Julius Gerstendorf
Seit Jahren herrscht ein eklatanter Lehrermangel in Deutschland und dieser verschlimmert damit eine ohnehin problematische Bildungsversorgung. Ein Drittel aller Referendare verlassen den Schulsektor bereits wieder innerhalb ihrer ersten 5 Jahre. Ein Viertel aller Referendare zeigt Burnout-Symptome. Für Viele ist der Druck der noch laufenden Ausbildung, der Zwang, Menschen anhand ihrer Leistung zu bewerten, Elterngespräche etc. zu führen, zu hoch.
Auch die Schüler bekommen den Mangel zu spüren, denn inzwischen fällt ein Zehntel der Unterrichtsstunden aus, bzw. wird vertreten und das von fachfremden Lehrern, die in ca. 2/3 aller Fälle den Stoff nicht kennen. Seit Jahren fordern Lehrergewerkschaften eine Abdeckung von 110% der Unterrichtsstunden, um eventuelle Krankheitsfälle mit für diesen Themenbereich geschulten Lehrkräften zu ersetzen.
Nun will die Regierung von Sachsen-Anhalt, bestehend aus CDU, SPD und FDP, diesem Problem mit einem neuen Konzept den Riegel vorschieben: Die Unterrichtsstunden sollen „flexibilisiert“ werden.
Die Regierung schlägt vor, 40-Minütige Unterrichtsstunden, statt 45 minütige zu lehren.
Dieser Vorschlag wirft gleich mehrere Probleme auf:
1. Ist eine 40-Minütige Unterrichtsstunde eine Einbuße an betreuter Lernzeit, die eventuell dasselbe Ausmaß einnehmen könnte, wie der Stundenausfall an sich. Die Regierung legt hier keine Studie oder Begründung vor, die belegt, dass der Verlust an Lernzeit in der eigentlichen Stunde den Verlust an Lernzeit durch Vertretung oder Ausfall ersetzt.
2. Sind die drei wöchentlich dazugewonnenen Unterrichtsstunden eine Mehrbelastung für die Lehrer. Die aktive Arbeitszeit verlängert sich zwar nicht, die durchschnittliche Arbeitszeit der Lehrenden wird weiterhin 25 Stunden betragen, aber die Unterrichtsvor- und -nachbereitung ist nicht mit einberechnet.
3. Löst der Vorschlag das Problem des Lehrermangels nicht. Im Gegenteil: Er belastet die Lehrkräfte und touchiert die akuten Probleme. Die Mehrarbeit, die entsteht, ist nicht nur ein weiterer Faktor, der die Lehrer belastet, er wird mit der Zeit auch schlimmer, je weiter der Mangel voranschreitet. Die Bewerbungen für den Lehrerberuf gehen drastisch zurück, vor allem in Bezirken mit hoher Armutsquote will kaum noch jemand unterrichten und auf dem Land besteht hoher Mangel. Dieser Trend verschlimmert sich mit der Zeit, denn wenn ein Beruf noch mehr Arbeit verspricht, weil man den Mangel an Kollegen ausgleichen muss, so senkt dies die Attraktivität des Berufs weiter. Lehrer müssen also, wenn sie ihrem Beruf gerecht werden wollen, Einbußen in ihrem Privatleben und ihrer Freizeit hinnehmen oder die Mehrstunden schlechter vorbereiten, als vorher.
Der Gesetzentwurf aus Sachsen-Anhalt ist ein Schritt in eine Spirale aus schlechter Bildung, der die Symptome des kaputten Bildungssystems nicht bekämpft, sondern auf allen Ebenen verschlimmert. Er schließt sich der Tendenz der letzten Jahre an. Ob Quereinsteigeranwerbung, Klassenvergrößerungen oder Stundenerhöhungen. All diese Maßnahmen verschlechtern die Bildung der Schülerinnen und Schüler und die Arbeitsbedingungen von Lehrenden. Die Forderung muss lauten: Personalausgleich statt Stundenerhöhung.