Written by 19:46 DEUTSCH

Wird die Regierung an der Krise scheitern?

Ahmet YAŞAROĞLU

“Es wird deutlich, dass wir viel kaufen konnten, als wir noch Geld hatten. Jetzt, wo wir das zurückzahlen müssen, beschweren wir uns.“ Dieses Zitat stammt von Binali Yıldırım, dem letzten Ministerpräsidenten, dem Ex-Parlamentspräsidenten und dem aktuellen OB-Kandidaten der AKP in Istanbul. Es bietet die Möglichkeit, die heutige Krise zumindest teilweise richtig einzuordnen.

Dabei spielt es keine Rolle, ob diese Aussagen bewusst getroffen wurde oder Ausdruck einer politischen Naivität war. Sie straft allerdings all die demagogischen Aussagen wie z.B. „Einsatz der Dollar-Waffe, Zwiebel-Terroristen, Verschwörung von Marktbesitzern gegen die Regierung“ etc. Lügen, mit denen Regierungsvertreter und ihre Sprecher die Krise von heute angeblich zu erklären versuchen.

Der große Dichter Nazım Hikmet hatte in einem seiner Gedichte dem Maler Abidin Dino die Frage gestellt: “Kannst du das Bild vom Glück malen, Abidin?“ Was in der Türkei von heute jedenfalls möglich ist, ist das Malen von Armut. Lange Schlangen von Menschen, die an städtischen Verkaufsstellen stundenlang für günstige Zwiebeln und Kartoffeln anstehen, die vor Arbeitsagenturen zu Hunderten um ein Dutzend Jobs konkurrieren, bieten dafür ausreichend Motive.

Nach letzten Zahlen des Statistikamts ging die Industrieproduktion um 9,8 % zurück. Der Import vom konstanten Kapital, der die starke Abhängigkeit in der Wirtschaft belegt, geht sehr stark zurück. In naher Zukunft wird der angekündigte Anstieg bei der Produktion ein Traum bleiben. Die Baubranche wird nicht nur immer kleiner, sondern auch durch den Einsatz vom ausländischen Kapital zu einem Anteil von 70 % zu einem der Hauptgründe der Krise.

Die staatlichen Auslandsschulden und Bürgschaften sowie die Auslandsschulden des Privatsektors belaufen sich inzwischen auf 500 Mrd. USD. Auch die Inlandsverschuldung steigt mit Riesenschritten. Das Handelsbilanzdefizit betrug in den letzten beiden Monaten 27,6 Mrd. Dollar. Kurzum: alle Anzeichen zeugen von einer immer tiefer werdenden Krise, deren Lasten auf die Bevölkerung aufgebürdet wird. Dass diese Lasten nach der Kommunalwahl noch schwerer werden, liegt auf der Hand. Preis- und Steuererhöhungen stehen bevor.

Die Frage ist, ob die Regierung an der schweren Wirtschaftskrise scheitern wird. Diejenigen, die diese Frage bejahen, verweisen als Begründung darauf, dass sich die klassischen bürgerlichen Parteien nach der schweren Krise von 2001 auflösten und die Regierung scheiterte. Man sollte jedoch nicht außer Acht lassen, dass damals unter den Bedingungen der Krise eine Parlamentswahl stattfand und die Bevölkerung ihren Unmut über die Folgen der Krise auf parlamentarischem Wege zum Ausdruck brachte. Hätte man damals die Wahlen nicht vorgezogen, hätte die Regierung auch weiter im Amt bleiben können.

Politische Erfahrungen zeigen uns, dass die heutige Situation für die Herrschenden nicht ausweglos ist. Dies belegen die Demagogie, wonach alle außer den Regierenden für die heutige Situation verantwortlich sein sollen, und in letzter Zeit getroffene Maßnahmen. Nur der Kampf der Massen kann die heutige Lage ändern. Die Krise lässt den Boden für diesen Kampf heranreifen. Die Krise ist eine Realität, die die Wut gegen die Herrschenden vergrößert und den Wunsch nach Kampf entstehen lässt. Wenn eine fortschrittliche, revolutionäre Opposition eine Arbeit leistet, durch die dieser Zustand zu ihrem natürlichen Ergebnis geführt werden kann, ist keine Kraft in der Lage, an der Macht bleiben und weiterherrschen zu können. Auch ohne sie kann es zu einem Machtwechsel kommen, dessen Früchte nur die etablierte bürgerliche Opposition sammelt.

Eine wichtige Rolle kommt hierbei den Kommunalwahlen Ende März zu. Diese Wahlen können nicht als „ein Termin, an dem lediglich neue Bürgermeister und nicht der Staatspräsident gewählt werden“, abgetan werden. Der Rückgang des Wahlergebnisses des Bündnisses der Regierungsparteien unter ihren Stimmenanteil bei der letzten Präsidentenwahl, der Ausgang der OB-Wahlen in İstanbul und Ankara werden in der nächsten Zeit die Haltung des Volkes und die innenpolitischen Entwicklungen bestimmen. Das Ergebnis der Kommunalwahlen kann also zu Erschütterungen und Verschiebungen beim derzeitigen Kräfteverhältnis führen.

Das Ganze hat nicht nur mit dem Stimmenanteil zu tun, den fortschrittliche und linke Kandidaten erreichen werden. Entscheidend ist, ob dabei die Wut, die sich gegen die Regierung richtet, entfesselt wird. In diesem Falle kann keine Regierung so weitermachen, als hätte sich nicht geändert. Politische Kämpfe haben objektive Regeln, die alle beeinflussen. Sie zu ignorieren bedeutet, dass man den politischen Kampf verfehlt. Das Volk hat nicht die Chance, den Kampf zu verfehlen und wird dementsprechend handeln. Wie es weitergehen wird, werden wir alle gemeinsam sehen.

Close