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Recht auf Wohnen – für alle! Zwangsräumung in Stuttgart Weilimdorf

Seit Jahren ist Stuttgart für MieterInnen einer der teuersten Großstädte Deutschlands. Seit 2009 haben sich die Mieten um fast 48% verteuert, bei Neuvermietungen sogar um 72%! Teure Mieten verdrängen immer mehr Menschen mit wenig bis mittlerem Einkommen aus den Innenstädten. Doch die Preise für Wohnraum machen auch am Stadtrand oder im Umland keinen Halt. Es fehlt weiterhin akut an sozialem Wohnraum, den sich die Menschen leisten können. In vielen Großstädten verzweifeln immer mehr Menschen an knappen bzw. fehlenden Sozialwohnungen, explodierenden Mieten, Verdrängungen und Modernisierungen für Zwecke von Mietsteigerungen. Wenn Immobilienunternehmen ein lukratives Geschäft wittern, dann scheint ihnen jedes Mittel Recht zu sein. So wie im aktuellen Fall im Stuttgarter Bezirk Weilimdorf. Vergangenen Monat wurden die Mietverträge von 115 Personen eines sog. Boardinghauses auf Ende September gekündigt. Viele von ihnen sind Arbeitskräfte, Studierende und Sozialhilfeempfänger. Die meisten sind Migranten, die für einen Paket- oder Lieferdienst arbeiten oder einen Integrationskurs besuchen. Die Miniappartements mit rund 20qm kosten monatlich rund 570 Euro warm.

Nun kam der Rausschmiss – inmitten steigender Inflation und der Sorge auf weitere Preissteigerungen im Herbst. Der Immobilienbesitzer hatte im August die Kündigung verschickt. Gefordert wird die Räumung des Gebäudes innerhalb von 4 Wochen, also bis zum 30. September. Angeblich seien „dringende“, umfangreiche Renovierungsmaßnahmen und notwendige Arbeiten an der Trinkwasseranlage“ vorzunehmen. Das Gebäude befindet sich in einem Gewerbegebiet und ist für dauerhaftes Wohnen eigentlich unzulässig. Tatsächlich ist im Gewerbegebiet, in dem sich das Boardinghaus Holdäckerstraße 35 befindet, dauerhaftes Wohnen untersagt. Eigentlich. Doch das hatte die politischen Verantwortlichen in der Stadtverwaltung bislang nicht interessiert.

Brisant nur, dass die Stadtverwaltung das leergeräumte Gebäude anmieten möchte, um dort nach dem Rauswurf der dort lebenden Mieter Geflüchtete aus der Ukraine unterzubringen. Der Clou dabei – die Immobilienbesitzerin, die Eigentümergemeinschaft (ETG) Dobler & Dr. Dobler, geht es dabei um nichts anders als mehr Gewinn durch höhere Mietpreise. Dafür werden Geflüchtete gegen die derzeitigen MieterInnen mit geringem Einkommen in Stuttgart gegeneinander ausgespielt – mit Zutun der Stadtverwaltung.

Es ist Rolf Gassmann, Vorsitzender des Mietervereins Stuttgart, zu verdanken, dass der Fall in die Öffentlichkeit trat. Dutzende Mieter hatten in den letzten Tagen bei ihm um Hilfe gesucht. Seit Tagen werden die Bewohner mit Flugblättern über ihre Ansprüche informiert. Für den Mieterverein ist klar: Rechtlich sind die Kündigungen unwirksam. Politisch ist der Vorgang ein Skandal.

(Neues Leben, Stuttgart)

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