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‚Wollt ihr euch mit ZARA anlegen?‘

ZARA Filiale in Stuttgart wählt erstmals einen Betriebsrat

Sidar Carman

Rund drei Millionen Beschäftigte zählt der Einzelhandel in Deutschland. Sie arbeiten im Lager, an der Kasse, sortieren die Ware, richten den durcheinander gewühlten Verkaufstisch wieder her, gestalten die Schaufenster, beraten die Kunden, füllen die Regale auf, bringen den Berg von Kleidern vor den Umkleidekabinen wieder an die Richtige stelle. Vor zwanzig Jahren arbeitete die Mehrzahl der Beschäftigten noch in Vollzeit – heute ist nur noch gut ein Drittel der Beschäftigten im Einzelhandel in Vollzeit beschäftigt. Rund 63 %, je ein Drittel arbeitet in Teilzeit oder als Minijobber. Stress ohne Ende und kaum Zeit zum Luftholen. Übrig bleibt dann meist nur ein gehetztes „Schönen Tag noch!“

Gewinne! Gewinne! Was kümmern mich die Arbeiter?

ZARA ist ein Textilunternehmen und eine Tochtergesellschaft des spanischen Inditex-Konzerns, das heute der größte Modekonzern der Welt ist. Ihr milliardenschwerer Gründer Amancio Ortega zählt zu den reichsten Menschen der Welt. Zur Handelskette gehören u.a. Marken wie Zara, Zara Home, Massimo Dutti, Pull & Bear und Bershka. Dabei gehört ZARA zur bekanntesten Produktions- und Verkaufskette des Inditex-Konzerns, der 2015 weltweit etwa 150.000 Mitarbeiter beschäftigte. Und dies unter schlimmsten Verhältnissen. Regelmäßig gelangt der Modekonzern zurecht wegen seiner ausbeuterischen Produktionspolitik in die Schlagzeilen. 2013 organisierte sich in Argentinien ein Aufstand gegen den Konzern, weil er einen großen Teil seiner Ware in versteckten Nähereien von Arbeitssklaven anfertigen ließ. 2016 berichtete BBC über die Ausbeutung von syrischen Flüchtlingskindern in türkischen Textilfabriken, die u.a. für ZARA produzierten. Kinderarbeit, 12-Stunden-Tag, miserabler Arbeits- und Gesundheitsschutz (siehe Textilfabrik-Brände in Bangladesch) und Hungerlöhne sind die dunkle Kehrseite einer Branche, die durch Hochglanzbilder der Modelabels ausgeblendet werden.

Raue Sitten, verfügbare Arbeitskraft, Druck gegen Betriebsräte

ZARA will Gewinne um jeden Preis – und deswegen dürfen aus Sicht des Konzerns die Personalkosten nicht weiter steigen. Dies ist auch die Strategie in Deutschland. Um im Einzelhandel nach Vollzeitstellen zu finden, braucht es immer mehr eine Lupe. So ist es auch bei ZARA mittlerweile sehr schwierig, in Vollzeit zu arbeiten. Schon gar nicht von Anfang an, denn ZARA stellt fast ausschließlich nur 15 und 20/25 Stunden-Kräfte ein. Vollzeitkräfte werden ersetzt durch flexible, schnell verfügbare Arbeitskräfte. Etliche, einfache Tätigkeiten hat der Konzern ausgelagert, so werden die Regale in vielen Filialen heute von Werkverträglern bestückt. Doch damit nicht genug. Mobbing oder Einschüchterung gegenüber Beschäftigten gehören ebenso auf die Tagesordnung wie die willkürliche Abmahnung und Behinderung der Arbeit von Betriebsräten.

