Doğuş Birdal
Für einige Menschen ist der Fußball ein fester Bestandteil ihres Lebens, für andere ist er alle 2 Jahre bei einer WM oder EM ein Grund zum Feiern und eine Möglichkeit zur Teilhabe an einem gesellschaftlichen Ereignis. Jedoch wirkt sich das Erstarken rechter und nationalistischer Kräfte immer mehr auf den Sport aus. Vor allem auf der Ebene der Nationalspiele ist es für Rechte und Rassisten ein leichtes, durch die erzeugte Stimmung, Nationalfahnen, Symbole und Transparente rechte Ideologien zu verbreiten und salonfähig zu machen.
Der Wolfsgruß wird salonfähig
Für den größten (allerdings nicht einzigen) Skandal sorgte der türkische Nationalspieler Merih Demiral, der nach seinem Treffer gegen Österreich im Achtelfinale zum Jubel den Wolfsgruß zeigte.
Demiral sagte nach dem Spiel: “Ich hatte einen Torjubel zum Türkentum im Kopf und ich habe ihn gemacht. Ich bin sehr stolz darauf, Türke zu sein, und das habe ich nach dem Tor in meinen Knochen gespürt. Ich wollte diesen Jubel machen, und ich bin sehr glücklich, dass ich ihn gemacht habe. Alle unsere Fans sind stolz auf uns. Ich habe auf der Tribüne Fans gesehen, die das Zeichen gemacht haben und nachdem ich sie gesehen habe, wollte ich es noch mehr tun – ich bin sehr glücklich.“
Demiral wusste jedoch genau, welche Botschaft er mit seiner Geste sendete, als er selbstbewusst beide Arme in die Luft hob und den Wolfsgruß machte. Die Aktion hatte eine Sperre von zwei Spielen durch die UEFA zur Folge.
Das türkische Außenministerium reagierte prompt und bestellte den deutschen Botschafter in Ankara ein. Es erklärte den „Bozkurt“ (Grauen Wolf) zum „historischen und kulturellen Symbol“. Doch es ist allgemein bekannt, dass dieses Symbol die türkischen Faschisten und die rechtsnationalistische MHP repräsentiert. Zur Erinnerung: Als der Konvoi von Präsident Erdoğan 2015 an einer Eröffnungszeremonie in Uşak teilnahm und am MHP-Provinzbüro vorbeifuhr wurde Seher Kayıhan, die stellvertretende MHP-Vorsitzende des Zentralbezirks, festgenommen, weil sie den Wolfsgruß in Richtung des Präsidenten machte.
Mit der Erklärung des Ministeriums hat sich die türkische Regierung jetzt als Schutzschild der „Grauen Wölfe“ erklärt. Das führt zur Legitimierung eines Symbols, das bisher nur der MHP gehörte und könnte nun von allen rechten, nationalistischen und konservativen Gruppen, einschließlich der AKP, verwendet werden. Von nun an kann jeder, der die Definition des Ministeriums für richtig hält, ungehindert den Wolfsgruß zeigen. Der Wolfsgruß, der bisher meist nur von extrem rechten oder nationalistischen Kreisen verwendet wurde, kommt in der Mitte der Gesellschaft an. Die Auswirkungen zeigten sich vor allem im darauf folgenden Spiel gegen die Niederlande, bei dem viele Fans den Wolfsgruß zeigten, sei es aus Unwissenheit oder aus Protest gegen die UEFA. Präsident Erdogan ließ alles stehen und liegen und kam zum Niederlande-Spiel ins Stadion. Sowohl im Stadion als auch beim Public-Viewing oder auf den Straßen zeigten viele türkische Fans den Wolfsgruß – viele unwissend und als angebliche Protestform. Doch unter Ihnen auch ein wesentlicher Anteil an rechtsextremen und nationalistischen Türkeistämmigen. Der ehemalige deutsche Nationalspieler Mesut Özil, der seit einiger Zeit mit den „Grauen Wölfen“ in Verbindung gebracht wird, postete das Bild von Merih Demiral und dem Wolfsgruß. Auf über 12.000 wird die Anhängerschaft der „Grauen Wölfe“ in Deutschland geschätzt. Seit den 70ern sind sie auch Teil des Sports, da damals deutsche Fußballvereine in der Regel keine türkischen Gastarbeiter aufnahmen. Mit ein Grund dafür, warum die „Grauen Wölfe“ sich ein Standbein im Fußball aufbauen konnten. Der deutsche Staat, vor allem Politiker der CDU/CSU, förderte die „Grauen Wölfe“ sogar, aus Angst vor revolutionären und linken Gastarbeitern. Die „Grauen Wölfe“ sollten als Gegenpol wirken und spalten. Das tun sie bis heute.
