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„Wer Soziales will, muss internationalistisch aufgestellt sein“

Yücel Özdemir

Reiner Braun ist Geschäftsführer der IALANA Deutschland (Juristinnen und Juristen gegen atomare, biologische und chemische Waffen) und Co-Präsident des Internationalen Friedensbüros (IPB). Wir haben ihn Ende Mai auf dem NATO-Gipfel in Brüssel getroffen und mit ihm über die Perspektiven der Friedensbewegung gesprochen. Reiner Braun sagt, dass die Friedensbewegung zur Zeit Mobilisierungsschwierigkeiten hat, weil ein Generationsumbruch stattfindet und die Bewegung in vielen Fragen vor hohen Herausforderungen steht. „Sich neu einzustellen, ist manchmal nicht einfach“, so Braun.

Kann der Schwerpunkt für die außerparlamentarische Bewegung für die nächste Zeit die Aufrüstung sein?

Gesprochen wird über die Erhöhung für Rüstungsausgaben auf 2 % des Bruttoinlandsproduktes für jedes Land. Wenn man sich das für Deutschland anschaut, steigen die Ausgaben von 37 Mrd. Euro auf 69 Mrd. Euro. Das geht nicht ohne tiefe soziale Einschnitte. Das muss ein Mobilisierungsschwerpunkt der nächsten Jahre werden. Dies ist verbunden mit der Frage „Warum stehen Bundeswehrsoldaten in 14 Ländern dieser Welt?“ Das hat kein Frieden gebracht. Das bringt den Terror zu uns. Fremde Truppen in fremden Ländern ziehen Terror wie Magneten an. Und deswegen müssen wir dies überwinden und zu anderer Konfliktlösung kommen.

Bundeswehrsoldaten präventiv in fremden Ländern einsetzen“, wie von der Bundesregierung vorgeschoben, ist also eine falsche Politik?

Das ist zutiefst falsch. Erstens ist das unmenschlich, inhuman und völkerrechtswidrig. Seit wann ist es erlaubt, in fremde Länder einzumarschieren? Es ist aber auch kontraproduktiv. Je mehr Soldaten im Ausland, umso mehr Terror haben wir hier. Erinnern wir uns mal: Wir hatten 1989/90 in Afghanistan vielleicht einige Hundert, die wir Terroristen nannten. Heute haben wir in allein in Afghanistan Hunderttausend. Weltweit sicher über eine Million. Wir kreieren jeden Tag mehr. Mit jeder Drohne, die auf einer Hochzeitsgesellschaft oder Beerdigung Menschen umbringt, kreieren wir neue Kämpfer, die sich mit individuellem Terror rächen wollen.

Wie ist denn heutzutage das Interesse bei jungen Menschen für internationale Themen?

Zumindest sind hier und heute gegen den NATO-Gipfel viele junge Menschen. TTIP und CETA Demonstrationen im Herbst waren auch geprägt von jungen Menschen. Diese Generation hat es auch nicht einfach. Erstens ist sie bildungspolitisch neoliberal verseucht worden. Zweitens: Beruf und Ausbildung unter den Bedingungen von heute und Arbeiten neben dem Studium; das alles unter einen Hut zu bringen und gleichzeitig sich kritisch zu betätigen, das ist schon schwierig. Da haben wir es schon einfacher gehabt. Für mich war die Universität eine Institution mit Freiräumen, die ich nutzen konnte. Das gibt es nicht mehr. Also jede Generation muss ihren Weg zum Protest selber finden. Ich bin ganz zuversichtlich.

Können Menschen wie Trump oder Erdogan eine neue soziale Bewegung provozieren?

Diese Menschen sind natürlich nur Symbolfiguren für eine bestimmte Politik. Und alle beide sind für eine Politik des imperialen Eroberns, des Krieges, der Rüstung, undemokratischen Verhaltens. Absolute Sinnfiguren. Daher spitzen sich Konflikte durchaus mal über Personen zu. Ich finde aber, dass wir die Politik in den Mittelpunkt stellen sollten, für die sie stehen. Nämlich eine neoliberale. Globalisierung auf Kosten von Menschen oder eine nationalistisch-protektionistische Politik, die auch auf Kosten von Menschen geht. Dass wir das nicht wollen. Dass wir unsere Alternativen Gerechtigkeit, solidarische Beziehungen internationaler Art und eben Frieden in den Mittelpunkt stellen.

Wie kann die Friedensbewegung das alles mit dem wachsenden Rassismus in Europa verbinden?

Rechtpopulismus und Frieden ist relativ einfach zu verknüpfen, weil alle diese rechtsnationalen Parteien eine nationale Aufrüstung unterstützen. Das ist genau das Gegenteil von dem, was wir wollen. Rechtspopulismus und die soziale Frage ist zum Beispiel bei Le Pen nicht so einfach, weil sie eine große Bandbreite an sozialen Forderungen stellt. Da sind die FPÖ und die AfD einfacher, weil sie ein total neoliberales Konzept verfolgen.

Ich finde, dass wir deutlich machen müssen, dass, wer Soziales will, erst einmal internationalistisch aufgestellt sein muss. Das ist unsere Antwort auf den Versuch, soziale Fragen auf dem Rücken von Minderheiten lösen zu wollen. Das müssen wir viel stärker thematisieren. Wir müssen überzeugen. Wir müssen daran ansetzen, was die Menschen direkt tangiert; soziale Betroffenheit, ökologische Herausforderungen und manchmal ist es ein Gefühl „dass es so nicht weitergehen kann“ und dem müssen wir Artikulationsmöglichkeiten geben. Ganz niedrigschwellige Möglichkeiten zum Einstieg und Mitmachen. Nicht erst hohe Anforderungen stellen, was sie alles schon können müssen. Wir müssen wieder mehr an einzelnen Bedürfnissen und Problemen anknüpfen. Ich muss sagen, ich bin da auch sehr zuversichtlich. Wir haben in dem letzten halben Jahr die Rechtspopulisten schon zurück gedrängt. Sonst wären die letzten Wahlergebnisse nicht zu erklären. Wir haben in mehreren Ländern eine Zunahme von sozialen Protesten. Und darauf müssen wir aufbauen. Und wenn es solche internationalistischen Aktionen wie heute gibt, dann sind wir wahrscheinlich auf einem guten Weg. Man kann nicht sagen, dass wir von heute auf morgen Hunderttausende werden. Ich sehe, dass die Bereitschaft, Aktionen zu entwickeln und Proteste aufzubauen, größer wird. Und das müssen wir ausbauen.

Es steht demnächst eine weitere Aktion in Hamburg an. Gastgeber ist die deutsche Friedensbewegung. Was erwartet uns dort?

Also in Hamburg wird ein absoluter Höhepunkt der Aktionen werden. Eine große Demonstration und ein Gegengipfel gegen die G-20 werden im Mittelpunkt stehen. Wie groß das im Endeffekt wird, werden wir sehen. Auf jeden Fall wird das eine große und friedliche Demonstration für Frieden und Gerechtigkeit für alle. Von der Oma mit dem Enkel, bis zur Familie mit dem Kinderwagen; das wollen wir in Hamburg erreichen.

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