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Wird Werbekampagne Pflegenotstand beseitigen?

Insgesamt 111 Maßnahmen haben die Bundesministerien für Gesundheit, Familien und Arbeit beschlossen, um mehr Menschen für eine Pflegeausbildung zu gewinnen. Die Minister Jens Spahn (CDU), Franziska Giffey und Hubertus Heil (beide SPD) verkündeten in einer gemeinsamen Presseerklärung eine „Ausbildungsoffensive Pflege“ an. Unter anderem versprachen sie, die Zahl der Pflegeazubis bis 2023 um zehn Prozent zu erhöhen. Hört sich gut an, aber auch nur „hört“. Denn, wenn man bedenkt, dass die Einrichtungen in der Krankenpflege im Zuge des Umbaus zum Wettbewerbssystem zwischen 1998 und 2007 zunächst über 10.000 Ausbildungsstellen gestrichen hatten und diese in der Zeit drauf mühsam wieder einführten, läuft das fast auf eine Nullrunde hinaus. Inzwischen ist das alte Niveau zwar wieder erreicht, doch dadurch, dass die Zahl und Schwere der Behandlungsfälle, der demographische Wandel und die Unzufriedenheit der Pfleger und Schwestern mit ihren Arbeitsverhältnissen in den vergangenen 20 Jahren dramatisch gestiegen sind, können die angekündigten 10 Prozent nur ein müdes Lächeln hervorrufen.

Vor allem ist die Zahl der beschlossenen Ausbildungsverträge nur einer von vielen Aspekten. Was nutzt es, wenn junge Menschen eine Ausbildung zur Pflegekraft beginnen, aber noch vor dem Abschluss frustriert aufhören oder ausgesiebt werden, weil die Rahmenbedingungen des Jobs nicht stimmen? In der Altenpflege bricht jeder Vierte vorzeitig ab, in der Krankenpflege fast jeder Dritte. Die harten Bedingungen, der emotionale und körperliche Stress, die miese Bezahlung sind durchaus Faktoren über die Pflegeazubis sowie Ausgebildete oft klagen: Keine Zeit für praktische Anleitung, unzureichende Verknüpfung von Theorie und Praxis, Missbrauch als billige Arbeitskräfte und Lückenbüßer. Wenn Kollegen in einer Nachtschicht ganz alleine eine ganze Station schmeißen müssen, hört der Spaß spätestens dann auf, wenn unerwartete medizinische Notfälle eintreffen. Nicht selten spaßen Langzeitpatienten in Krankenhäusern untereinander: Bloß nicht Nachts als zweiter einen Anfall bekommen, denn eine Schwester kann nicht an zwei Orten gleichzeitig da sein!

Die geplante Informations- und Öffentlichkeitskampagne für den Pflegeberuf wird sicherlich interessant. Gute Werbung wäre es, so Verdi-Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler am Montag in einer Mitteilung, wenn Auszubildende und Beschäftigte den Pflegeberuf selbst weiterempfehlen würden. Doch damit sie das tun, muss sich Grundlegendes ändern – vor allem bei den Arbeitsbedingungen und den Löhnen. Voraussetzung dafür ist, dass entweder mehr Personal eingesetzt oder die Leistungen reduziert werden. In der Alten- und Krankenpflege sind verbindliche gesetzliche Personalvorgaben nötig. Die anstehende Tarifrunde der Länder, wo es auch um Landes- und Universitätskliniken geht, könnten der erste Schritt sein, um die Pflegeberufe in allen Ebenen aufzuwerten! Wenn examinierte Altenpflegekräfte in Vollzeit zum Teil nicht mehr als 2.000 Euro im Monat verdienen, braucht man sich über fehlende Fachkräfte nicht wundern. Die von der Bundesregierung versprochene flächendeckende Tarifbindung muss hier schnellstmöglich umgesetzt werden. Und für die Krankenpflege fordert Verdi in der Tarifrunde der Länder und auch bei Bund und Kommunen zusätzlich 300 Euro monatlich mehr. Wie gesagt, der erste Schritt für eine längst fällige Aufwertung!

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