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AKP und die Rente

Die AKP will das Rentenalter auf 70 Jahre anheben. Mit dieser Politik macht die Regierung die Rentner zur ärmsten Bevölkerungsgruppe und den Ruhestand zu einem schweren Traum.

Unter der Führung der Weltbank und des IWF (Internationaler Währungsfonds) wurde seit Anfang der 1990er Jahre das Ziel verfolgt, den Umfang der sozialen Sicherungssysteme, insbesondere der Gesundheits- und Rentenversicherung, einzuschränken und die Rechte der Arbeiter zu beschneiden, und das weltweit. Die Politik der Kohl-Ära, die von Schröder und Merkel fortgeführt wurden, spüren wir in Deutschland bis heute. In der Türkei hat die AKP diese Ziele seit den 2000ern beschleunigt und auch umgesetzt; eine schrittweise Anhebung des Renteneintrittsalters auf 65 Jahre und eine Senkung der Rentensätze, die zu schlussendlich zu Kürzungen führten, reichten nicht aus. Der „12. Entwicklungsplan“ und aktuelle Studien zeigen, dass das Land für Rentner und Arbeiter noch mehr zur Hölle wird.

Bei der Vorstellung des „12. Entwicklungsplan“ erklärte der AKP-Fraktionsvorsitzende Abdullah Güler, wie das Ziel, „mehr Arbeiter in Arbeit zu halten und die Kriterien für den Eintritt in den Ruhestand entsprechend der Lebenserwartung bei der Geburt neu zu definieren“, konkret aussehen solle. Güler wies darauf hin, dass es zu viele Rentner im Land gebe und kündigte an, dass das Renteneintrittsalter auf 70 Jahre angehoben werden müsse. Güler verteidigte auch die geplante „Anpassung“ (Korrektur nach unten) der Rentenhöhe.

Es ist offensichtlich, dass der einzig akzeptable Rentner für die AKP der „Rentner im Grab“ ist. Aus diesem Grund haben die Verordnungen und Gesetze, die sie im Laufe ihrer Regierungszeit schrittweise eingeführt hat, die Rentner zur ärmsten Gruppe der Gesellschaft gemacht.

Renten 27 Prozent unter dem Mindestlohn

Heute gibt es über 16 Millionen Rentner bei insgesamt ungefähr 85 Millionen Bürgern. Nach Angaben des türkischen Rentnerverbandes arbeiten etwa zwei Millionen Rentner „informell“ weiter. Zusätzlich zahlen mindestens so viele Rentner Sozialbeiträge. Das heißt, ein Viertel der Rentner ist erwerbstätig in der Rente. Die niedrigste Rente beträgt heute 12.500 Türkische Lira (TL), das entspricht 332,44 Euro (Stand 9.9.24). Das sind 6.750 TL weniger als die offizielle Armutsgrenze und lediglich 73 Prozent des Mindestlohns. Im Jahr 2002, als der Mindestlohn 184 Lira betrug, lag die Mindestrente bei 257 Lira. Sie lag also 40 Prozent über dem Mindestlohn. Im Laufe der Jahre ist die Armut der Rentner immer größer geworden. Die „Reformen“ der AKP sind der Hauptgrund dafür, dass die Renten von Jahr zu Jahr sinken.

1999 wurden die Ausgaben für die soziale Absicherung im Alter von der damaligen Koalitionsregierung als „Buckel“ auf dem Rücken des Staates angesehen. Um diese Belastung zu beseitigen, wurden zwei wichtige Änderungen im Rentenrecht beschlossen. Die erste war die Erhöhung der Anzahl der Beitragsarbeitstage auf 5.000 bis 5.975 je nach Eintrittsdatum (somit konnten Menschen ca. 13 Jahre täglich durcharbeiten und bereits im jungen Alter in Rente gehen). Die zweite Änderung war die Anhebung des Rentenalters von 38 Jahren für Frauen und 43 Jahren für Männer auf 58 Jahre für Frauen und 60 Jahre für Männer. Die AKP löste diese Regierung ab und vollendete, was diese mit dem zweiten Schritt begonnen hatte. Sie führte eine neue „Reform“ ein, die den Weg für niedrige Renten für Rentner ebnete: das Gesetz über die Rentenversicherung.

