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Polizeibeamte stehen selten vor Gericht

Thoya Kruse

Die Zahlen des statistischen Bundesamtes für das Jahr 2019 sprechen für sich: Deutschlandweit liefen 4.279 Ermittlungsverfahren gegen Polizeibeamte, davon  2.340 Fälle von Gewaltausübung und -aussetzung durch Polizeibedienstete, 1.916 Verfahren in denen es um Zwang und Missbrauch im Amt ging. 23 Mal wurde sogar aufgrund vorsätzlicher Tötungsdelikte ermittelt. In den vorangegangenen vier Jahren sah es nicht anders aus: Die Zahl der Ermittlungsverfahren betrug konstant zwischen 4.090 und 4.482. Die Aufklärungsquote liegt in diesen Jahren bei 70 bis 75 Prozent. Dies bedeutet jedoch keinesfalls, dass die Verfahren es bis vors Gericht geschafft haben, geschweige denn Verurteilungen ausgesprochen wurden. Es bedeutet lediglich, dass ein Verdächtiger präsentiert, dem jedoch in der Regel am Ende die Unschuld bescheinigt wurde oder das Verfahren in über 90 Prozent der Fälle aus Mangel an Beweisen eingestellt wurde. Die Zahl der Straf- und Busgeldverfahren zeigt sich ebenfalls konstant und im Vergleich zu den Ermittlungen gering: Sie lagen 2019 bei 57 Fällen, in den Jahren davor zwischen 46 und 68, praktisch zwischen 1 und 2% der gesamten Fälle.

Die weiße Weste der Polizei

Offensichtlich ungerechtfertigte Anwendungen von Gewalt, ausgehend von Polizeibeamten, werden konsequent abgetan und schöngeredet. In den seltensten Fällen ziehen sie Konsequenzen für die Polizisten nach  sich. Im Fall Kadir Holdur Mitte 2020, bei dem acht Beamte den 15-Jährigen in der Hamburger Neustadt brutal traktierten, weil er mit einem E-Scooter auf dem Bürgersteig fuhr, wurde dem folgenden gesellschaftlichen Aufschrei mit hämischen Kommentaren seitens der Polizeigewerkschaft begegnet. Die Kritik gegenüber den verantwortlichen Polizisten wurde als „schulmeisterliche Belehrungen von fachlich unkundiger Seite“ abgetan.

Nachdem ein halbes Jahr später zwei schwarze Jugendliche nach einer Black-Lives-Matter-Kundgebung wieder in Hamburg grundlos von der Polizei krankenhausreif geschlagen und in Gewahrsam genommen wurden, folgte die gleiche Inkonsequenz. Es wurde nicht gegen die am Einsatz beteiligten und somit für die massive Ausübung von Gewalt verantwortlichen Beamten ermittelt. Die „angewandten Maßnahmen“ seien „nicht ursächlich für die Verletzungen“, warum einer der Jugendlichen die Nacht im Krankenhaus verbracht habe.

Dunkelziffer Amtsmissbrauch unbekannt

Aus der Statistik des Bundesamtes geht lediglich hervor, wie viele Fälle zur Anzeige gebracht werden. Nur darauf hin wird ermittelt. Aus ihr lässt sich nicht ablesen, wie viele Fälle es tatsächlich gibt. Benjamin Derin und Professor Tobias Singelnstein vom Lehrstuhl für Kriminologie an der Ruhr-Universität Bochum „legen die Existenz einer ausgeprägten Dunkelziffer nahe“. Auf eine Anzeige gegen einen Polizeibeamten folgt häufig eine Gegenanzeige „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“. Das Verfahren und die Kosten einer solchen Gegenanzeige sorgen im Mindesten für Abschreckung.

