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26. Kasseler Friedenspolitischer Ratschlag

Eren Gültekin

Erneut drangen Besucher zwischen dem 7. und 8. Dezember zum Friedenspolitischen Ratschlag an die Kasseler Universität. Dieses Jahr nahmen rund 500 TeilnehmerInnen an der Veranstaltung teil, das seit 1994 stattfindet. Eingeladen hatte der Bundesausschuss Friedensratschlag, das Kasseler Friedensforum und die Fachgebiete Didaktik der politischen Bildung sowie Globalisierung und Politik des FB 05 der Universität Kassel. Wie jedes Jahr begann die Konferenz am Samstag mit dem Grußwort und einem Eröffnungsinput. Diese eröffnete Anne Rieger, Bundessprecherin des Friedensratschlags. „Ich freue mich sehr, dass wir hier in so großer Zahl zusammen gekommen sind, denn wir werden dringend gebraucht. NATO, EU, die deutsche Regierung rüsten hier immer intensiver auf, der Weltraum ist als zusätzliches Kampffeld vorgesehen. Mit jährlich 50 Mrd. Euro wird allein in Deutschland die Rüstung künftig vorangetrieben, im Interesse der Eigner von Banken, Großkonzernen und Rüstungsbetrieben.“ so Rieger in ihrer Rede.

Ebenso wurde auf die staatlichen Angriffe auf die Vereinigung der Verfolgten des Nazi Regimes, Bund der AntifaschistInnen (VVN-BDA) und über die Streichung ihrer Gemeinnützigkeit gesprochen und betont, dass dies ein Versuch sei, das friedenspolitische und antifaschistische Engagement mundtot zu machen. Anschließend sprachen Prof. Dr. Christoph Scherrer (Leiter des Fachgebiets „Globalisierung und Politik“) zum Thema „Handelskriege und neue Kriegsvorbereitungen der USA“, Frau Dr. Margot Käßmann (ehemalige Landesbischöfin der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannovers) zum Thema „Frieden entwickeln – Krieg verhindern“, Prof. Dr. Norman Paech (Professor für Politische Wissenschaften und ehemaliger außenpolitischer Sprecher für die Linke im Bundestag) zum Thema „Das Atomwaffenverbot der UNO durchsetzen“ , sowie Andrea Kocsis (stellvertretende Bundesvorsitzende der Verdi) über „Abrüstung und Soziales“.

Auch wurden an diesem Wochenende zwei Resolutionen angenommen: Gegen das Nato-Kriegsmanöver „Defender2020“ und zur Beteiligung der Türkei und Deutschlands am Krieg in Syrien. Eines der Forderungen waren: das sofortige und vollumfängliche Waffenembargo der deutschen Bundesregierung gegen die Türkei, das Einfrieren der Hermes-Bürgschaften für die Türkei, Investitionen deutscher Unternehmen in die Türkei zu stoppen und die Durchsetzung von Sanktionen gegen die türkische Staatsführung.

In Laufe dieser zwei Tage gab es mehrere Workshops die von PolitikerInnen, JournalistInnen, WissenschaftlerInnen und VertreterInnen der Friedensbewegung geleitet und gemeinsam mit den TeilnehmerInnen diskutiert wurden, einige dieser Workshops waren: „Wie bringen wir Frieden und Umwelt zusammen?“, „Entmilitarisierung der Sicherheit“, „Russlands Rolle in der Welt – Innen und Außenpolitik“, „Die neue Monroe-Doktrin und die Situation in Lateinamerika“.


‚Wir müssen auf die jungen Leute zugehen!‘

Wir haben auf dem Friedensratschlag mit Anne Rieger, der Bundesprecherin über Frieden und die Friedensbewegung sprechen können.

26 Jahre Friedenskonferenz in Kassel. Was sagen Sie dazu?

Ich bin immer wieder erstaunt, dass die Menschen kurz vor Weihnachten diesen langen Weg auf sich nehmen und knapp 500 Leute da waren. Es gibt heftige Diskussionen und sehr gute Referate im Öffnungsplenum mit vielen Experten. Ich selber habe einen Workshop über Rüstungskonversion übernommen. Wir hatten auch das Thema Rüstung und Nachhaltigkeit, was ich hochinteressant fand. Das sind sehr gute Argumente, die uns hier beim Friedensratschlag geliefert werden. Positiv ist auch, dass man sich vernetzen kann und immer wieder neue Leute kennenlernt, die man sonst nicht so sieht. So gut das Internet auch ist – es ist immer ein Unterschied, wenn man persönlich redet.

