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Welthunger nimmt stetig zu

Aylin Melis Ayyildiz

Laut dem neuen Welthunger-Index gibt es kaum Fortschritte im Kampf gegen den Hunger. In vielen Ländern ist er sogar schlimmer geworden, als zuvor. Immer noch stirbt alle 10 Sekunden ein Kind irgendwo auf der Welt an Hunger.

Die Zahl der Hungerleidenden und Unterernährten in der Welt beträgt zurzeit 822 Millionen. Das sind mehr Menschen als die Population der USA, Deutschland, Russland, Pakistan und Thailand zusammen. Seit drei Jahren steigt die Zahl stetig. Im Jemen, Libanon, Venezuela und in der Zentralafrikanischen Republik ist der Wert heute höher als noch vor 20 Jahren.

An den Folgen von Hunger und Unterernährung sterben mehr Menschen als an HIV/AIDS, Malaria und Tuberkulose zusammen. Dabei sind Kinder unter fünf Jahren am schlimmsten betroffen. 98 % der Hungernden leben in Entwicklungsländern, also in Afrika, Asien, Lateinamerika, aber auch in den Industriestaaten und in der Karibik gibt es Hunger, wenn auch nicht in einem so verheerenden Ausmaß.

Klimawandel schuld?

Einer der im „Welthunger-Index“ genannten Gründe ist der Klimawandel. Die globale Erwärmung sorge für immer extremere Wetterverhältnissen wie Dürre, Überschwemmungen und Stürme, was sich negativ auf die Ernte wichtiger Pflanzen auswirke, was wiederum zu einer Knappheit von Lebensmitteln führe und letztendlich den Lebensmittelpreis in die Höhe schießen lasse.

„Die Verantwortung für den Klimawandel und seine Folgen sind sehr ungerecht verteilt. Die Menschen, die ihn am wenigsten verursacht haben, leiden am stärksten unter den Auswirkungen. […] Frauen und Kinder sind die größten Leidtragenden. Sie brauchen unsere finanzielle Unterstützung und Solidarität.“, sagt Marlehn Thieme, Präsidentin der Welthungerhilfe.

Bundesentwicklungsminister Gerd Müller: „Die globale Ernährungssicherung und der Klimawandel sind die beiden Überlebensfragen der Menschheit. 20 Millionen Menschen mussten bereits aus den Dürreregionen Afrikas fliehen. Wir müssen deswegen noch stärker in den Erhalt ihrer Lebensgrundlage investieren, etwa in klimaangepasste Anbaumethoden. Vor allem aber verschlechtert sich die Ernährungslage in den krisengebeutelten Regionen. Im neunten Kriegsjahr ist die Situation im Syrien-Krisenbogen so dramatisch wie nie. Auch im Jemen. Alle zehn Minuten stirbt dort ein Kind an Unterernährung. Die Weltgemeinschaft muss hier entschlossen helfen.“

Und tatsächlich ist es Fakt, dass heute 80 Prozent aller Naturkatastrophen zurückzuführen sind globale Erwärmung. Noch in den 90er Jahren waren es 60 Prozent weniger klimabedingte Katastrophen.

Profitgier der Lebensmittelkonzerne

In der Berichterstattung über die Ergebnisse des Index kommen die Hauptgründe wie Krieg, Profitgier und Ausbeutung kaum vor. Der Fokus liegt zuerst immer auf der Klimakrise.

Doch das Hungerleiden in der dritten Welt ist kein neues „Phänomen“, das mit der Klimakrise anfängt. Die Klimakrise hat ohne Frage zu einer rapiden Verschlechterung der Situation beigetragen. Doch schon bevor man über globale Erwärmung geredet hat, war Welthunger ein Riesenproblem.

Wirtschaftliche Interessen stellen seit jeher Profit über Menschenwürde. So ist die Struktur des Welthandels eine große Ursache für den Hunger, besonders in den Entwicklungsländern. Diese haben einen winzigen Anteil am weltweiten Export im Vergleich zu den Industriestaaten. Unfaire Handelsabkommen und Subventionen schaffen Marktzugänge und Preisvorteile für Konzerne und Unternehmen aus den Industrienationen.

„Agrardumping“ bezeichnet das Verkaufen von Produkten zu Preisen unterhalb der Produktionskosten, also zu Dumping-Preisen. Dabei ist Preisdumping eine von der Welthandelsorganisation untersagte Praxis. Im Agrarbereich gilt das Verbot allerdings nicht. Dort gibt es Sonderregelungen wie Exportsubventionen und dumpingfördernde Auflagen des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank. Das Gefälle auf dem Weltmarkt ist enorm und die Strukturen halten die Entwicklungsländer immer weiter unten ohne Chance auf wirtschaftlichen Aufstieg oder Gleichberechtigung.

Hunger hat viele Gründe

Kriege und bewaffnete Auseinandersetzungen gehen mit wirtschaftlichen Interessen Hand in Hand. Rohstoffreiche Länder werden besetzt und die Infrastruktur zerstört, etwa wichtige Bewässerungsanlagen. Die Bevölkerung wird ausgebeutet und unterworfen. Die Menschen müssen fliehen und verlieren ihre Existenzgrundlage.

Man kann all die Gründe für Welthunger nicht für sich alleine nehmen, sondern muss sie im Gesamtzusammenhang betrachten. Sie bedingen sich gegenseitig und sind nur schwer voneinander zu trennen.

Dass sich die Medien in diesem Hinblick nur auf die Klimakrise konzentrieren, hat viel damit zu tun, dass dies zurzeit ein attraktives Thema ist. „Green“ zu sein und ein umweltfreundlicher Lifestyle ist nicht mehr nur „Hippiekram“. Greta Thunberg, das Gesicht von Fridays for Future, ist weltweit gefeiert und täglich in den Schlagzeilen. Generell dominieren umweltbezogene Themen die Berichterstattung. Krieg und systematische Ausbeutung ist in vielen Artikeln höchstens eine Randbemerkung. Also ist es kaum verwunderlich, dass der erste Aufschrei gegen Global Warming hetzt. Es ist von äußerster Wichtigkeit, im gleichen Atemzug den Kapitalismus, Profitgier und Ausbeutung zu erwähnen, die die Klimakrise überhaupt erst verursacht haben und am Welthunger schuld sind.

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