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Das Erdbeben in Elazığ und andere soziale Verwerfungen

Yusuf KARATAŞ

Das Erdbeben der Stärke 6,8, das die Provinzen Elazığ und Malatya erschütterte, hat uns noch einmal vor Augen geführt, wie wenig wir auf solche Naturkatastrophen vorbereitet sind. Der Staat erhebt von seinen Bürgern seit 20 Jahren die so genannte Erdbebensteuer. Trotzdem stürzen bei einem Beben dieser Stärke zahlreiche Gebäude ein und verlieren viele Menschen das Leben. Die politisch Verantwortlichen wollen keine Rechenschaft ablegen, ganz im Gegenteil: sie drohen der Bevölkerung oder ihre Hauptsorge gilt dem ramponierten Image der Regierung. Die Posts in den sozialen Medien zum Thema zeigen auf, wie tief der Riss durch die Gesellschaft geht.

Auch das Beben in der Provinz Van im Jahr 2011 hatte offengelegt, wie verbreitet rassistische Einstellungen in der Bevölkerung sind. Das jetzige Beben hat auch nicht nur die geologischen, sondern auch gesellschaftlichen Verwerfungen offengelegt.

So erklärte der Innenminister Soylu, die Kritik an den politischen Maßnahmen gegen die Folgen des Erdbebens sei unmenschlich. Wer die Frage aufwerfe, wo die eingetriebenen „Erdbebensteuern“ geblieben seien, sei offensichtlich ein „Provokateur“. Daraufhin fühlten sich Staatsanwälte auf den Plan gerufen und leiteten Ermittlungsverfahren gegen Personen ein, die in den sozialen Medien diese Frage aufgeworfen hatten. Die Regierung ist also in erster Linie nicht auf die Erdbebenopfer konzentriert, sondern auf die Frage, wie sie Kritik an ihrer Politik im Keim ersticken kann.

Auch sein Aufruf, als Gesellschaft in solch schweren Zeiten zusammenzuhalten, ging ins Leere. Hilfe aus der benachbarten Kreisstadt Ergani, wo der Bürgermeister der HDP angehört, wurde auf Anweisung des Gouverneurs von Elazığ zurückgeschickt. Das Argument, dass in solchen Situationen politische Differenzen keine Rolle spielen dürften, spielte in diesem Fall keine Rolle.

„Die öffentliche Wahrnehmung ist im Moment sehr gut“ – diese Worte des Gouverneurs, die er im Vorfeld einer Pressekonferenz in die eingeschalteten Mikrofone sprach, machte deutlich, worum es ihnen in erster Linie geht: nämlich um das Management des Ansehens von AKP und nicht um die Erdbebenopfer.

Die Verfolgung von Kritik zeigt uns das wahre Gesicht der repressiven Regierungspolitik, die keine Widerrede zulassen möchte. Und dass sie die HDP-Hilfe ablehnte, entlarvte das andere Gesicht: sie ist nicht für den Zusammenhalt, sondern für eine einheitliche Gesellschaft, in der die friedliche Lösung der kurdischen Frage und das gleichberechtigte Zusammenleben verschiedener Bevölkerungsgruppen keinen Platz haben.

Wir wurden in den letzten Tagen aber auch Zeugen von Ereignissen, die Anlass zur Hoffnung geben: die kurdisch-sprachige Sanitäterin Emine, die sich um Verletzte kümmerte, oder der syrische Flüchtling Mahmud, der mit bloßen Händen Verschüttete aus der Trümmern rettete, zeigten uns den gesellschaftlichen Zusammenhalt.

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