sie sind ein Skandal!

Was sind grundsätzlich Forderungen der GEW für gute Bildung?
Bildung muss alle Menschen einbeziehen und bestehende gesellschaftliche Ungleichheiten abbauen. Ausgrenzungen aufgrund von Herkunft und sozialer Stellung, Konfession oder Weltanschauung, Geschlecht oder Nationalität darf es nicht geben. Bildung muss auf die allseitige Entwicklung des Menschen, auf die Entfaltung seiner körperlichen und geistigen Fähigkeiten und Talente sowie seiner sozialen Kompetenzen gerichtet sein. Wir machen uns deshalb für das Recht auf Bildung für alle Menschen in einem inklusiven Bildungssystem stark. Deshalb wollen wir ganz konkret: Wir brauchen umgehend eine Ausbildungsoffensive für Pädagoginnen und Pädagogen. Dabei geht es zum einen um Lehrkräfte, allerdings auch um Erzieherinnen. Denn im Bereich der frühkindlichen Bildung haben wir ebenfalls einen erheblichen Fachkräftemangel. Noch immer werden Kinder aus Familien mit niedrigen Bildungsabschlüssen strukturell benachteiligt. Deshalb macht sich die GEW für mehr Chancengleichheit stark. In der kommenden Tarifrunde der Länder, die im Herbst startet, erwarten wir, dass die Arbeitgeber endlich aufwachen, ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden und dem Fach- und Lehrkräftemangel mit einer ordentlichen Gehaltsverbesserung entgegen treten. Bildung ist der Schlüssel zur Welt, sie muss gut finanziert werden. Wir schlagen ein „Sondervermögen Bildung“ in Höhe von mindestens 100 Milliarden Euro für die notwendigen Investitionen in die Bildung vor.

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