Wie bewerten Sie die Ergebnisse des letzten NATO-Gipfels?

Die Ergebnisse sind natürlich aus Friedenssicht furchtbar, weil es im Grunde nicht mehr nur gegen Russland geht, sondern auch China in Angriff genommen wird. Es ist noch nicht militärisch, aber zum ersten Mal wurde China als Herausforderung gesehen.

Trump fordert 2 Prozent Rüstungsausgaben und Deutschland will „das Niveau“ der USA erreichen. Was ist davon zu halten?

Es hat mehrere Probleme aus meiner Sicht. Das eine ist, dass dieses Geld natürlich eigentlich viel dringender für Soziales wie Sozialwohnungen gebraucht wird. Es müssen Schulen renoviert werden, es fehlen etwa 100.000 Lehrer und Betreuer. Für die ist kein Geld da aber für die Rüstungsindustrie wird es ausgegeben. Das zweite ist, dass je mehr Geld da reingesteckt wird, desto mehr Waffen gebaut werden, wodurch sich die Kriegsgefahr erhöht. Das EU-Parlament hatte vor einigen Jahren die Forderung an die EU-Länder gestellt, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Rüstung zu verwenden.

Gibt die Fridays for Future Bewegung einen neuen Impuls für die Friedensbewegung?

Ich glaube, dass wir noch zu wenig aktiv auf die jungen Leute zugehen. Die Hoffnung ist, dass „die schon kommen und das machen“, das halte ich aber für unrealistisch. Ich glaube, dass wir überall in den Orten auf die Protagonisten dieser Bewegung zugehen müssen, um mit ihnen zu diskutieren, ob wir zusammen eine Konferenz oder eine Protestaktion machen. Wir müssen das von uns aus machen. Die sind ja natürlich nicht alle gleich, wir ja auch nicht, aber sehr interessiert an politischen Themen.

Welche Themen beschäftigen die Friedensbewegung fürs nächste Jahr?

Das größte Thema ist natürlich das Militärmanöver „Defender 2020“, was ja eine Riesenprovokation gegen Russland ist. Die gibt es zwar schon immer, aber dieses ist schon etwas anderes mit 37.000 Soldaten, davon allein 20.000 US-Soldaten, die über den Atlantik rüber gebracht werden mit schweren Waffen und Geräten. Es ist die aufwendigste NATO-Übung und Deutschland soll dabei die Drehscheibe werden. Das wird auf jeden Fall ein großer Schwerpunkt für uns sein, sowohl an der Route als auch sonst, Aktionen dagegen zu organisieren. Das werden vor allem der Ostermarsch und die Sicherheitskonferenz in München sein. Auch im August wird es Aktionen geben anlässlich der Hiroshima-Tage 75 Jahre nach der Befreiung.

Während diese große NATO-Übung geplant wird, gibt es auch Meinungen, dass die NATO keine große politische Rolle mehr haben würde. Frankreichs Präsident Macron nannte die NATO sogar hirntot. Wie können diese beiden Seiten nebeneinander existieren?

Ich weiß ja nicht, was hinter verschlossenen Türen der Herrschenden geredet und gedacht wird, aber meine Interpretation der Sache ist, dass Macron will, dass die NATO mehr in seinem Interesse agiert, was sie zu wenig macht. Und es ist aus meiner Sicht nicht nur Macron alleine, sondern auch Deutschland. Die Konzerne dieser beiden Länder wollen in der NATO insgesamt mehr Mitsprache haben und nicht die USA das alleine machen lassen. Ich glaube, dass das dahinter steckt. Und natürlich auch, dass Frankreich nicht unbedeutend wird, weil Deutschland jetzt Frau von der Leyen als EU-Präsidentin hat. Da will Frankreich natürlich auch auf Augenhöhe mitmachen. Ich glaube nicht, dass die ernsthaft Zoff haben, sondern mehr die Interessensunterschiede des Kapitals der Grund ist.

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