„Pass auf, dass du nicht gekündigt wirst“

In einer Stuttgarter ZARA-Filiale wurde in den vergangenen Wochen erstmals ein fünf-köpfiger Betriebsrat gewählt. Eigentlich ein normaler Vorgang sollte man meinen. Nein, war es nicht. Die Wochen nach der Bestellung des Wahlvorstands bis zur Wahl waren schwierig und kräfteraubend. Deutschlandweit gibt es nur wenige Betriebsräte bei ZARA. D.h. wir befinden uns in einem Betrieb, in der eine BR-Gründung auch eine Frage des Muts ist. Vier junge Frauen hatten ihn und wie!

Sinem* ist 31 Jahre, sie arbeitet seit drei Jahren in der Filiale. Die alleinerziehende Mutter hat eine 15-Stunden-Arbeitswoche. Meryem* ist 28 Jahre alt und begann nach dem Berufskolleg vor vier Jahren bei ZARA zu arbeiten. Sie gehört zu den wenigen, die eine Vollzeitstelle haben. Mehtap* ist 33 Jahre alt und arbeitet 25-Stunden in der Woche. Die ehemalige Einzelhandelskauffrau hatte es vor Jahren in der Produktion versucht, doch der Weg führte sie wieder zurück in den Verkauf. Aylin* ist die jüngste. Sie ist 26 Jahre alt und arbeitet wie Mehtap 25-Stunden in der Woche.

„Es war einfach höchste Zeit, dass wir einen Betriebsrat gründen. Überstunden ohne Ende, keine Struktur, keine Regel, der Arbeitgeber macht, was er will. Klar, das war nicht schwer, weil wir auch unsere Rechte nicht wussten, haben wir uns nicht wehren können.“ fasst Meryem kurz den Antrieb für ihre Entscheidung zusammen. Mehtap fügt hinzu: „Ich hatte in einem Monat 50 Überstunden. Wir werden gefragt, ob wir länger arbeiten wollen. Doch wir hatten Angst „nein“ zu sagen.“ Kein Einzelfall.

Der Unmut wurde größer. In den Pausen entstanden erste Gespräche über die Zustände, die geändert werden mussten. „Wir waren unzufrieden“, so Sinem. Es dauerte eine Zeit bis sich genügend Kandidatinnen für den Wahlvorstand gefunden hatten. Doch sie schafften es.

„Mein Vater hat mir dann gesagt: Wollt ihr euch mit ZARA anlegen? Gewerkschaft, Betriebsrat – das war zuhause nie ein Thema. Meine Eltern wissen nichts darüber. Meine Mutter hat mich aber unterstützt. Sie meinte, dass wir wüssten, was wir tun. Und dann auch war mein Papa still“, erzählt Aylin lachend und fügt hinzu: „Meine Mutter meinte noch: Pass auf, dass du nicht gekündigt wirst. Und das ist nicht passiert.“

„Bei mir war es ähnlich. Ich habe meinem Bruder von der Betriebsratswahl erzählt. Er wünschte mir viel Glück, doch er meinte, das wird schwer“. Auch Meryem und Sinem bestätigen: Freunde und Familie fanden die Idee einen Betriebsrat zu gründen, gut. „Jeder Betrieb braucht einen Betriebsrat – ist doch klar“, ruft Meryem in unsere Gesprächsrunde rein. Die Wochen bis zur Wahl waren anders als klar. „Es war sehr stressig, der Druck war heftig. Es war jedes Mal ein Kampf für unsere Sitzungen freigestellt zu werden. Auf einmal war einiges nicht möglich, was aber davor noch ging. Beispielsweise wurden wir in andere Schichten geplant oder wir konnten unsere freien Tage nicht mehr tauschen. Doch ich bin sicherer geworden und kann damit anders umgehen“ erzählt Sinem weiter. Nun wollen sie ernst genommen werden. Als Betriebsrat. Denn, so sagen sie einstimmig: „Wir sind keine Freunde von den Managern, auch wenn sie (nach der Wahl wieder) versuchen, so zu tun, als wären wir es. Wir vertreten unsere Kolleg*innen gegenüber den Managern und Vorgesetzten.“

(*Die Namen wurden von uns geändert)

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