Selbst in den Fällen, in denen gegen Polizisten aufgrund von unverhältnismäßiger Gewalt, konkreter Straftaten oder anderweitiger Vergehen ermittelt wird, bestreiten Politiker die Existenz eines Problems mit der Polizei. Das Paradebeispiel liefert hierzu  eine Aussage des damaligen Hamburger Bürgermeisters Olaf Scholz zu den G-20 Protesten 2017. Trotz der zu dem Zeitpunkt 35 laufenden Verfahren gegen Beamte antwortete der jetzige Kanzlerkandidat der SPD auf die Frage, ob die Polizei zu hart vorgegangen sei und ob es Anzeichen für Polizeigewalt gäbe: „Polizeigewalt hat es nicht gegeben, das ist eine Denunziation, die ich entschieden zurückweise.“ Laut Scholz sei der Polizei im Nachhinein nichts vorzuwerfen. Tatsache ist, dass es massenhaft Videomaterial der teils willkürlich angewandten Gewalt gegen häufig friedliche Demonstranten gab. Nach dem G20-Gipfel in Hamburg wurden 168 Ermittlungsverfahren gegen Polizeibeamte eingeleitet, 168 Akten angelegt und 0 Anklageschriften verfasst. Zumindest lässt sich sagen, dass die Hamburger Polizei ihren Teil zur Eskalation der Proteste beigetragen hat, viel eher hat sie wiederholt gezeigt, dass sie in der Ausübung ihrer Funktion als Werkzeug zur Unterdrückung des Widerstands gegen den Imperialismus ungestraft die Grenzen der Gesetze ausreizen und überschreiten darf.

Subjektive Auslegung des Gewaltmonopols

Die Gesetzeslage zur Kontrolle der Polizei ist undurchsichtig und lasch. Sie bietet keine standfeste Grundlage, um sich vor der Willkür der Polizei zu schützen. Hierzu tragen maßgeblich Generalklauseln, der Ermessensspielraum und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei.

Als Generalklausel beschreibt man Gesetze, die nicht ausreichend im Detail ausgeführt sind und entsprechend durch die ausführende Kraft, heißt die Polizei, flexibel ausgelegt werden darf. Sie werden somit erst durch die Anwendung konkretisiert. Beispiele sind Passagen wie „wie Treu und Glauben es erfordern”, „gute Sitten” oder „die Eingriffsermächtigung zur Gefahrenabwehr” bei der Polizei. Bei polizeilichen Maßnahmen, zu denen unter anderem Festnahmen und Platzverweise zählen, ist es den Beamten nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz erlaubt, Gewalt anzuwenden. Dies bedeutet, dass die Polizei als Träger des Gewaltmonopols die „angemessenste“ Form dieser Gewalt anwenden darf. Beschrieben wird die auch als Interventionsminimum. Die Beurteilung dessen wird jedoch in den meisten Fällen der Polizei überlassen.

Befindet sich die Polizei in einer sogenannten Gefahrensituation, hat sie einen Ermessensspielraum. Ihr steht offen, ob, wann, mit welchen Maßnahmen und in welchem Umfang sie einschreitet. Maßstäbe bilden hierbei gesetzliche Zielvorstellungen, die jeweiligen Umstände und das Abwägen von öffentlichen und privaten Interessen. Dass es bei einer solchen Gesetzeslage zu sogenanntem Fehlverhalten kommt, ist naheliegend. Dass besagtes Fehlverhalten nicht aufgearbeitet und verurteilt werden kann, ist demnach  gleichzeitig Ursache und Konsequenz.

Justiz und Polizei Hand in Hand

In Ermittlungen und vor Gericht ist es die Regel, dass Polizisten für einander aussagen. Ihnen wird dabei häufiger Glauben geschenkt, als der Gegenseite. Justiz und Polizei arbeiten eng zusammen, sie teilen ihre Aufgabe als „Staatsdiener“ und hegen entsprechend Sympathie füreinander. Dass in einem Verfahren gegen einen Polizisten der Klägerseite misstraut oder offensichtlich Partei ergriffen wird, ist nahe liegend. Der Berliner Rechtsanwalt Lukas Theune hat im Rahmen seiner Dissertation eine Reihe von Richtern interviewt. Ein Strafrichter am Amtsgericht Tiergarten äußerte in einem solchen Interview: „(…) die Beamten, die da in dieser Spezialeinheit beim LKA sind, das sind super Zeugen. Die wissen ganz genau, worum es geht, und die machen Aussagen, die kann man eins zu eins mitschreiben. Die gehen genau auf die Punkte ein, auf die es ankommt.“ Dies ist kein Wunder, wenn Polizeibeamte vor der Verhandlung Zugriff zu den Berichten der jeweiligen Akten haben. Dass sie sich auf die Aussage „vorbereiten“ ist Gang und Gebe und wird vom Gericht erwartet. Nebenbei werden Aussagen mit den Kollegen und Vorgesetzten abgestimmt. Erschwerend kommt hinzu, dass innerhalb der Polizei ein Korpsgeist herrscht: Kollegen werden prinzipiell nicht belastet, aus der Gruppe nicht ausgeschert. Wer diesen Kodex bricht gilt als Verräter.

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