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Sie verlassen ihre Heimat

Ebru Lausberg

Nur raus aus der Gefahr und alles retten was gerettet werden kann, ist aktuell das Leben vieler Geflüchteter aus dem Krieg in der Ukraine.

Mehr als 1,5 Millionen Menschen sind laut UN auf der Flucht vor dem Krieg in der Ukraine. Doch das sei erst der Anfang. Zu rechnen sei mit der größten Flüchtlingskrise des Jahrhunderts auf dem europäischen Kontinent. Vor wenigen Wochen trafen sich Innenministerinnen und -minister der EU in Brüssel, um über eine rasche und unbürokratische Aufnahme der Geflüchteten zu verhandeln. Dabei wurde eine alte „Massenzustroms-Richtlinie“ aus dem Balkankrieg vor über 20 Jahren reaktiviert, die dafür sorgen soll, dass die Kriegsflüchtlinge in die Europäische Union ohne Visum einreisen können, um Schutz vor dem Krieg zu finden. Hierbei wird ein Schutz von drei Jahren gewährleistet. Seit März werden Flüchtlinge, die vor allem in Berlin und Hamburg ankommen, weiter auf andere Bundesländer verteilt. Auch in Köln kommen täglich mehr als 500 Flüchtlinge aus der Ukraine an. Die erste Anlaufstelle, um Geflüchtete aufzunehmen, befindet sich am Breslauer Platz in Köln, direkt am Hauptbahnhof. Dort stehen Zelte, die die Menschen mit Brot, Tee und Kaffee erst einmal versorgen. Hilfsorganisationen sind vor Ort, um medizinische Hilfe zu leisten und den Transport in Erstaufnahmeeinrichtungen zu übernehmen. Doch aufgrund der enormen Zahl angekommener Flüchtlinge sind die Erstaufnahmeeinrichtungen in einigen Bundesländern komplett belegt, in Hessen und Niedersachsen zu circa 90 Prozent, in Rheinland-Pfalz zu 75 Prozent. Daher mussten viele Bundesländer zusätzliche Notunterkünfte einrichten. Zudem bauen einige Bundesländer ihre Aufnahmekapazitäten aus, Rheinland-Pfalz und Sachsen haben ihre Aufnahmekapazitäten in wenigen Tagen verdoppelt, in Schleswig-Holstein und Hamburg werden jeweils 7000 und 8000 zusätzliche Plätze geschaffen, in Nordrhein-Westfalen um die 9500.

Wie viele Menschen werden kommen?

Zu dieser Frage gibt es bisher nur vage Schätzungen. Das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) geht von bis zu vier Millionen Menschen aus, die aus der Ukraine fliehen könnten. Männer zwischen 18 und 60 Jahren dürfen nicht aus dem Land heraus, weil die Regierung sie im Rahmen einer allgemeinen Mobilmachung für den Krieg verpflichtet hat. Die Ukraine hat um die 44 Millionen Einwohner. Es ist kriegsabhängig wie viele von ihnen in der kommenden Zeit das Land noch verlassen dürfen/können.

Wie viele Menschen nimmt Deutschland auf?

Erst einmal steht fest, dass jeden Tag die Zahl der Geflüchteten rasant steigt. Meistens ist das erste Ziel in Deutschland Berlin. Die Integrationssenatorin Katja Kipping erklärt „Berlin ist für Flüchtende das Tor zu Europa“ und was man bisher erlebe, sei „nur die Spitze des Eisbergs.“ „Berlin steht vor einer Jahrhundertaufgabe und man hat in Windeseile mehrere Unterkünfte erschlossen“, so die Linkspolitikerin. Die Verteilung der Geflüchteten wird auf die Bundesländer mit dem Königsteiner Schlüssel festgelegt, d.h. je mehr Einwohner ein Bundesland hat, desto mehr Prozente an Geflüchteten muss aufgenommen werden.

 Welche Rechte haben geflüchtete Ukrainer in Deutschland?

Laut der BAMF haben Personen, die gemäß der EU-Massenzustrom-Richtlinie (in Deutschland: §24 AufenthG) das Recht einer abhängigen oder selbständigen Erwerbstätigkeit nachzugehen. Enorm wichtig ist das Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren Zugang zum Bildungssystem bekommen. Doch auch Erwachsenen muss es freistehen, Bildungsangebote bzw. Fortbildungen wahrzunehmen. Geflüchtete haben Anspruch auf medizinische Versorgung und Sozialleistungen. Zudem haben sie das Recht, auch eine angemessene Unterbringung bzw. finanzielle Unterstützung für eine Unterkunft zu beantragen.

Welche Perspektive haben Geflüchtete aus der Ukraine?

Entscheidend, wie es für die kriegsflüchtenden Ukrainer in den EU-Staaten weitergeht, ist der Kriegsverlauf in ihrem Heimatsland. Sollte der Krieg in der Ukraine länger dauern und sie nicht mehr zurückkehren können, wird es nicht mehr darum gehen, wie sie hier aufgenommen werden können, sondern auch um ihre Integration. Die Migrationsexperten vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung schlagen in einer ersten Stellungnahme vor, „die Integration durch die Sprach- und Arbeitsmarktprogramme, eine schnelle Arbeitsmarktberatungen und- Vermittlungen und Berufs- und Bildungsabschlüsse schnell anzuerkennen.“ Auch finanzielle Fragen hängen von dem Kriegsverlauf ab. Je länger Geflüchtete bleiben, desto mehr Mittel müssten die Aufnahmeländer für sie aufwenden. Die Vereinte Nationen glauben, dass es allein 1,7 Milliarden Dollar (über 1,52 Milliarden Euro) braucht, um den Flüchtenden akut helfen zu können. 

Werden Veränderungen in der Asylpolitik der EU vorgenommen?

Durch die aktuelle Kriegslage ist die EU bereit, vieles, was bisher nicht möglich war, möglich zu machen. In der Vergangenheit war die Hilfsbereitschaft vieler Bürger vorhanden, doch rechtlich konnten syrische Geflüchtete einen Asylverfahren weder umgehen, noch gab es derart schnelle pauschale Lösungen, wie kostenlose Fernzugtickets für die Geflüchteten. Viele europäische Regierungsvertreter sehen die aktuelle Situation als Ausnahmesituation und nicht als einen Standard der Migrationspolitik. Dabei klingt teils offener Rassismus durch. Der bulgarische Premierminister Kiril Petkow bezeichnete sie: „Das sind nicht die Flüchtlinge, an die wir gewöhnt sind… Sie sind gebildet und intelligent, haben keine unklare Vergangenheit“. Auch der österreichische Bundeskanzler Karl Nehammer tönte ein: „Es handelt sich nicht um klassische Flüchtlinge, sondern um Europäer, die nachbarschaftlichen Schutz benötigen“. Die EU rechnet stark damit, dass die Mehrzahl der geflüchteten Ukrainer, sobald der Krieg vorbei ist und das Land wieder bewohnbar ist, wieder zurückkehrt. Doch momentan könne man den Zeitraum noch nicht bestimmen. Auch ist es möglich, dass der Krieg in der Ukraine indirekt andere Fluchtbewegungen auslöst. Denn die ärmsten Länder sind jetzt schon von den ausfallenden enormen Getreideimporten aus der Ukraine stark betroffen und leiden unter Hungersnöten.

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