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„Sie wollen ihren Herrschaftsbereich  stabilisieren und ihren Einfluss wahren“

Zu dem Thema haben wir mit dem langjährigen Friedensaktivisten und früheren hessischen Landtagsabgeordneten Willi van Ooyen gesprochen.

Yücel Özdemir

Wie bewerten Sie die aktuellen Spannungen in der Ukraine?

Insgesamt handelt es sich um eine neue Situation, die nicht nur die Ukraine oder Europa betrifft, sondern generell zeigt, dass die Welt im Umbruch ist. Die Konflikte nehmen zu. Das ist der Ausdruck, dass die bisherigen Vereinbarungen nicht mehr tragfähig sind, sondern dass man eine neue Politik braucht, die auf Entspannung und Kooperation setzt, anstatt den Konflikt tatsächlich kriegerisch auszutragen. Diese Konflikte gibt es und daher muss man die Sicherheitsbedürfnisse der beteiligten Länder berücksichtigen. 

Was wollen die USA und NATO erreichen? 

Die alte Herrschaftspolitik der Ausweitung und der Machtausdehnung sollen weiter vorangetrieben werden, obwohl insgesamt die Positionen der NATO-Länder schwächer geworden ist, sowohl ökonomisch als auch politisch. So wird eine Stimmung erzeugt, als würde man diesen Verlust an ökonomischer Potenz militärisch wettmachen können. Das halte ich jedoch für eine Illusion. Die imperialistische Vorstellungen aus alten Kolonialzeiten, man könne weltweit mit Kriegen Macht ausüben, halte ich für den ganz fatalen politischen Weg. 

Denken Sie, dass die USA wirklich einen Krieg mit Russland über die Ukraine führen würde?

Das ist das zentrale Problem, dass sich die Rolle der USA wenig differenziert darstellt. Es geht im Grunde genommen darum, dass sie ihren Herrschaftsbereich weiter stabilisieren und natürlich auch ihren Einfluss in Europa wahren wollen und deshalb sicherlich auch offen für militärische Optionen sind. Ob sie diese Positionen wirklich auch militärisch durchsetzen möchten, wird sich zeigen, ob es noch weitere Weltregionen gibt, um den beeinflussbaren Herrschaftsbereich zu stabilisieren oder sich eventuell von anderen Regionen zu trennen. 

Wie bewerten Sie hierbei die deutsche Position?

Innerhalb der SPD vor allen Dingen hat man schon sehr frühzeitig überlegt, wie man eine andere Politik der Entspannung und der Kooperation entwickeln kann und muss, damit die kriegerischen Formationen nicht weiter an Dominanz gewinnen: Zum Beispiel eine entmilitarisierte Zone oder eine Demilitarisierung ganz bestimmter Regionen in Europa. Interessant ist auch, dass die Militärs eine sehr skeptische Haltung gegenüber dem militärischen Einsatz entwickeln und auch die militärische Möglichkeit sehr realistisch einschätzen und von daher auch eher für entspannungspolitische und Demilitarisierungspositionen eintreten.

Die Bundesregierung sagt einerseits, „keine Waffenlieferung an die Ukraine“ und andererseits liefert sie 5.000 Helme und andere militärische Hilfsmittel. Was bedeutet das?

Es ist nach wie vor so, dass der Rüstungssektor großes Interesse daran hat, Waffen zu verkaufen. Wir haben im letzten Jahr eine deutliche Erhöhung der Rüstungslieferungen weltweit erlebt. Von daher gibt es auch großes Interesse der Rüstungsindustrie, alle Geschäfte zu machen, die möglich sind. Für die Politik ist es schwierig, denn eine Rüstungslast amortisiert sich erst, wenn man im Krieg gewonnen hat und das ist leider nicht immer vorhersehbar. 

Welche Rolle spielt Deutschland beim Dialog?

Diese Frage ist noch nicht entschieden. In dieser Bundesregierung spielen beide Positionen eine Rolle. Stimmen aus der FDP plädieren sehr offensiv für die militärische Unterstützung. Das ist der eskalierende Teil. Es ist also noch nicht entschieden. Aber ich glaube, die politische Situation wird durch öffentliche Meinung mitentschieden. Wir müssen die Klarheit haben, durchzusetzen, dass niemand den Krieg will und alles getan werden muss, um den Krieg zu verhindern.

Der türkische Staatspräsident Erdogan wollte als Unterhändler zur Vermittlung im Konflikt zwischen der Ukraine und Russland fungieren. Gibt es da Chancen?

Die Türkei spielt natürlich in der ganzen Region eine zentrale Rolle. Wir haben das in der Auseinandersetzung Aserbaidschan-Armenien gesehen, aber auch in Syrien, wo eine militärische Antwort für die Türkei immer eine Option ist. Die Frage ist, welche Rolle die Türkei auf Dauer einnehmen wird. Es ist nicht sicher, dass sie eine positive Rolle im Sinne der Deeskalation spielen will, sondern ich befürchte eher, dass die Positionen der Türkei in der Region selbst zu Unruhen und Krieg führen werden. 

Wie ist die Stimmung in der Bevölkerung der Ukraine und Russland?

Ich denke, dass die Mehrheit der Bevölkerungen dafür ist, nicht nur auf Kriege zu verzichten, sondern sie unmöglich zu machen, weil niemand am Krieg gewinnen wird. Dass man diese militärischen Optionen verhindern muss, dafür gibt es eine gesellschaftliche Mehrheit in allen Ländern und diese zu mobilisieren, um zu rationalen politischen Konzepten zurückzufinden, halte ich für notwendig und wichtig. Man muss überlegen, wie man über diese Idee einer entmilitarisierten Zone in Europa einen Schritt weiterkommt. Wir brauchen Initiativen, die die Hauptgefahren des Krieges beseitigen. Dazu gehört die Beseitigung von Atomwaffen aus Europa und dazu gehört ein Landstrich, der militärisch entwaffnet ist und auch eine eigenständige Position hat. Beispielsweise wenn man in der Ukraine oder in Polen eine solche entmilitarisierte Zone einbauen könnte, könnten diese Länder unter friedlichen Bedingungen wirklich prosperieren.

Wie schätzen Sie die Stimmung in der deutschen Bevölkerung ein? 

Eine Umfrage hat gezeigt, dass 59 Prozent der Bevölkerung gegen eine Waffenlieferung an die Ukraine ist. Wir haben das Desaster des Afghanistan-Krieges erlebt und gesehen, dass man mit Militär nur weiteres Elend erzeugt. Nicht nur in unserem Land, sondern weltweit wissen die Menschen, dass Kriege und Militär keine wirklichen Lösungen bringen, sondern dass man andere Formen der Politikgestaltung braucht.

Was plant die deutsche Friedensbewegung gegen die Spannungspolitik?

Wir sind leider noch nicht ganz auf dem Höhepunkt, der notwendig wäre. Aber wir sind dabei, Aktionen zu planen. Vor allen Dingen orientieren sich viele der Friedenskräfte jetzt auf die Ostermärsche als ein großes Signal für eine veränderte Politik. Diese Ostermärsche werden sicher ein Auftakt werden und ich hoffe auch, dass wir im Vorfeld der Ostermärsche einige deutliche Aktionen und Signale setzen können. Ein weiteres Thema ist natürlich „Defender Europe 22“, ein militärischer Probelauf, was am 8. Mai starten soll.

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