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Treue der deutschen Rüstung

Taylan Ciftci

Man hätte meinen können, dass die Bundesrepublik sich dem weltweiten Trend zur militärischen Aufrüstung widersetzt und die Welt mit weniger Waffen und Ausrüstung als noch zwei Jahre zuvor beliefert. Die Ampel-Koalition hatte ohnehin mit Hoffnungen auf Reformen im Rüstungsexportgeschäft gespielt. Restriktivere Bestimmungen und eine Politik, die mit den Grundsätzen der Bundesregierung vereinbar sind, sollen die Grundlage für ein Rüstungsexportkontrollgesetz liefern. Stellt dieser Vorstoß einen Durchbruch dar, der der Kriegsindustrie endlich Grenzen zu setzen und die Bundesrepublik zum Apologeten für eine neue Friedenspolitik zu machen vermag?

Mitnichten. Im Jahr 2020 mit 5.5 Milliarden Euro beziffert, ist der Wert der Rüstungsexporte 2021 auf gute neun Milliarden Euro gestiegen. Wie kann das sein? Anfang Dezember, also ein paar Tage vor der Ernennung der neuen rot-grün-gelben Bundesregierung, genehmigte ihre Vorgängerin Rüstungsexporte im Wert von knapp fünf Milliarden Euro. Wie sehr Rüstungsexporte eben kein Naturgesetz oder Gotteswerk darstellen, zeigt diese Last-Minute-Entscheidung der ranghöchsten Politiker dieses Landes eindrucksvoll.

„Im Rahmen des Rechts“

Gut, könnte man meinen, dass diese Entscheidung wenigstens nach rechtlichen Maßstäben einwandfrei war. CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter begegnet den fast verurteilenden Stimmen der Gegner von Rüstungsexporten besonnen: „Das Handeln der geschäftsführenden Bundesregierung geschah innerhalb des gültigen Rechtsrahmens.“ Denn das ist dann auch das einzige mit christlichen Werten vertretbare Argument für solch einen Deal. Denn an wen sind die mit gültigem Rechtsrahmen ausgestatteten Exporte adressiert? Unter anderem an Ägypten. Eine Militärdiktatur unter der Herrschaft des General as-Sisi, der das Land seit 2014 mit eiserner Brutalität führt und schon so manche freundschaftlichen Bekundungen aus dem Westen erhalten hat. Die ägyptischen Journalisten würden gerne kritisch über diesen dubiosen Deal berichten, wenn sie nicht in den Gefängnissen Kairos verrotteten.

Mit der Stimme des damaligen Finanzministers

Wer hätte gedacht, dass sich die CDU mit solch einem unchristlichen Kriegsdienst verabschiedet?  Haben denn Merkel und Kramp-Karrenbauer nicht dazu gelernt? Olaf hätte das nie zugelassen. Oder etwa doch? Rüstungsexporte werden grundsätzlich durch den Bundessicherheitsrat genehmigt, dem neben der Bundeskanzlerin und  der Verteidigungsministerin auch der Außenminister, Wirtschaftsminister, die Justizministerin, der Generalinspekteur der Bundeswehr und der Finanzminister vorstehen. Wer war denn der damalige Finanzminister bis Anfang Dezember? Olaf Scholz, richtig. Doch ist Olaf Scholz nicht der neue Bundeskanzler einer neuen Bundesregierung mit dem Ziel eines neuen noch nie da gewesenen Rüstungsexportkontrollgesetz? Soll dieses Gesetz nicht auch den Export von Waffen an Länder untersagen, die sich am Jemen-Krieg beteiligen, wie es Ägypten seit 2015 tut? Müsste eine solche Genehmigung nach geltendem Koalitionsvertrag nicht unverzüglich rückgängig gemacht werden? Es sind ja immerhin drei Kriegsschiffe und 16 Luftabwehrsysteme der Marken Thyssenkrupp Marine Systems und Diehl Defence, die as-Sisi in die Hand gelegt werden. Olaf Scholz zusammen mit seinem Kabinett haben noch keine Erklärung abgegeben, wie dies mit einer Politik des Fortschritts zu vereinbaren ist. Das Recht mit gültigem Rechtsrahmen, dass Unrecht befördert, ist der leere Teller der Glaubwürdigkeit, den uns Olaf mit hanseatischer Miene servieren möchte.

