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Zehn Jahre NSU – Kein Schlussstrich

Gamze Karaca

Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch – wie allgegenwärtig dieser Satz von Bertolt Brecht ist, zeigen uns eine Reihe von rechten Anschläge der vergangenen Jahre, die vielen Menschen das Leben kosteten und Angst verbreiteten.

Zu dieser Reihe gehören auch Morde und Anschläge, die vom NSU-Komplex verübt wurden. Komplex deshalb, da all diese Taten ohne Unterstützung eines großen rechten Netzwerks nicht realisierbar gewesen wären. Aber angeklagt und verurteilt wurden nur Wenige. Nun jährt sich das Auffliegen des NSU zum zehnten Mal, mit dem eine jahrelange Kriminalisierung der Opfer und Hinterbliebenen seitens der Behörden und Medien vorerst ihr Ende fand, allerdings damit auch eine Odyssee voller ungeklärter Fragen und Hintergründe begann.

Am 4. November 2011 begingen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in ihrem Wohnmobil in Eisenach mutmaßlich Selbstmord, nachdem sie bei einem Banküberfall einem Zeugen aufgefallen waren, der die Polizei alarmierte. Zschäpe legt wenige Stunden später einen Brand in ihrer letzten Unterkunft, um sämtliche Beweismaterialien zu vernichten. Nachher verschickt sie mehrere Bekenner-DVDs, in denen sehr detailliert die Morde ihrer Opfer gezeigt werden. Dadurch wird der NSU zwar bekannt – doch von einer lückenlosen Aufklärung fehlt auch nach zehn Jahren jede Spur. 

Opfer werden zu Tätern erklärt

Ein Grund, weshalb der NSU ungehindert morden konnte, war definitiv der, dass die Ermittlungen bewusst oder unbewusst in die falsche Richtung  geführt wurden: Die Sicherheitsbehörden ermittelten im Umfeld der Opfer und Angehörigen. Es reichte nicht, dass Ehefrauen und Kinder nach dem ersten Trauma, dem Verlust ihres Ehegatten oder Vaters, alleine gelassen wurden, jahrelang wurden sie oder weitere Familienmitglieder ohne Beweisgrundlage der Lüge bezichtigt und zu Tätern oder Mittätern erklärt. Dass bis 2007 zehn Menschen mit derselben Waffe ermordet wurden, war nicht Anlass genug, Rassismus als mögliches Tatmotiv zu sehen. Aber nicht nur die Behörden versagten, sondern auch die Medien, die unkritisch den Mutmaßungen der Behörden folgten und mitunter dafür verantwortlich sind, dass die Spekulationen der organisierten „Ausländerkriminalität“ weiterverbreitet werden konnten. Dies wurde vor allem durch die Bezeichnung der Morde als ,,Döner – Morde“ deutlich und sollte suggerieren, das sowohl Opfer als auch Täter aus einem bestimmten Milieu stammten.

Was machen die Unterstützer heute?

Zwei Jahre nach der Enttarnung des NSU begann das „Mammutverfahren“. 2018 nahm der Prozess mit ernüchternden Urteilen sein Ende. Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe wurde vom Oberlandesgericht München mit besonderer Schwere der Schuld zu lebenslanger Haft verurteilt. Ralf Wohlleben erhielt wegen Beihilfe zum Mord zehn Jahren Haft und André Eminger eine Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren, da er mit seiner Unterstützung die Taten mitunter ermöglichte.

Die Urteile haben die Angeklagten nicht akzeptiert, weshalb eine Revision folgte, die im August 2021 vom Bundesgerichtshof zurückgewiesen wurde und somit die Urteile seither rechtskräftig sind. Im Fall von Eminger wird es am 2. Dezember 2021 eine Hauptverhandlung geben, da die Bundesanwaltschaft eine höhere Strafe für ihn fordert.

Ralf Wohlleben ist seit Prozessende aus der Untersuchungshaft entlassen. Er ist derjenige, der die Česká-Waffe besorgte, mit der die zehn Morde des NSU vollzogen wurden. In der rechten Szene wird er als Held gefeiert, weil er während des Prozesses nichts preisgab. Er pflegt bis heute Beziehungen zu der Thüringer Neonazi-Szene. Weiter wird wegen Geldwäsche, Waffen- und Drogenhandel ermittelt, an denen Wohlleben beteiligt gewesen sein soll. Es ist deutlich, dass sich Wohlleben in keiner Form von der rechten Szene gelöst hat. 

Auch André Eminger war einer der wichtigsten Unterstützer des NSU. Er genießt ebenfalls ein hohes Ansehen innerhalb der rechten Szene, der er bis heute die Treue hält. Aufnahmen von ihm auf Nazi-Konzerten oder die symbolischen Kennzeichen seines  Autos und Motorrads A8 und 18 für Adolf Hitler sind eindeutige Beweise, dass er nichts bereut.

Kein Vertrauen in den Verfassungsschutz 

Die Rolle des V-Mannes Andreas Temme gehört zu den offenen Fragen hinsichtlich der Aufarbeitung der Mordserie. Temme war während der Ermordung von Halit Yozgat in seinem Internetcafé und will von der Tat weder etwas gesehen noch gehört haben. Der Fall Andreas Temme, das Schreddern von Akten unmittelbar nach dem Auffliegen des NSU und der Verschluss der Akten für mehrere Jahrzehnte lässt eine Verstrickung des Verfassungsschutzes stark vermuten, hält sie doch wesentliche Informationen zurück, die zur lückenlosen Aufklärung des Komplexes beitragen würden. Der derzeitige Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, bestätigte zwar, dass nicht alle Fragen geklärt wurden, hält allerdings eine Wiederholung solch einer Mordserie für unmöglich. Eine derartige Aussage vor dem Hintergrund von München, Kassel, Halle und Hanau zu treffen, ist nicht nur ignorant, sondern auch sehr gefährlich, ignoriert sie doch den Umstand, dass rassistische Gewalt innerhalb dieses Landes allgegenwärtig ist und sich unterschiedlich äußert.

Kein Schlussstrich!

Der Blick auf die bisherige Aufarbeitung zeigt vor allem eines: es besteht auf staatlicher Ebene keinerlei Interesse an einer lückenlosen Aufklärung rechter Strukturen innerhalb dieses Landes, was wiederum verdeutlicht, dass es absolut keinen Schlussstrich geben darf! Weder bei der Forderung um eine lückenlose Aufklärung noch bei dem Kampf gegen Rassismus und rechten Terror. Für die Hinterbliebenen und vor allem für all jene, die dem rechten Terror zum Opfer fielen, müssen wir eine solidarische Gesellschaft schaffen, die nur gemeinsam erreicht werden kann!

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