Wenn unsere Zeitung erscheint, ist es bis zur Bundestagswahl nur noch knapp eine Woche. Besonders nach dem Entschließungsantrag der Union, ist der Ton im Wahlkampf rauer und aggressiver geworden. Während sich sämtliche Parteien auf Kosten der politischen Gegner zu profilieren versuchen, fallen nun auch Wörter, wie „Wortbruch“, „Leichtgewicht“ usw. Sämtliche Parteien versprechen „Veränderung“. Vor allem die Migrationsfrage ist angeblich heiß diskutiertes Thema, dabei wird gar nicht mal so heiß diskutiert. Alle Parteien machen jedoch deutlich, wo sie stehen und bereits jetzt lässt sich abzeichnen: nach dem 23. Februar erwartet uns, egal wer regiert, eine härtere, aggressivere und restriktivere Politik.
Alev Bahadir
Die Gretchenfrage: Migration
Kein Thema wird in diesem Wahlkampf so ins Feld geführt, wie die Migration. Bereits seit Monaten, und auch schon vor der Ankündigung von vorgezogenen Bundestagswahlen, wurde mit voller Wucht von den Parteien gegen Migranten und Geflüchtete geschlagen. Zur Erinnerung, Schlagworte, wie „im großen Stil abschieben“, „Zahnarztbesuche“ oder „illegale“ bzw. „irreguläre Migration“ sind bereits seit längerem von fast allen politischen Lagern benutzt worden. Die Bundesregierung hat ihren Einfluss in der EU genutzt, um eine harte Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) durchzusetzen und die Abweisung von Menschen an europäischen Außengrenzen zu vereinfachen. Die Anschläge von Mannheim, Solingen, Magdeburg und Aschaffenburg werden gezielt von der Politik instrumentalisiert, um Hetze gegen Menschen mit Migrationshintergrund und Geflüchtete zu betreiben. Es muss deutlich gesagt werden: inhaltlich fahren fast alle Parteien die gleiche Schiene, wenn es um Migration geht, die einen offen, die anderen härter, aber alle sehen das Problem in der Migration.
Auch, wenn Friedrich Merz mit – und er weiß es ganz genau – juristisch und verfassungsrechtlich illegalen Vorschlägen, wie dem Entzug der deutschen Staatsbürgerschaft bei Straffälligkeit, immer mehr versucht, sich inhaltlich in die Nähe der AfD zu bringen und Populismus auf dem Rücken der Migranten zu betreiben, sind die anderen Parteien kaum besser. Der sogenannte „Schlagabtausch“ zwischen Friedrich Merz und Olaf Scholz (SPD) am 9. Februar, machte das nochmal deutlich. Merz schimpfte, dass man mehr abschieben und mehr Menschen die Einwanderung nach Deutschland verweigern müsse und Scholz stimmte zu und prahlte damit, dass unter seiner Regierung die Abschiebungen, Grenzkontrollen und Abweisungen zugenommen hätten. Niemand verfolge da eine härtere Politik als er selbst, so Scholz. Annalena Baerbock (Grüne) fragte im Bundestag Merz, was er den wolle, schließlich biete ja GEAS bereits alles, was auch die Union fordere. Das BSW, das in der Friedensfrage ein Ende der Waffenlieferungen und Diplomatie fordert, erwähnt bei jedem Interview, das man unkontrollierte Migration nicht brauche, abweisen und abschieben müsse, ähnlich wie die FDP. Die AfD muss in der Frage gar nicht erst erwähnt werden, ihre zutiefst rassistische und spalterische Politik spricht für sich, geht sogar weiter und umfasst alle Migranten, nicht nur Geflüchtete wie bei den anderen Parteien oft. Einzig die LINKE spricht sich gegen diese Geflüchtetenpolitik aus, hat aber auch in der Vergangenheit bewiesen, dass sie – besonders in Regierungsverantwortung – die eigenen Grundsätze biegen kann.
Alle auf einer Linie
Immer wieder wird ins Feld geführt, dass sich ein Großteil der Menschen eine Veränderung in der Migrationspolitik wünsche und man das deshalb als demokratische Parteien nicht ignorieren dürfe. Ja, Befragungen zeigen immer wieder, dass sich ein großer Teil der Bevölkerung für strengere Asylpolitik ausspricht und Migration als eines der großen Problemthemen benennt. Doch so zu tun, als wäre es einfach zu dieser Entwicklung gekommen, weil es immer mehr „Ausländer“ in Deutschland werden, würde die wahren Verursacher dieser Stimmung verschleiern.
