Written by 08:00 HABERLER

Zehnte türkisch-deutsche Literaturtage in Nürnberg

Alev Bahadir / Nürnberg

Vom 22. – 24. November fanden die 10. Türkisch-deutschen Literaturtage in der Nürnberger Villa Leon statt. Die Literaturtage gehören seit vielen Jahren zum festen Repertoire in der Nürnberger Kulturlandschaft. Alle zwei Jahre wird der Saal des Kulturladens Villa Leon in eine riesige Bibliothek verwandelt und das gutgefüllte Programm ausgiebig besucht, sowie die freie Zwischenzeit für Bücherkäufe genutzt.

Stimmen aus dem Gefängnis / Parmaklıklar Ardından

Die Vorbereitungen für die Literaturtage haben bereits ein Jahr im Vorfeld begonnen. Im Vorbereitungsteam sind Aktive vom Veranstalter Junge Stimme e.V. und je eine Vertreterin bzw. ein Vertreter der Kooperationspartner, also der Stadtbibliothek, dem Amt für Kultur und Freizeit – Interkulturbüro und von der Veranstaltungsstätte Villa Leon. Diese Vorbereitungsgruppe plant die Literaturtage von A bis Z. Vom Motto bis zur Auswahl der Musikgruppe für die Eröffnung ist alles dabei.

Die gemeinsamen Ziele: 1. einen kostenfreien Zugang zu Literatur schaffen. Denn, dass der Besuch von Lesungen nichts kostet, ist eher die Ausnahme als die Regel. So aber nicht bei den Literaturtagen, wo keine der Lesungen Eintritt kostet, damit jeder – unabhängig von der finanziellen Situation – daran teilnehmen kann.

2. Den Menschen Türkeibezogene Literatur näherbringen und zwar zweisprachig. Die Faustregel für die Lesungen ist: es muss einen Bezug zur Türkei haben, schließlich ist es vor allem für Türkeistämmige aufgrund von Sprachbarrieren oder finanziellen Problemen schwieriger, einen Zugang zu Literatur und Kultur zu bekommen. Da jedoch eine Begegnung und der Austausch stattfinden sollen, werden für die Lesungen fast nur Autoren eingeladen, deren Werke auch auf Deutsch verfügbar sind. Auch die Lesungen werden in zwei Sprachen durchgeführt.

3. Die politischen Themen der Werke in den Vordergrund rücken. Literatur soll uns nicht nur belustigen oder vor Spannung packen. In vielen Fällen ist es der einzige Weg für den Autor oder die Autorin ihre Meinung oder Situation nach außen zu tragen. Besonders in diesem Jahr, wo das Motto „Stimmen aus dem Gefängnis“ war.

So machte Eylem Gün, Vertreterin von Junge Stimme e.V. auf die politische Lage und die Message der Autorinnen und Autoren aufmerksam: „Es sind besondere Stimmen, die von den diesjährigen Literaturtagen klingen werden. Sie sind teils schwer, durch das Gewicht ihrer Geschichten, die sie tragen. Teils sind sie aber auch so beeindruckend, voller Kraft, Klugheit und Hoffnung. Eins haben sie gemeinsam: trotz Haft, trotz Folter, trotz Verfolgung, ihre Stimmen, ihre Worte bleiben unbeugsam und laut“. In ihrem Grußwort machte Elisabeth Sträter, Direktorin der Stadtbibliothek, nochmal auf die Einzigartigkeit des Programms und die Notwendigkeit der Literaturtage aufmerksam.

Madonnas letzter Traum, Dogan Akhanlı

Die erste Lesung fand bereits am gleichen Abend der Eröffnung statt. Gemeinsam mit Susanne Schneehorst von der Stadtbibliothek tauchte Doǧan Akhanlı in seinen Roman „Madonnas letzter Traum“ ein. Dabei spinnt er die Geschichte aus „Madonna im Pelzmantel“ von Sabahattin Ali, einem der größten Schriftsteller der Türkei, weiter und baut Ali selbst als Protagonisten in seine Geschichte ein. Doǧan Akhanlı ist heute vor allem aufgrund seiner Verhaftung in Spanien bekannt. Dort hatte ihn die spanische Polizei 2017 aufgrund eines türkischen Haftbefehls festgehalten. Der Fall sorgte für einen großen Aufschrei darüber, inwiefern die türkische Regierung politische Gegner auch außerhalb ihrer Grenzen weiterverfolgen kann und in welche Rolle sich Staaten, die dabei mitmachen, begeben. Nichtsdestotrotz drehte sich das Autorengespräch während der Lesung mehr um Sabahattin Ali, sein Werk und Madonnas letzten Traum.

Istanbul, Istanbul, Burhan Sönmez

Die erste Lesung des Samstagnachmittags war eine von Autoren, die nicht vor Ort sein konnten. So lasen Nürnbergerinnen und Nürnberger, sowie Dogan Akhanlı aus den Werken von Can Dündar, Nazım Hikmet oder Selahattin Demirtaş usw. Alles Schriftsteller, die aufgrund ihrer politischen Meinung im Gefängnis saßen oder sogar noch sitzen.

Am Abend lasen Burhan Sönmez und die Übersetzerin des Buches, Sabine Adatepe, aus Istanbul, Istanbul. In dem Roman erzählt Sönmez die Geschichte von vier Männern, aus deren Perspektive abwechselnd erzählt wird. Die Männer teilen sich eine Zelle und bringen einander zwischen den Folterstunden Hoffnung und Mut durch Geschichten, die sie sich gegenseitig erzählen. So enthält das Buch viele schöne und witzige Anekdoten. Ähnlich verlief das Gespräch zur Lesung. In einem Mix aus Humor und Ernsthaftigkeit wurden die Probleme von Autoren im Gefängnis, Sönmez‘ Liebe zu Bibliotheken und der langwierige Prozess des Schreibens eines Romans besprochen.

Das Haus aus Stein, Aslı Erdogan

Nach dem literarischen Frühstück am Sonntagvormittag, war die erste Lesung des Tages mit der bekannten Autorin Aslı Erdoǧan geplant. Diese musste jedoch kurzfristig ausfallen, da Aslı Erdoǧan aufgrund ihres Gesundheitszustandes nicht kommen konnte. Trotzdem zeigten sich alle Besucher verständnisvoll und das Alternativprogramm war gut besucht. Dies bestand aus einer ca. 30-minütigen Dokumentation, in der nochmal deutlich wurde, wie sich Aslı Erdoǧan stets gegen die Ungerechtigkeit, die sie mitansehen oder am eigenen Leib erleben musste, wehrte. Es folgte eine kurze zweisprachige Lesung aus ihrem Buch „Nicht einmal das Schweigen gehört uns noch“.

Im Anschluss folgte die letzte und einzige ausschließlich türkischsprachige Lesung der Literaturtage. Für diese war Latife Tekin mit ihren beiden in 2018 erschienen Romanen „Manves City“ und „Sürüklenme“ zu Gast. Die Autorin ist vor allem dafür bekannt, in ihren Werken der Gesellschaft einen Spiegel vorzuhalten. So beschreibt sie in „Manves City“ das Leben eines frisch aus der Haft entlassenen Mannes, der in seine Heimatstadt zurückkehrt und feststellen muss, dass nichts mehr so ist, wie es zuvor war.

Die Literaturtage waren die vollen drei Tage über gut besucht. Die Taschen voller Bücher verabschiedeten sich die Teilnehmer und erwarten bereits die nächsten türkisch-deutschen Literaturtage im Jahr 2021.

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