Vor 2000 waren die monatlichen Auszahlungen hoch und betrugen 76 Prozent des Monatsgehalts für 9.000 Beitragstage, 69 Prozent für 7.200 Tage und 60 Prozent für 5.000 Tage. Mit der Gesetzesänderung wurde der monatliche Satz für 9.000 Arbeitstage auf 65 Prozent und für 5.000 Tage auf 43 Prozent gesenkt.

Rente mit flexibler Arbeitszeit ist ein Traum

Mit dem 12. Entwicklungsplan wird der Prozess des schrittweisen Zusammenbruchs des Rentensystems in der Türkei fortgesetzt. Um in Rente gehen zu können, muss ein Arbeiter mindestens 4.500 Tage versichert gearbeitet haben. Es ist aber unmöglich, dass ein Arbeiter, der Teilzeit, lediglich einige Tage in der Woche oder einige Stunden am Tag im Rahmen der flexiblen Arbeitszeit oder gar ohne „einen Vertrag“ arbeitet, 4.500 Beitragstage erreicht. Die vorgeschobenen Ziele des Plans sind vielfältig und dienen meist den Arbeitgebern, „flexible Arbeiter“ einzustellen und Sozialbeiträge zu sparen.

Im mittelfristigen Programm wird die Situation der Rentner, die als „Last“ für den Staat angesehen werden, neu geregelt. Die Regierung strebt eine Anhebung des Rentenalters auf 70 Jahre und eine Angleichung der Löhne und Gehälter auf dem niedrigsten Niveau an, um Beschäftigung zu schaffen. Zugleich wird das private Rentensystem BES, das als Alternative zum staatlichen Rentensystem gilt, gefördert. Das BES, bei dem es sich um ein „Fondsverwaltungssystem“ handelt, das darauf abzielt, „heißes Geld“ für den Markt der individuellen Ersparnisse und nicht für ein „Rentensystem“ zu schaffen, wird in der Türkei bereits seit 2001 praktiziert und wurde 2017 gesetzlich eingeführt. Der Hauptzweck des Systems besteht darin, die Ersparnisse der Teilnehmer über ein Fondskonto auf dem Markt zu nutzen und durch Investitionen zu mehren.

Ebenfalls hat die AKP voriges Jahr die Rente durch Privatversicherungen ersetzt und mit dem „ergänzenden Rentensystem“ auf Abfindungen, statt auf das staatliche Rentensystem gelenkt, obwohl der Begriff „Abfindung“ nicht direkt erwähnt wird. Es ist ein Abfindungsfonds eingeführt worden, der von den Arbeitern nicht vor dem Eintritt in den Ruhestand und nicht vor Vollendung des 60. Lebensjahr in Anspruch genommen werden kann. Die Anspruchsberechtigten können sich 25 Prozent als Einmalbetrag auszahlen lassen, der Rest wird als monatliche Rente ausgezahlt. Ziel dieses Modells war es, Abfindungsansprüche von Arbeitern gegenüber ihren Arbeitgebern zu verhindern statt geltend zu machen und das staatliche Rentensystem „zu entlasten“.

Was sie Lebenserwartung nennen…

Laut „Lebenstabellen, 2020-2022“ des Türkischen Statistikinstituts (TurkStat) beträgt die Lebenserwartung bei der Geburt für die gesamte Türkei 77,5 Jahre. Laut OECD hat ein Arbeiter in Europa eine durchschnittliche Lebenserwartung von 25 Jahren nach der Pensionierung, in der Türkei sollen es 7,5 Jahre sein, wenn es nach der AKP geht. Eine Untersuchung von DISK-AR zeigt, dass Rentner in der Türkei nur ein Sechstel der Renten von denjenigen in den mitteleuropäischen Ländern erhalten. Laut dem globalen Rentenbericht des Mercer CFA Institute hat die Türkei, nach Indien, den Philippinen und Argentinien, das schlechteste Rentensystem von 47 Rentensystemen, die 64 Prozent der Weltbevölkerung abdecken. Und besser wird es mit dem 12. Entwicklungsplan nicht.

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