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Raus zu den Ostermärschen

Willi van Ooyen ist eines der bekanntesten Gesichter der Friedensbewegung in Deutschland. Mit ihm haben wir ein Interview zu den bevorstehenden Ostermärschen, dem Ukrainekrieg und der Zukunft der Friedensbewegung geführt.

YÜCEL ÖZDEMİR

Der Ostermarsch steht unmittelbar bevor. In vielen Städten finden zu dieser Zeit Friedensdemonstrationen statt. Am 25. Februar hat in Berlin eine große Demonstration mit ca. 50.000 Teilnehmenden stattgefunden. Wie steht es um die Friedensbewegung in Deutschland?

Der 25. Februar war sicherlich ein gutes Ereignis und zeigt, dass eine große Bereitschaft, für eine friedliche Perspektive auf die Straßen zu gehen, da ist. Wir hoffen, dass in der dezentralen Ostermarschbewegung in über 120 Orten in der Bundesrepublik dieses Signal nochmal aufgegriffen wird und es wieder sicherlich zu größeren Aktionen kommt und die Friedensbewegung mit ihren klaren Forderungen nach keinen Waffenlieferungen, Waffenstillstand und Verhandlungen tatsächlich einen Durchbruch schafft, der auf eine friedliche Perspektive hindeutet.

Ist die Friedensbewegung nach der Großdemonstration in Berlin mutiger geworden?

Die Ostermärsche im vergangenen Jahr waren schon ein Beispiel dafür, dass die Friedensbewegung inhaltlich eine klare Position hat. Das zeigt auch die Geschichte der Friedensbewegung. Wir sind seit über 60 Jahren aktiv auf der Straße gegen atomare Bewaffnung. Wir wollen die Abrüstung als politisches Prinzip nach vorne stellen. Das ist immer wieder deutlich geworden. Auch wenn die Teilnehmerzahl geringer war, war es wichtig eine Kontinuität der Friedensarbeit sicherzustellen. Dazu dienten die Ostermärsche übrigens immer in Kriegszeiten. Es hat nie einen Ostermarsch gegeben, der nicht von Kriegen geprägt war. Ob es der Krieg in Jugoslawien war oder Kriege im Nahen Osten. Immer wieder gab es Kriegseinsätze. Der Krieg begleitet die Friedensbewegung. Dass es jetzt in der Ukraine passiert ist, ist nicht die Ausnahme, sondern eher die Regel, mit der wir uns in der Friedensbewegung auseinandersetzen.

Die Friedensbewegung hat meistens die NATO und den Westen kritisiert. Die Russlandkritik war aber oft etwas zurückhaltender. Können wir sagen, dass nach einem Jahr Krieg die Haltung der Friedensbewegung in Deutschland gegenüber Russland klarer geworden ist?

Es ist sicherlich eine Klärung erfolgt, die aber davon ausgeht, dass wir es global mit einer ganz neuen Situation zu tun haben, in der sich die Kräfteverhältnisse im Grunde genommen neu gestalten. Wir gehen davon aus, dass man das nur friedlich machen kann und nicht durch weitere kriegerische Entwicklungen, die die Menschheit weiter bedroht. Es ist eine katastrophale Situation, dass der Krieg nicht beendet wird, durch vernünftige Übereinkommen und Zugeständnisse untereinander. Sondern, dadurch, dass man „siegen“ will. Und diese Siegesmentalität ist eine fatale Geschichte in der internationalen Politik.

China hat einen Friedensplan vorgelegt und verhandelt mit Russland. Der Westen, allen voran die NATO und die USA, wollen keine Verhandlungen, warum?

In der Ukraine wird im Grunde jetzt ein Stellvertreterkrieg geführt, zu Lasten der Menschen in der Ukraine, die dort das Elend ertragen müssen. Von daher sind wir ganz entschieden der Meinung, dass grade die NATO hier keine weiteren Zündeleien betreiben sollte. Es gibt ja einige Initiativen, wie die chinesische oder brasilianische, die darauf drängen, dass es zu Friedensverhandlungen kommt und zu einer Position, wie wir das friedliche Leben der Menschen auf dieser Erde ermöglichen. Da spielt die UNO eine wichtige Rolle für uns. Es kommt darauf an, jetzt alles zu tun, damit eine friedliche gemeinsame Entwicklung in dieser Welt wieder möglich wird.