Löchriges Kontrollgesetz

Dabei hinterlässt selbst ein Zustandekommen eines derartigen Kontrollgesetzes Lücken. Ein kurzes Beispiel: Man könnte die Bundesregierung dafür loben seit 2018 der saudischen Erbmonarchie, die nun wirklich nicht up to date ist, was Menschenrechte angeht, keine Waffen mehr zu liefern. Das ist nicht nur aus Gründen der saudischen Innenpolitik legitim. Die Koalition, die den Jemen-Krieg seit 2015 führt, an der sich auch das as-Sisi’sche Ägypten beteiligt, wird von Saudi-Arabien angeführt. Zur Erinnerung: Das ist ein Angriffskrieg gegen die jemenitische Zivilbevölkerung. Und das hat die Bundesregierung drei Jahre nach Kriegsbeginn auch anerkannt. Ab sofort dürfen deutsche Kriegswaffen nur noch indirekt über Drittländer an Saudi-Arabien geliefert werden, wie zwei Lieferungen aus Frankreich im Wert von 4.87 Millionen Euro aus deutscher Rüstungsproduktion beweisen. Solange kein Lieferkettengesetz existiert, dass diese Taschenspielereien verunmöglicht oder zumindest die beteiligten deutschen Rüstungskonzerne zur Verantwortung zieht, werden weiterhin — auch mit Rüstungsexportkontrollgesetz — deutsche Waffen die Kriege und Kriegstreiber dieser Welt beglücken und im Gegenzug die deutschen Rüstungskonzerne mit Geld bereichern. Die Bundesregierung kann zudem die eigene Stellung in der Welt ausbauen. Noch ein letztes mal lassen wir Kiesewetter zu Wort kommen: „Es ist in deutschem Interesse, wenn sich die Länder im Nahen Osten weiterhin in ihrer Rüstungspolitik durch EU-Staaten ausstatten lassen. Es kann nicht in unserem Interesse sein, wenn diese Staaten sich künftig in China oder Russland versorgen. Dann haben wir keinen weiteren politischen Einfluss mehr in der Region.“

Innere Aufrüstung gegen Russland

Der deutsche Trend, die Aufrüstung weltweit zu fördern, findet sein Pendant in der eigenen inneren Aufrüstung der Bundesrepublik. Neben den ständigen Baerbock’schen Andeutungen, im Zweifelsfall die Grundwerte von Freiheit und Demokratie auch militärisch gegenüber Russland zu verteidigen, will die Ampel-Koalition das besser machen, was ihre Vorgängerin nur halbherzig unternommen hat. Bewaffnete Drohnen für die Bundeswehr sollen endlich ermöglicht werden. Obwohl die SPD noch in der vergangenen Legislatur den Miesepeter spielte und sich in der Frage nach der Beschaffung derartiger Drohnen quer stellte, will sie mit dem frischen Wind der grünen und gelben Star-Politiker endlich doch auf den Zug der Zukunft aufspringen. Wenn es sein muss, gegen die eigene Basis, die immer noch an friedenspolitischen Zielen festhält. Noch dazu soll es ein Nachfolgesystem für das Kampfflugzeug Tornado geben, das auch als Träger von Atomwaffen fungieren kann. Nicht gerade ein Signal für die weltweite atomare Abrüstung. Was wäre zudem eine Aufrüstung ohne ein neues personelles Management? Die Attraktivität der Bundeswehr soll gesteigert, die Flexibilität des Dienstes ermöglicht und die innere Führung gestärkt werden. Dabei soll der Extremismus, der nicht auf der freiheitlich-demokratischen Grundordnung steht, in den eigenen Reihen bekämpft werden. Stellt sich nur die Frage, von welcher Art Extremismus hier gesprochen wird?

Die Ampel-Koalition macht sich zum latenten Apologeten einer neuen Militarisierung. Das Rüstungsexportkontrollgesetz und der Kampf gegen den Extremismus sind Beschönigungen einer  konsequenten Aufrüstungswelle, die sich im Außen sowie Inneren anbahnt. Die Bundesrepublik bleibt in den Charts der Rüstungsexporteure und die neue Bundesregierung beginnt mit der Umstrukturierung der Bundeswehr, um im Zweifelsfall bedingungslose Mobilität gen Osten zu garantieren.

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