Rassismus und Nationalismus überschatten den Sport
Nicht nur unter den türkischen und türkeistämmigen Fans zeigt sich jedoch eine verstärkte nationalistische und rassistische Stimmung. In der Nacht, in der Demiral den Wolfsgruß machte, skandierten die Anhänger der österreichischen Nationalmannschaft „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus”. Die Leipziger Polizei griff ein und nahm mehrere österreichische Fans in Gewahrsam.
Sowohl auf den Tribünen als auch auf den Straßen gibt es rassistisches und nationalistisches Verhalten. In Zeiten sozialer wie ökonomischer Krisen und Not wird der Fußball als Mittel zur Betonung nationaler Loyalität und Stärke eingesetzt. Dies führt zur Schaffung von Feindschaften statt Freundschaften, insbesondere unter Bedingungen, in denen die extreme Rechte und der Nationalismus an Stärke gewinnen.
Solange der nationalistische Ansatz, der jedes Spiel als Überlegenheit einer Nation über ein andere ansieht, fortbesteht, werden Siege und Niederlagen in internationalen Wettbewerben zur Spaltung der Werktätigen und zum Schüren von Rassismus unter ihnen führen. Denn solche Begegnungen, bei denen „nationale Gefühle” reproduziert werden, finden in einer Atmosphäre statt, die Völker und Werktätige gegeneinander ausspielt, die Spaltung vertieft und rassistische Tendenzen verstärkt.. Anstelle von Freundschaft, Solidarität und Zusammenhalt treten ewige Rivalität und nationale Überlegenheit in den Vordergrund
Der multinationale Charakter des heutigen Fußballs
Heute bestehen die meisten Nationalmannschaften lange nicht mehr aus Sportlern einer einzigen Nationalität. Der Kapitän der deutschen Nationalmannschaft, İlkay Gündoğan, ist beispielsweise Sohn türkeistämmiger Gastarbeiter. Die Hälfte der Mannschaft hat einen Migrationshintergrund. In Ländern, wie Deutschland, Frankreich, England, Belgien, die Niederlande, oder Portugal gibt es in den Nationalmannschaften zahlreiche Spieler mit Migrationshintergrund, meist mehr als ohne. Diese Zahl wird weiter steigen, vor allem in Sportarten, wie Fußball, der überwiegend von Arbeiterkindern gespielt wird.
Unter den heutigen Bedingungen sind internationale Turniere zu Plattformen geworden, auf denen nationale Identitäten geschaffen und reproduziert werden, auf denen Diskriminierung und Rassismus auf der Tagesordnung stehen. Aus diesem Grund dürfen alle Arten von rassistischen und diskriminierenden Handlungen, Symbolen und Verhaltensweisen von jeder Institution und jedem Team, insbesondere von der UEFA und der FIFA, nicht toleriert werden. Wenn auch die Fans diese Symbole und Verhaltensweisen irgendwann nicht mehr tolerieren, kann der Fußball zu seinem Ursprung zurückkehren und wieder Sport der Arbeiter und Werktätigen werden.
INFOBOX:
- Albanische und kroatische Fans sangen „Tötet die Serben“
- Österreichische Fans präsentierten ein Banner mit der Aufschrift „Defend Europe”. Das ist der Titel einer Kampagne der rechten „Identitären Bewegung”, die damit gegen Migranten hetzt.
- Ungarische Fans zeigten den Hitlergruß und skandierten „Deutschland den Deutschen“
- Deutsche Fans sangen volksverhetzende Parolen und zeigten den Hitlergruß