Fakt ist, das Wirtschaftswachstum in Deutschland nimmt ab. Das bedeutet, dass Konzerne, wie VW, ZF, Siemens und Co. Verluste in ihrer Gewinnmarge machen, also nicht Minus sondern nicht so sehr Profit wie erwünscht! Diesen Abschwung bezeichnet man als „Rezession“. Dieser wiederrum sorgt dafür, dass die Unternehmen, die im Kapitalismus die Notwendigkeit haben, ihren Profit dauerhaft zu vergrößern, um nicht von der (internationalen) Konkurrenz aufgefressen zu werden, zuerst an der einfachsten Stelle sparen: den Arbeitern. Kurzarbeit, Entlassungen, Werkschließungen etc. Sie alle sind beliebte Mittel der Konzernchefs, um den eigenen Profit zu erhalten, während die Menschen, die nichts besitzen, plötzlich arbeitslos werden und verarmen. Das sorgt verständlicherweise für Unruhe und Unzufriedenheit in der Bevölkerung. Schließlich haben wir zudem massive Preissteigerungen, insbesondere auf Lebensmittel und Energie. Diese Unzufriedenheit erstickt die Politik, die im Kapitalismus keinesfalls losgelöst von der Wirtschaft ist, wie es so oft behauptet wird, aber mit zahlreichen Beispielen leicht wiederlegt werden kann (VW-Abgas-Skandal, Maskenaffären, Cum-Ex-Skandal), mit ihren Mitteln. Einerseits verschärft sie die Gesetze für Beschäftigte. Nicht umsonst werden zum Beispiel das Krankengeld (siehe Seite 6) und andere Rechte der Werktätigen angegriffen. Andererseits werden andere Verantwortliche ins Feld geführt. Das Geld, das für Geflüchtete draufgehe, könnte ja theoretisch dem Bürger zu Gute kommen. Wird nicht passieren, da ein bedeutender Teil des Haushalts für Aufrüstung verwendet wird, aber das Feindbild ist geboren. Laut dem statistischen Bundesamt leben Ende 2024 knapp 14 Millionen Menschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit in Deutschland. Darunter fallen ebenfalls Personen, die bereits seit Jahrzehnten hier leben und arbeiten, aber nie die Staatsbürgerschaft erhalten haben. Etwa 3,3 Million davon sind Schutzsuchende. Die größte Gruppe davon Ukrainer, danach Menschen aus Syrien. Bei einer Gesamtbevölkerungszahl von über 84 Millionen Menschen, kann man hier kaum von einer Überflutung sprechen. Gleichzeitig hat die Anzahl der Anschläge auf Geflüchtetenunterkünfte im Jahr 2024 zugenommen.
Die Politik selbst ist es, die das Klima in Deutschland vergiftet, die Bevölkerung spaltet und den Nährboden für Hass, Rassismus, aber auch Radikalisierung schafft. Sich im Nachhinein auf einen Bürgerwillen, den man selbst über Monate hinweg systematisch geschaffen hat, zu beziehen, kommt dann natürlich gerade Recht. Und wer denkt, dass diese Politik bei den Migranten und Geflüchteten endet, irrt sich gewaltig. Denn beim „Schlagabtausch“, der eher ein rhetorisch mieses Theaterstück war, war man sich in vielem einig: so z.B. auch bei der Einschränkung und Sanktionen von Bürgergeld auch für Deutsche. Oder, dass man die Wirtschaft mit Anreizen dazu ermutigen solle, in Deutschland zu produzieren. Das bedeutet einmal mehr Subventionen für die Reichsten, während die Bevölkerung auf der Strecke bleibt. Solange die Menschen in Deutschland auf dieses Spiel reinfallen und sich nicht abwenden von dieser Politik der Spaltung, wird sich nichts verändern. Veränderung ist nur möglich, indem wir nicht nach unten treten und die angreifen, die ohnehin am wenigsten haben, sondern endliche einsehen, dass die Trennlinie zwischen unten und oben und nicht zwischen den Völkern verläuft. Diese Gewissheit werden wir in den kommenden Jahren brauchen, denn eins ist klar: besser wird es von alleine nicht.