Die Entwicklungen zeigen allerdings, dass die Spannungen zunehmen. Finnland und Schweden werden NATO Mitglieder, Russland verlegt seine Nuklearwaffen nach Belarus. Was bedeutet das und die Tatsache, dass Nuklearwaffen nach wie vor vorhanden sind?

Die Bedrohlichkeit eines Atomwaffeneinsatzes wird zunehmend. Wenn man auf einen Sieg setzt, wird dieses letzte Mittel sicherlich eingesetzt werden. Das ist die Bedrohlichkeit vor der wir stehen. Ich glaube, dass wir an einem Punkt in der Diskussion in der Bundesrepublik sind, wo es wieder die Besinnung darauf gibt, dass wir über eine andere Politik sprechen. Ich finde es hervorragend, dass es einen Aufruf aus dem gewerkschaftlichen Lager gibt, der sagt, dass wir zu einem Waffenstillstand und zu einem Stopp des Angriffskrieges kommen müssen und dann eine neue Sicherheitsordnung in Europa entwickeln müssen. Der Krieg selbst wird nicht die Lösung der Probleme sein. Ich fürchte allerdings auch, dass wenn der Krieg weitergeht, werden wir eine gewaltige Eskalation der kriegerischen Auseinandersetzungen, der Militarisierung der gesellschaftlichen Entwicklungen in der gesamten Region erwarten müssen.

Glauben Sie, dass Russland dein Einsatz von Nuklearwaffen ernsthaft erwägt oder es „nur“ als Drohung nutzt?

Die Gefahr besteht, unabhängig davon ob man einen offensiven Willen zum Einsatz der Nuklearwaffen hat. Durch Eskalationssituationen und durch gefährdende Momente kann eine solche Eskalation ganz plötzlich stattfinden, die gar nicht berechenbar ist. Das ist die bedrohliche Situation, auf die wir uns gar nicht einstellen können. Von daher bleibt es richtig, jetzt dafür zu sorgen, dass im atomaren Bereich die Abrüstung wieder in den Vordergrund rückt und die Deeskalationsstrategie eine größere Rolle einnimmt.

Wir diskutieren über Russlands Atomwaffen. Aber die Diskussion um die US-Atomwaffen, die in Deutschland und der Türkei stationiert sind, wurde „vergessen“. Sind diese nicht auch eine Gefahr?

Wenn man sich die europäische Landschaft ansieht, stehen ja sowohl in Belgien, als auch in den Niederlanden und Frankreich, Großbritannien und Italien auch noch überall atomare Potentiale der Amerikaner oder der NATO Verbündeten. Hier sind die Gefahrenpotentiale enorm groß. Die Eskalation kann sehr schnell passieren.

Die Lage wird immer gefährlicher. Was hat die Friedensbewegung vor? Brauchen wir, wie Sahra Wagenknecht in Berlin gesagt hat, eine neue Friedensbewegung? Was steckt dahinter, gibt es einen Plan?

Wir werden erstmal die Ostermärsche machen. Die Struktur der Friedensbewegung in Deutschland ist einmalig in Europa. Wir haben in 120 Städten Initiativen, die solche Aktionen planen. Das sind selbstständige politische Gruppierungen im Bündnis mit verschiedenen anderen Kräften, wie Gewerkschaften, kirchlichen Gruppen, IPPNW, mit pazifistischen Gruppen. Das sind Kräfte, die sich um den Frieden sorgen und nicht nur zu den Ostermärschen, sondern auch im Rest des Jahres Aktionen durchführen und damit Menschen gegen den Krieg mobilisieren. Das ist die Basis der Friedensbewegung, die wir im Grunde erhalten wollen. Dann wird man sehen, wie wir nach den Osteraktionen weitere Aktionen verabreden.

Die Linke war eine Friedenspartei und hat viel gegen Krieg gearbeitet. Sie waren Landtagsabgeordneter für die Linke in Hessen. Die Friedensposition wackelt allerdings. Wie geht es mit der Partei in der Friedensfrage weiter?

Ich bedauere diese Debatte auch. Programmatisch gibt es eine sehr eindeutige Festlegung der Linken, ein friedenspolitisches Programm. Da geht es entschieden darum, dass wir gegen Waffenlieferungen sind, dass wir Abrüsten als Prinzip wollen und keine weitere Aufrüstung. Und natürlich eine internationale Kooperation und Entspannungspolitik. Das ist die Grundlage und darauf sollte sich die Linke wieder insgesamt besinnen und muss das auch tun, wenn sie eine Chance haben will, politisch einzugreifen.

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