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„Wir haben es also mit einer neuen Art des Krieges zu tun“

Das Interview führte Sinan Köylü

Ignacio Ramonet ist spanischer Journalist, Medienwissenschaftler, Mitorganisator des Weltsozialforums und Ehrenpräsident von ATTAC. Er lebt und arbeitet in Frankreich. Wir haben ihn bei der Rosa-Luxemburg-Konferenz getroffen und mit ihm über die aktuellen Kriege gesprochen.

Aktuell erleben wir eine immer größere Verschärfung kriegerischer Konflikte in der Welt. Sind wir in Zukunft mit einer erhöhten Kriegsgefahr konfrontiert?

Seit Beginn des Ukrainekrieges scheint es so, als sei kriegerische Gewalt wieder offiziell legitimiert und stünde unter den Großmächten wieder auf der Tagesordnung.

Früher gab es Kriege hauptsächlich im Süden, welche oft Kriege zwischen nördlichen Großmächten gegen nicht-staatliche bewaffnete Akteure oder auch weniger entwickelte Staaten waren. Der Vietnam-Krieg, aber auch der Irak-Krieg, oder der Krieg gegen ISIS sind so eine Art von Krieg. Die meisten Kriege waren in den letzten 50 Jahren also Kriege zwischen Ungleichen. In der Regel eine nördliche Großmacht, im Bündnis mit den USA, die gegen eine nicht-staatliche bewaffnete Organisation oder gegen einen kleinen Staat Krieg führte.

Wenn wir jedoch wieder zum Ukrainekrieg zurückkommen: Das ist das erste Mal, seit dem Korea-Krieg, dass sich zwei militärisch ebenbürtige Großmächte, die NATO mit der Ukraine gegen Russland, gegenüberstehen. Wir haben es also mit einer neuen Art des Krieges zu tun. Das ist das Neue in diesem Zusammenhang der militärischen Gewalttätigkeiten.

Es ist so, als ob die militärische Gewalt, die seit 50 Jahren zwischen den Großmächten verboten war, nun wieder erlaubt wäre. Und in dieser Phase des Erlaubten fällt auch das Kapitel Gaza. Israel hatte bisher, obwohl es die Region dominierte, noch nie eine solche Zerstörung angerichtet wie bei der jetzigen Invasion von Gaza. Nicht einmal der Einmarsch in den Libanon 1982 führte zu so einem Grad an Zerstörung.

In Deutschland haben wir da eine ganz besondere Diskussion zum Gaza-Krieg. Hier wird viel über die Staatsräson geredet, man kann sich kaum kritisch äußern, wird mit Vorwürfen, wie dem so genannten israelbezogenen Antisemitismus verleumdet und gebrandmarkt. Wie ist denn die Diskussion in Spanien und Frankreich im Vergleich zu Deutschland?

Da gibt es kaum Unterschiede. Hier passiert das Gleiche wie in Deutschland. Das ist eine ganz schwierige Debatte. Viele Kritiker, die die israelische Politik und ihren Krieg gegen den Gaza-Streifen kritisieren, haben keinerlei antisemitische Neigungen. Es gibt aber auch andere Kritiker gegen Israel, die antisemitisch sind. Man hat also beide Strömungen.

Die linken Kräfte als Solche haben eine sehr klare Einstellung. Historisch ist die Linke nicht antisemitisch. Bei einer linken Kritik handelt es sich um eine Kritik an einem kolonialen Vorgehen, das hier angeklagt wird. Israel hat eine sehr komplizierte Entstehung, aber unbestreitbar hat Israel in seiner Gründung ein nationalistisches, religiöses und koloniales Element. Und für Israel ist es einfach, seine Kritiker als Antisemiten zu bezeichnen. Aber viele Länder, die von der Geschichte des Antisemitismus gezeichnet sind, offensichtlich Deutschland, aber auch Frankreich und die Niederlande, wo es also staatliche Judenverfolgung und Beteiligung am Holocaust gegeben hat, haben auch eine Prävention gegen jede Art des Antisemitismus, auch gegen solche Formen, die Kritik am Staat Israel für Antisemitismus missbrauchen. Also eine wirklich schwierige Debatte.

Die europäische und herrschende Debatte ist sehr bellizistisch geprägt. Brauchen wir Anti-Kriegsmedien von unten, die sich gegen diese Debatte stellen?

Wir sind an einem Zeitpunkt, wo der Krieg wieder eine Option für die herrschende Politik ist. Es gibt also eine Militarisierung, ausgehend vom Ukrainekrieg. Die meisten Länder Europas rüsten wieder auf, besonders Deutschland, aber auch der Rest der Welt. Die linken Kräfte wiederum sind und waren immer schon antimilitaristisch und für den Frieden. Und diesen Standpunkt müssen wir verteidigen. Was aber angesichts der antirussischen Propaganda sehr schwer ist, die proamerikanische Argumente verbreitet und von der „russischen Bedrohung für Europa spricht, so dass die öffentliche Meinung die Aufrüstung geradezu einfordert. Der antimilitaristische Diskurs wird also derzeit in einem schwierigen Umfeld geführt, mit einer sehr aufrüstungsfreundlichen Stimmung in der Bevölkerung, die durch Angst geleitet wird.

Du schreibst ja auch viel über Außenpolitik. Als türkischsprachige Zeitung interessiert uns deine Einschätzung der Rolle der Türkei im Gaza-Krieg.

Was die Position der Türkei im Gazakrieg angeht, so überrascht es sehr, dass muslimische Großmächte, wie die Türkei, Pakistan, Indonesien, geschweige denn Saudi-Arabien und Ägypten, sich sehr passiv verhalten. Objektiv gesehen reichten ja allein Ägypten, die Türkei und Pakistan, das eine Atommacht ist, aus, um eine Übermacht gegen Israel zu stellen. Trotzdem bewegen sich diese Großmächte nicht, sie reden nur, tun aber nichts. Das ist für uns eine Überraschung. Andererseits fürchten auch sie offenbar eine Ausweitung des Konfliktes, potentiell einen Weltkrieg, weil die USA Israel bis zum Schluss verteidigen würden. Aber das ist die Realität. Auch wenn diese Länder viel reden, tun sie nichts.

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