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Südafrikas Völkermordklage gegen Israel

Yekta Doǧan

Am 29. Dezember 2023 reichte Südafrika eine Klage gegen Israel wegen Völkermords am Internationalen Gerichtshof in Den Haag, dem höchsten Gericht der UN, ein. Daneben beantragte es die Anordnung einstweiliger Verfügungen zur Verhinderung eines Genozids in Gaza durch Israel. Israel antwortet auf die Anschuldigungen mit Verleumdung. Südafrika sei der „juristische Arm der Terrororganisation Hamas“, heißt es in einer Presseerklärung des Israelischen Außenministeriums.

Südafrika beansprucht mit seiner Klage vor dem Internationalen Gerichtshof eine Wächterfunktion, die jeder Staat nach Artikel IX der UN-Völkermordkonvention von 1948 wahrnehmen kann, ohne selbst unmittelbar betroffen zu sein. Diese wurde 1948 aufgrund der Verbrechen Deutschlands am jüdischen Volk beschlossen, im selben Jahr von Israel ratifiziert und trat 1951 in Kraft.

Die Anklage

Südafrika verurteilt den Angriff der Hamas vom 07.10.23, unterstreicht jedoch, dass kein Angriff einen Völkermord rechtfertige. Völkermord wird in Art. 2 der Konvention als einer der folgenden Handlungen beschrieben, die in der Absicht begangen wird, „eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe“ als solche ganz oder teilweise zu zerstören“: (1)Tötung von Mitgliedern der Gruppe; (2) Verursachung von schwerem körperlichem oder seelischem Schaden an Mitgliedern der Gruppe; (3) vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen für die Gruppe, die geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen; (4) Verhängung von Maßnahmen, die auf die Geburtenverhinderung innerhalb der Gruppe gerichtet sind; (5) gewaltsame Überführung von Kindern der Gruppe in eine andere Gruppe.

Die ebenfalls beantragten einstweiligen Anordnungen sind vorübergehende Maßnahmen, die stattfindende Handlungen unterbinden oder das Ergreifen von Maßnahmen gebieten sollen, während die endgültige Entscheidung des Gerichts aussteht.

Südafrika macht bei der Klage geltend, dass Israels Krieg gegen Gaza die Anforderungen für einen Völkermord nicht nur in einem, sondern in mehreren Punkten erfüllen und führt zu jedem Punkt der Völkermordsdefinition – von denen nur ein Punkt für die Kategorisierung als Völkermord zutreffen muss – eine Handlung Israels auf. Wir haben im Folgenden versucht, die wichtigsten Punkte der Anklage darzustellen.

Tötung von Mitgliedern einer Gruppe

„Israel hat mittlerweile über 21.110 namentlich bekannte Palästinenser getötet, darunter 7.729 Kinder – mehr als 7.780 weitere werden vermisst, vermutlich tot unter den Ruinen (…)“. „Das Ausmaß der Tötung palästinensischer Kinder in Gaza ist so groß, dass die Vereinten Nationen es als Kinderfriedhof bezeichnet haben.“

„Es gibt auch Berichte über unbewaffnete Menschen – einschließlich israelischer Geiseln – die auf der Stelle erschossen werden, obwohl sie keine Gefahr darstellen, und auch, wenn sie weiße Fahnen schwenkten.“

„Die Palästinenser in Gaza werden nicht nur durch israelische Waffen getötet. Sie sind auch vom Hungertod, von Dehydrierung und Krankheiten bedroht, da die israelische Belagerung anhält, die Hilfslieferungen für die palästinensische Bevölkerung unzureichend sind und die Verteilung dieser begrenzten Hilfsgüter, die in das Gebiet gelangen dürfen, aufgrund der Dezimierung der Infrastruktur des Gazastreifens durch die israelischen Militärangriffe äußerst schwierig ist.“

Verursachung schwerer körperlicher und seelischer Schäden

„Mehr als 55.243 Palästinenser wurden seit dem 7. Oktober 2023 infolge der israelischen Militärangriffe auf den Gazastreifen verwundet, die meisten von ihnen Frauen und Kinder. Verbrennungen und Amputationen sind typische Verletzungen, wobei schätzungsweise 1.000 Kinder ein oder beide Beine verloren haben.“ „Insbesondere im Norden des Gazastreifens gibt es keine funktionierenden Krankenhäuser mehr, so dass Verletzte darauf beschränkt sind »auf den Tod zu warten«. Da sie keine Operation oder eine über die erste Hilfe hinausgehende medizinische Behandlung in Anspruch nehmen können, sterben sie einen langsamen und qualvollen Tod, aufgrund ihrer Verletzungen oder an den daraus resultierenden Infektionen.“

Verhängung von Maßnahmen zur Geburtenverhinderung

„Das Vorgehen Israels trifft palästinensische Frauen und Kinder im Gazastreifen besonders hart: Schätzungsweise 70 Prozent der Getöteten sind Frauen und Kinder. Jede Stunde werden in Gaza schätzungsweise zwei Mütter getötet. (…) Es gibt mehrere Augenzeugenberichte von schwangeren Frauen, die von israelischen Soldaten ermordet wurden, auch dann, als sie versuchten, medizinische Versorgung zu erhalten.“

„Berichten zufolge sterben immer mehr palästinensische Babys im Gazastreifen an völlig vermeidbaren Ursachen, die durch Israels Aktionen verursacht werden: Neugeborene bis zu drei Monaten sterben an Durchfall, Unterkühlung und anderen vermeidbaren Ursachen. Ohne wichtige Ausrüstung und medizinische Unterstützung haben Frühgeborene und untergewichtige Babys wenig bis gar keine Überlebenschance.“

Die Verurteilung

Israels Antwort auf die Klage kam am 12.01.24 und ist geprägt von Zurückweisungen, wahnhaften Verleumdungen und der Perversion des Begriffs „Selbstverteidigung“. Das Statement der Bundesregierung, der Vorwurf Südafrikas entbehre sich „jeder Grundlage“ – in einem juristischen Verfahren, bei dem eben diese Grundlage noch überprüft wird – zeigt, dass die Bundesregierung für ihre „Staatsräson“ bereit ist, Rechtsstaatlichkeit mit Füßen zu treten und ihre Doppelmoral offen an den Tag zu legen.

Auch wenn die Klage kaum einen Monat her ist und eine offizielle Entscheidung des Gerichts vermutlich Jahre dauern wird, liegt die Verurteilung Israels – zumindest durch die Geschichte und durch die Völker der Welt – schon fest.

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