Written by 19:44 HABERLER

Das Gespenst Kurdistan

Yusuf KARATAŞ

Nach der Niederschlagung des Aufstands von Ağrı (Ararat) wird im September 1930 in der Zeitung Milliyet eine Karikatur abgedruckt. Darin wird der Berg Ararat wie ein Grab dargestellt und auf dem Grabstein steht: „Hier ruht der Traum von Kurdistan“ Wie in dieser Milliyet-Karikatur wurde damals die Niederschlagung des Aufstands in türkischen Medien als ein Sieg der jungen Republik gefeiert. Die Claqueure ignorierten damals, dass hinter dem Aufstand die Kurden steckten, die eine der beiden Stützen des Befreiungskampfs waren. Aus diesem Kampf ging die Republik hervor, die die Existenz und nationale Rechte der Kurden leugnete.

In denselben Medien konnte man 90 Jahre nach der Niederschlagung des Aufstands folgendes lesen: “Der Oberstaatsanwalt am Obersten Gerichtshof, Mehmet Akarca, erklärte, gegen vier Parteien, die in ihrem Namen die Bezeichnung “Kurdistan” führen (Demokratische Partei Kurdistan in der Türkei, Sozialistische Partei Kurdistans, Freiheitspartei Kurdistans und Kommunistische Partei Kurdistans), seien beim Verfassungsgericht Verbotsverfahren eröffnet worden.” Der Traum, den man vor 90 Jahren begraben hatte, lebte also aus Sicht der Herrschenden als ein Albtraum, als ein Gespenst weiter.

Das Verbotsverfahren gegen die vier Parteien liefert eigentlich den Beleg dafür, dass die AKP-Erdoğan-Macht, die man in der kurdischen Frage angeblich als „anders als ihre Vorgänger“ hielt, an dem Standpunkt von vor 90 Jahren angelangt ist.

Die AKP-Erdoğan-Herrschaft hatte noch vor dem „Öffnungsprozess“ in den Jahren 2013-15 bereits im Zeitraum 2009-11 einen anderen „Öffnungsprozess“ eingeleitet. In diesem Rahmen wurden einerseits kurdische Politiker, darunter Bürgermeister verhaftet. Andererseits versuchte man, anstelle der kurdischen Bewegung einflussreiche und von der Gülen-Bewegung angeführte religiöse Strukturen zu installieren, was von einigen symbolischen Schritten in der kurdischen Frage flankiert wurde. Um ihre Politik der „Öffnung“ zum Erfolg zu führen, ging man noch weiter. Kurdische Politiker im Ausland, die im Widerspruch zur Linie Öcalans standen und Zwist mit legalen Organisationen wie DBP-DTK hatten, wurden in die Türkei geholt und ermutigt, ihre eigene Partei zu gründen. Der Bekannteste unter ihnen war zweifellos Kemal Burkay. Burkay hatte erklärt, er sei persönlich von Regierungsvertretern angerufen und zur Rückkehr in die Türkei aufgerufen worden. Bei seiner Landung am Istanbuler Flughafen hatte ihn der damalige Vize-Gouverneur Ahmet Aydın empfangen. Später wurden jedes Mal, wenn die Herrschenden die kurdische Nationalbewegung durch Vertreter aus ihren eigenen Reihen kritisieren wollten, Burkay und seine Nachahmer auf die Bühne geholt.

Interessanterweise redeten die von den Herrschenden geförderten Parteien einer Föderation oder der Unabhängigkeit das Wort, während die BDP- bzw. (HDP)-DTK-Linien eine Lösung auf der Grundlage einer „Demokratischen Autonomie in einem gemeinsamen Heimatland“ propagierte. Denn der Regierung ging es nicht darum, was sie vertraten. Vielmehr kümmerte sie sich darum, ob diese Kräfte die kurdische Bewegung aus ihrer Mitte heraus spalten oder schwächen konnten.

Sicherlich ist damit nicht gesagt, dass ich mich gegen die Gründung von verschiedenen kurdischen Parteien stelle. Ganz im Gegenteil: jede politische Gruppierung hat das Recht auf ihre eigenen politischen Ansätze. Und eine der größten Schwächen der kurdischen Bewegung besteht heute darin, dass es in ihren Reihen keine wirksame und konsequente Opposition gibt. In einer Zeit, in der die HDP dafür kritisiert wird, zu einer Partei der Mittelklassen zu werden und der Arbeiterbewegung nicht die Räume zu eröffnen, ist es notwendiger denn je, eine Politik zu verfolgen, die sich an den Interessen der Arbeiterklasse orientiert.

Folglich richtet sich meine Kritik gegen die AKP-Erdoğan, die darauf spekuliert, kurdische Gruppen gegeneinander auszuspielen und bei der Lösung der kurdischen Frage die Initiative zu ergreifen. Sie richtet sich sicherlich auch gegen Politiker wie Burkay, die keine Bedenken dagegen haben, sich für vor den Karren der Herrschenden spannen zu lassen.

Allerdings ist die AKP-Erdoğan-Herrschaft, in die man große Hoffnungen gesetzt hatte, an dem Standpunkt von vor 90 Jahren angelangt. Und die von Verbot bedrohten Parteien erklären dies damit, dass die Politik der nationalistischen MHP sich in AKP-Reihen durchgesetzt hätte. Also selbst in ihren Erklärungen bezüglich des Verbotsverfahrens sind diese Parteien bemüht, die AKP- und Alleinherrschaft von Erdoğan von jeder Verantwortung reinzuwaschen. Das macht auch deutlich, warum sie sich kurz vor der Kommunalwahl nicht dem Bündnis der kurdischen Parteien anschließen wollen.

Fazit: Die Machthaber beharren auch heute auf dem Fehler, den man seit 90 Jahren begeht. Sie glauben immer noch, dass das Problem durch Parteiverbote begraben werden könne. Je länger sie auf diesem Fehler beharren, umso länger wird ihnen das totgeglaubte Gespenst keine Ruhe geben.

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